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-- Rezensionen
--- Golo Mann - Wallenstein
Kroni - 18.10.2006 um 16:11 Uhr
Auf knapp 1000 Seiten erzählt Mann die Geschichte der schillernsten Gestalt des dreissigjährigen Krieges, des Kaisers General, letztlich von diesem verstoßen und ermordet.
Es ist ein farbenprächtiges Gemälde, daß diese barocke Zeit vor einem auferstehen lässt, und Ahnung gibt davon, wie es wirklich gewesen sein könnte.
Der Anspruch ist wissenschaftlich, penibel werden die Quellen gesichtet, unterschiedliche Interpretationen gewichtet, Spekulationen als solche gut deutlich gemacht. Es bleibt reichlich Raum und Anregung zum denken.
Wallenstein erscheint uns als Beispiel eines Mannes aus dem kleinen, grundbesitzenden Adel, der in üblicher Art und Weise ins Leben tritt und darin Fuß fasst: nach dem frühen Tod der Eltern von einem pflichtbewußten Vormund guter Erziehung anheimgegeben, Studium, einer Kalvaliersreise, und dem Krieg als feudalem Zeitvertreib, als Möglichkeit des Aufstiegs und Vermögenserwerbs - ebenso wie die Heirat mit einer reichen, vertrockneten Witwe, die ihm den Gefallen tut, bald zu sterben.
Wir erleben ihn, wie er in der immer heisser werdenden Gemengelage von Politik und Religion seine Orientierung sucht, und auf´s richtige Pferd setzt: den Kaiser statt der böhmischen Rebellen, unter großem Einsatz erste Meriten sammelt und teilhat an der Verteilung der konfiszierten Güter der Protestanten nach dem Sturz des Winterkönigs.
Doch erst danach tritt er heraus aus der großen Zahl der militärischen und politischen Spekulanten dadurch, daß er den stets vom Bankrott bedrohten Kaiser eine völlig neue Art der Kriegsführung vorschlägt: er finanziert selbst seine Armee durch Vorschüsse, durch Kontributionen im Feindesland, durch Konfiskationen auf letztlich eigene Rechnung: der Krieg ernährt den Krieg.
Als Feldherr ist er umsichtig, weitaus umsichtiger als seine Kollegen, ein sorgsam abwägender Stratege, und darum erfolgreicher. Den dänischen König wirft er aus Deutschland wieder hinaus, dringt bis an die Ostsee vor - und präsentiert seinem kaiserlichen Herrn die Rechnung: und die ist gewaltig. So gewaltig, daß er nur durch Belehnung mit allerlei Fürstentümern zu befriedigen ist. Nur undeutlich zu erkennen, aber sichtbar: auch er muß unverschämt sein, denn auch er hat seine Gläubiger, deren Rechte und Interessen er vertreten muß, um seinen Kredit zu wahren.
Wir lesen von seinen Güterspekulationen, seiner Betriebswirtschaft, seinen Inflationsspekulationen - und von seiner Entlassung.
Zu ungebärdig ist er den Reichsfürsten, vor allem dem frisch bestallten Kurfürsten von Bayern, zu unheimlich sein Aufstieg, seine Erfolge: militärisch, politisch, ökonomisch. Wie soll das bloss weitergehen ?
Wir sehen seinen Unruhestand, während dem der furchbare Gustav Adolf ins Land einfällt, betend und Psalmen singend, sengend, brennend, mordend - kühl rechnend.
Wir sehen, wie aus dem geschassten Saulus wieder der Paulus wird, umschmeichelt und umgarnt, hart um die Konditionen seiner 2. Anstellung feilschend, die noch unverschämter sind, als die erste Rechnung. Doch er hält seinen Teil des Teufelspakts, stellt ein Hundertausendmannheer auf, und mehr durch geschicktes Manövrieren, als durch Schlachten zieht er den Schweden, der schon in München sitzt, wieder aus Süddeuschland heraus, besiegt ihn bei Nürnberg eher nebenbei, zieht im auf Lützen hinterdrein. Wer dieses Gemetzel wirklich gewonnen hat, ist wohl schwer zu entscheiden - doch Gustav Adolf fällt, und das ist entscheidend. Die Schweden ziehen sich leicht zurück, Ruhe tritt ein - Sitzkrieg.
Wir lesen unterdessen, wie Wallenstein zu einem kranken Mann wird, an vielerlei Krankheiten leidend, der Gicht vor allem, und daher um so einsamer wird. Wir lesen, wie grausam die Soldateska wütet - manchmal schlimmer im Freundes- als im Feindesland, und sich erneut die Gegner scharen, unter ihnen wieder am Treiben: der bayrische Kurfürst. Zu grausam geht ihnen die Brandschatzung auf die eigenen Kassen, zu düster sind die Aussichten auf Wallensteins 2. Rechnung, die wohl nur noch mit einer Königskrone beglichen werden kann.
Denn er hat seinen gewaltigen Kredit noch gewaltiger überzogen: sein Bankier ersäuft sich vor Verzweiflung. Er sieht selbst auf den sinnlosen Grund des Mordens und Metzelns, versucht sich als Friedensmacher, als Vermittler.
Man sieht zu, wie die Intrigen gegen ihn gestrickt werden, die Obersten und Generale seines Heeres gegen ihn gewonnen und umgedreht werden, und es schauert einem bei dem letzten Kapitel über seine Ermordung zu Eger. Die Lanze, die ihm in den Leib gerannt wird, kommt seinen Krankheiten wohl nur um wenig zuvor.
Es ist die Geschichte eines Aufsteigers und Erfinders, eines Self-made-Mannes, der vieles besser kann, und jeden einzelnen seiner Umgebung an Fähigkeiten weit übertrifft, auch weiter hinausschaut über den Tellerand, und genau daran letztlich scheitert. Es ist eine Geschichte von Zufällen und Gerüchten, von Diplomaten und Intriganten, von den Hunden des Krieges und des Friedens.
Die Bedeutung des Kredits wird erkannt, und der Macht, die einer haben kann, nicht obwohl, sondern weil er ein Riesenvermögen schuldig ist - und wie der Bogen überspannt wird.
Die Unstetigkeit und Zufälligkeit wird deutlich, das Menschliche an der Politik, wenn man so will. Was die Hagiographen und biederen Historiker zu geraden Linien und festen Lebenswegen zurechtbiegen, erscheint uns hier als labyrinthischer Wurm, als Gewimmel von Würmern: Leben live.
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