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-- Prosa
--- Fahrt im Untergrund - Eine Kurzgeschichte

Shiningmind - 24.06.2006 um 13:49 Uhr

Gemeinsam stiegen beide in die U-Bahn. Er und sie, sie und er. Zuvor waren die Beiden ein letztes Mal neben einander jene Strasse entlang gelaufen, die zum Bahnhof des Untergrundes führte. Es war eine Strasse des Schweigens. Keiner sagte ein Wort. Sie war Kleinhändlerin und er ihr damaliger Großhändler gewesen aber nun sollten sich ihre Geschäftswege wohl für immer trennen. Er selbst schien ein Mann des Erfolges zu sein. Etwa 30 Jahre alt, gut aussehend mit ordentlich kurz frisiertem, schwarzem Haar, entschlossen daher blickenden, blauen Augen, männlich markantem Gesicht und breiter Gestalt. Dazu elegant gekleidet mit schwarzem Sakko, weißem Hemd und schwarzer Hose aus feinem Stoff. Nichts schien ihn zu erschüttern. Fast nichts. Sie dagegen war ungleich jünger und an ihrer Kleidung gemessen ungezwungener. Ihre Jugend war in ihrem Gesicht durchaus erkennbar. Sie besaß kindlich funkelnde, braune Augen, ein kleines, zierliches Näschen und süße, dicke Backen, die Falten um ihren Naschkatzenmund zeichneten. Die brünetten Haare trug sie offen mit vereinzelt blonden Strähnen. Ein schlichter brauner Rock mit Knitterfalten wand sich um ihre Hüften und ihre frauliche Figur wurde betont mit einem engem, beigen Oberteil, das fast ins Weiße ging. Die gelbe Tür der U-Bahn schloss sich unter dem Heulen der Türsirene und beide nahmen auf der rechten Seite gegenüber von einander Platz. Direkt am Fenster. Jeder mit seinem Schweigen beschäftigt.
Die Fahrt begann und der Zug rollte in den Tunnel voller Gedankenfetzen, welcher beide und insbesondere ihm, in eine krasse Enttäuschung ihrer offensichtlichen Distanz verschlang.
Wie ein Geschlagener saß er da. Den Rücken merkwürdig gekrümmt in nachdenklicher Haltung, blickte er mit Ekel zu seinem Bild, das sich im Fenster spiegelte.
„Nun sitzt du da mir deiner neuen Dauerwelle, die dir so gut steht, liest in deinem Buch und würdigst mich mit keinem einzigen Wort, obwohl du mich ganz heimlich betrachtest, sobald sich mein Blick nicht direkt an dich wendet. Ich sehe es doch! Auch Augen haben Winkel.“
dachte er schmerzvoll im sinnierenden Selbstgespräch.
„So lang war es noch gar nicht her, als wir uns liebevoll unterhalten konnten und nun ist alles vorbei wegen einer Nacht. Verdammt! Diese eine Nacht meiner männlichen Schwäche, die nur aus Sehnsucht geschah aber konntest du mit deinen jungen Jahren voller Freiheitsdrang verstehen wie sehr ich mich nur nach Geborgenheit und Nähe sehnte, die du vielleicht als einengend empfandest und weshalb du mich so selten sehen wolltest? Ja, auch Männer fühlen manchmal so und neigen zu solchen Bedürfnissen.“ versuchte er sich vor seinen zwiespältigen Gedanken zu verteidigen, um sich daraufhin erneut zu verurteilen.
„Ich könnt mich treten für diese Nacht und gleichzeitig muss ich mich mit dem Gedanken herum plagen, die Weichen nicht richtig gestellt zu haben. Deine Liebe plötzlich zerstückelt in Scherben, die tiefe Wunden in deinem so verletzbaren Vertrauen hinterließen, so dass es für dich keinen Sinn mehr hatte an dieser Stelle weiter zu machen. Besonders wenn ich an die ganzen Streitereien denke, die daraufhin folgten und in denen wir uns mit Vorwürfen bekriegten, nur um festzustellen, dass wir uns doch nur im Kreise drehten.
Wir hatten nicht viel gemeinsam aber was wir gemeinsam hatten war Trotz und aus Trotz erwacht falscher Stolz, der sich wie ein Fels auf bereinigenden Wegen legt. So stritten wir weiter und weiter mit den Drohungen, uns gegenseitig fertig zu machen. Was für ein blöder Schwachsinn!“ stellte er fest und es trat eine Pause ein, bevor er wieder zu seinen Gedanken kam. „Was ist das eigentlich, was ich da fühle? Bereuen? Ja, so was empfindet man fast immer wenn es zu spät ist. Was nützt es dann noch?“
Sie saß weiterhin ganz versteckt in ihrem Buch und schaute ihn dann und wann mit schmerzvollen Augen voller Wehmut an, bevor die Ankunft am Zielbahnhof Rettung aus der beklemmenden Situation versprach. Mit stummer Mimik wies er sie an auszusteigen aber angekommen waren sie nicht, denn bedauerlicherweise war es noch nötig S-Bahn zu fahren. Beide liefen nun gemeinsam hoch zum Bahnsteig und standen dicht beieinander. Starren und schweigen, schweigen und starren. Er offensichtlich, sie im Verstecktem. Minuten wurden zu Stunden der seelischen Bedrängung. Plötzlich blickte sie mit Tränen zu ihm und schrie ihn an: „Gott verdammt! Warum sagst du nichts, du Feigling? Ich halt das nicht mehr aus!“ sprach sie mit zitternder Stimme und ließ ihn stehen. Er hingegen stand still und tat nichts. „Stolz ist die Felswand auf den Wegen der Bereinigung“ dachte er sich und beide gingen aus ihrem Leben mit der herben Enttäuschung auf allen Gleisen versagt zu haben.




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