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--- LiteraturClips XI mit „Senora Nada“
Matze - 31.05.2006 um 10:28 Uhr
Am 4. Juni präsentiert SC auf drumheads.de ab 14.00 das Monodram „Senora Nada“
Es gehört zu den Auffälligkeiten der Monodramen von A.J. Weigoni, dass er die Sprachräume, die er ausschreitet, bevor er sie manchmal in schwindelerregende Höhen treibt, zunächst auslotet. Da werden akribisch Bodenproben genommen, werden Bedeutungsablagerungen untersucht, wird sehr genau analysiert, was da als Bodensatz vorhanden ist. Seine Fähigkeit besteht darin, allein aus Haltungen und Gesten zu erkennen, was einem Menschen widerfahren ist. Er baut seinen Stoff aus Beobachtungen. Als Flaneur lockt A.J. Weigoni den Hörer in Fallen und Verstecke quer durch die Weltliteratur, durch die er sich, bildungssatt und erkenntnishungrig, als Cicerone bewegt, um auf immer wieder überraschende Weise Arglist und Täuschung zum Arsenal der Kunst auszurufen. Aber trotz der Ernsthaftigkeit, mit der sich der Schriftsteller dieser Aufgabe annimmt, gelingt es ihm auch, das Absurde an bestimmten Zuständen und Daseinsweise herauszuarbeiten. In hochkonzentrierter Form macht das Monodram »Señora Nada« etwas, was nur die Literatur kann, aber auch sie nur sehr selten: Es macht Dinge vorstellbar, die man sich nicht vorstellen kann, weil es nicht auszuhalten wäre, wenn man es täte. Doch wenn sie wie hier verwandelt erscheinen, verdichtet, in jedem Wortsinn, zu Literatur, werden sie, wenn schon nicht erträglich, so doch erlebbar in einer Mischung aus Grauen und ästhetischem Genuss. Seine Poesie ist kein Prozess, in dem man eine Erkenntnis verschlüsselt oder treffender formuliert, sondern eine Sphäre menschlichen Tuns, die so autonom ist wie die Musik, die bildende Kunst, der Tanz. Will man beschreiben, warum diese lyrischen Monodramen eine so betörende Wirkung entfalten, könnte man sagen: Da ist ein Klang von Stille.
Mit den ersten Zeilen wird dieser Ton angeschlagen, wie in der Eröffnung einer Cellosonate, drängender Abstieg in gefasste Melancholie. Vorsichtig, zurückhaltend setzen sie ein, die Langgedichte, aber sie alle variieren ein einziges überwältigendes Thema – was der Mensch ist in seiner Ungeschütztheit, wie er sich darin bewähren kann, vor allem vor sich selbst. Bei »Señora Nada« provoziert Weigoni mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte, und nicht durch Dolby–Surround. Darin wird er von Tom Täger begleitet mit einer Musik der befreiten Melodien. Seine Komposition ist durchsetzt mit minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt. Schwarz ist die Farbe der Stille, Weiß jene des Rauschens auf diesen menschenleeren Bildern, die Meer und Riff, Bucht und Hafen ins wechselnde Licht rücken. Die grammatische Implosion im letzten Wort, das Herausbrechen unbetonter Vokale, versinnlicht sprachlich das Motiv des Schiffbruchs. Über den spärlichen Werken der Zivilisation liegt die Aura schrecklicher Schönheit, Spuren verlieren sich am Strand. Den Kampf um die Dauer hat der Mensch hier immer schon verloren. Die Schönheit von Weigonis Sprache liegt in der lakonischen Präzision des Wortes, der Genauigkeit jeder Beobachtung: in der Poesie des bewusst erlebten Augenblicks. So als habe die Todesnähe, in der die Protagonistin sich befindet, auch das Bewusstsein des Lyrikers beim Schreiben aufs Äußerste geschärft. Wo das Schreiben die Notwehr der Seele gegen den Ansturm des Nichts darstellt, wird alles möglich. Weigoni ist ein Vertreter stilistischer Polyphonie, schert sich nicht um die klassische Schriftsprache und Forderungen der sprachlichen Reinheit, sondern mischt gehobene mit niederen Ausdrucksweisen und wartet mit einer Fülle von Soziolekten, dialektalen Eigenarten und syntaktischen Fügungen aus der gesprochenen Sprache auf. Er verwendet wissenschaftliche Begriffe wie Ausdrücke der Alltagssprache, nimmt tradierte Metaphern auf und prägt neue. Wiederholungen, motivische Wiederaufnahmen und Inversionen, rhetorische Fragen, aphoristische und apodiktische Formulierungen setzt er stilistisch wirkungsvoll ein und spickt seine Poesie mit Zitaten anderer und Anspielungen auf eigene Werke. Das kaleidoskopische Zitieren verschafft seinen Schriften eine intertextuelle Ebene, die sich als eine Form kultureller Erinnerungsarbeit deuten lässt. In diesen Satzgirlanden, die zuweilen von schelmischem Gelächter durchdrungen sind, geht es um unterschiedliche Anteile von Tradition und Traditionsbruch. Seine Sprache bringt das Geheimnis der Dinge zum Leuchten. »Señora Nada« präsentiert ein schwankendes Daseinsgefühl. Hier geht es um die Krankheiten der Epoche, um Entfremdung, Auraverlust der Kunst und die metaphysischen Konsequenzen, die für den transzendental Obdachlosen aus der Entzauberung der Welt entstanden sind. Dieses Monodram zeigt sich lyrisch hermetisch und auf engstem Raum labyrinthisch, die dahinsurrenden Zeilen sind raffiniert und lapidar zugleich, Stimmungsbilder aus dem Innersten einer äußerst ungesicherten Existenz. Wie im Mondlicht die Dinge eine quecksilbrig harte und zugleich diffus changierende Kontur annehmen, von der einen in die andere Gestalt wechseln, somit der Einbildungskraft doppelt ausgeliefert scheinen, erweist sich »Señora Nada« als somnambul und luzide zugleich. Eine nächtlich phosphoreszierende Welt, Wachtraum und Traumerwachen, die sich nur in ganz wenigen Augenblicken versöhnlich entspannt. Dieses Monodram bietet Momentaufnahmen einer beängstigend sinnlichen Metaphysik des Schwebens, einer gegenständlichen Bodenlosigkeit gleitender, entgleitender Bezugspunkte, einer sich verschränkenden inneren und äußeren Welt. Es ist beides enthalten und gleichfalls bestimmend: Form und Formsprengung, bezogen auf die allgemeine Geschichte der Gattung Langgedicht, und besonders, auf die individuelle.
Matthias Hagedorn
„Senora Nada“ ist erschienen auf der CD »1/4 Fund« und erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de
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