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-- Prosa
--- Über den Brillenrand

Olaf - 17.02.2006 um 11:32 Uhr

Du schläfst, sagte er leise. Er berührte mit seinen Fingern ihre Augen, strich über die bleichen Wangen, verweilte am schlanken Hals, fuhr weiter über die schmalen Schultern zu den jungen kleinen Brüsten. Weich lagen sie in seinen riesigen Pranken, die kleinen Brustwarzen kitzelten seine Handflächen. Mehr, ich will mehr sehen, durchzuckte es ihn. Der Reißverschluss klemmte. Der Mann schniefte, seine Atemzüge wurden deutlich hörbar. Er zog den Verschluss ein wenig nach oben und versuchte es mit Schwung. Dann versuchte er es mit Ruckeln. Er probierte alle Varianten, die in seinem langen Leben erfolgreich das Öffnen eines verklemmten Reißverschlusses ermöglichten. Nichts half. Der Mann öffnete die linke Brusttasche seiner Uniform und fingerte nach seiner Lesebrille. Er setzte sie so auf, dass er über den Brillenrand schauen konnte, beugte sich über das Mädchen, schob seine Mütze ins Genick und begutachtete das Problem. Eine Zange, dachte er, gibt es denn hier keine Zange? Sein Blick schweifte durch den gekachelten Raum. Keine Zange. In meiner Schublade liegt eine. Der Mann schaute auf seine Uhr. Mit einem langen Seufzer zog er den Reißverschluss wieder zu, schob den Karren in die Zelle und verschloss die Tür. Er griff zu seiner riesigen Taschenlampe, nahm den großen Schlüsselbund und schlurfte davon.

Morgen. Morgen muss ich an die Zange denken.




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