Wolf Biermann über den Stasi-Film des jungen westdeutschen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck:
"Das Leben der Anderen"
Zitat:
Vor zwei Monaten saß ich am Ostberliner Kollwitz-Platz im Prenzlauer Berg mit fünf Freunden zusammen. Marianne Birthler zeigte uns eine Voraus-DVD mit einem Film von einem unbekannten jungen Regisseur über die DDR: "Das Leben der Anderen". Wir, die wir uns am Fernseher den neuen Film anschauten, waren oppositionelle DDR-Bürger, manche von uns schmerzgeprüfte Knastkenner des Regimes. Als ich den Namen des jungen Regisseurs las, fiel mir ein, daß dieser Florian Henckel von Donnersmarck mir vor vielleicht zwei Jahren seinen Entwurf für einen Film über die DDR-Staatssicherheit geschickt hatte. Ich durchblätterte damals genervt das Filmskript. Ich wollte mit solch einem Projekt nichts zu tun haben. Ich war mir sicher, daß dieser Anfänger, dieser naive Knabe mit der Gnade einer späten Hochwohlgeborenheit im Westen nie und nimmer solch einen DDR-Stoff bewältigen kann, weder politisch noch künstlerisch.
[...]
Aber zurück zu unserem Film "Das Leben der Anderen". Das ist die Story: Ein professioneller Menschen-Zersetzer, ein verbohrter "Kämpfer an der unsichtbaren Front" wird selber zersetzt. Der MfS-Hauptmann Gerd Wiesler ist ein harter Knochen, aber er wird weich. Er belauscht über Abhörwanzen die Liebenden und schleicht dann nach Dienstschluß in den realsozialistischen Kachelsarg seiner Neubauwohnung und kriecht in sein leeres Bett. Ein anderes Mal verrichtet er in seinem sterilen Wohnzimmer mit einer 15-Minuten-Miet-Dame des MfS-Sex-Service seine Notdurft. Dieser Mann ist mindestens so einsam wie seine Opfer in der Einzelzelle und unvergleichlich schlechter dran als die Schauspielerin und ihr Schriftsteller, die er mit seinen Untergebenen rund um die Uhr abhören und beschatten muß.
Auf dem Dachboden über der verwanzten Wohnung zeichnet er wochenlang Wort für Wort die Diskussionen wie auch das Schweigen der operativ zu bearbeitenden Intellektuellen auf. Und er wird dabei mehr und mehr verführt von deren Lebendigkeit. Am Ende der Geschichte ist er verdorben für diesen miesen Job als Menschen-Zersetzer. Er geht im allerschönsten Sinn kaputt beim professionellen Kaputtmachen, und das ist die märchenhafte Variation einer deformation professionelle.
[...]
Mir konnte dieser Film etwas vermitteln, was ich mir niemals "in echt" hatte vorstellen können.
In den Zehntausenden Seiten meiner Stasi-Akten fanden sich etwa 215 (in Worten: zweihundertundfünfzehn) Decknamen dieser und jener Inoffiziellen Mitarbeiter, vulgo: Spitzel, viele dieser Gesichter kenne ich natürlich. In den Dokumenten finden sich aber auch die bürgerlichen Klar-Namen etlicher offizieller Mitarbeiter, alles Offiziere, also höhere Schreibtischtäter, etwa die der Genossen Reuter und Lohr, also Gestalten wie in dem Film. Solch gesichtslosen Kanaillen leiht das Kunstwerk die Gesichtszüge der Schauspieler aus, in denen ich nun lesen kann. Lohr und Reuter waren jahrelang im Zentralen Operativen Vorgang (ZOV) "Lyriker" damit beschäftigt, mich - so chemisch klingt der terminus technicus im Stasijargon - systematisch zu "zersetzen". Zwei von den etwa 20 Maßnahmen stehen so da, mit beiden Stasi-Zeigefingern auf der Dienstschreibmaschine in die lange Liste getippt: "Zerstörung aller Liebes- und Freundschaftsbeziehungen". Eine andere: "Falsche medizinische Behandlung".