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-- Lyrik
--- Der graue Äther

Zzorak - 12.09.2006 um 15:04 Uhr

Früher dachte ich immer, es wäre schwer das Meer zu sein. Aber niemand denkt ans Sediment.
Mit den Händen voller Muscheln stelle ich mich den fliegenden Fischen in aussichtslosen Schlachten. Denn sie lähmen mich immer wieder, wenn sie durch die Wände glotzen. Sie starren in mich hinein und gefrieren zu Mahnmalen meiner Indifferenz, die erinnern und bohren und schließlich auf der anderen Seite wieder austreten. In diesem Höhlensystem hab ich mich vor langer Zeit verlaufen.
Der kleine Klaus, der traurig auf der Wippe sitzt, weil alle Menschen aus der Welt verschwunden sind, schaut gerade wieder durch meinen Spiegel. „Du selbst bist das Leben!“ sagt er mir -- kurz bevor ich seine Kiemen entdecke.
Leben... Wofür hält es sich eigentlich? Es taucht doch immer nur auf, wenn man grad mal niemanden sehen möchte. Es ist mir böse, weil ich mein Glück nicht mit ihm teile, aber es reicht ja nicht mal für mich allein. Weil es nicht mit mir angeben kann, will es mich auch nicht ausführen. Also tauche ich ab -- um ihm dann doch reumütig ein Stück entgegen zu gehen.

Alte Schlachten rosten auf dem Meeresgrund und alle sind sie dort. Alle wollen sie ein Souvenir und alle haben sie Prophezeiungen. Niemand möchte erfahren. Niemand will dort sein, wenn es passiert. Ich schnappe nach Luft und schlucke salziges Wasser, während ich hilflos zappelnd am Strand verende.
Täglich sammle ich die Erfahrungen anderer. Die, die sie über haben, die sie loswerden müssen. Sie tragen sie zu mir, weil sie wissen, dass ich ihre Gedanken für sie aufhebe. „Wo soll ich sonst auch hin damit?“: Die einzige Frage, die ich mit ihnen teile.
Durchs Meer blicke ich in die Welt und bleibe doch nur ein Spiegel für die, die wirklich leben. Mein Bild wird niemals klar sein, aber wer will das schon, ich bin nur das Exempel. Ich lebe für den Vergleich und sterbe für den Kontrast. Ich wechsle so oft die Seiten, dass ich auf dem Horizont wohnen kann. Nah genug, um gesehen zu werden, aber zu weit, um antastbar zu sein. Wenn er wollte, könnte selbst der größte Abenteurer ewig nach mir streben, die Distanz bleibt mein Panzer. Ich kann nicht unterscheiden, ob ich schwebe oder falle, im Zweifel bleib ich einfach sitzen. Deshalb werde ich niemals wirklich existieren, aber auch niemals damit aufhören. Ich bin mein eigener Schrankenwärter zum Dieseits. Eine lebende Legende unter den Hindernissen. Ich habe den Schlüssel, aber taste zielsicher am Schloss vorbei. Ich bin das flüchtige Déjà-vue, ich bin die Ahnung von dem was passieren könnte und sogar die reine Hoffnung. Aber leider bin ich auch nur ein Mensch.




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