Aufmerksam wurde ich auf diese Sängerin durch einen Artikel in der Welt von Klaus Geitel. Der Artikel ist sehr bemerkenswert. Selten habe ich solch elegische Worte über einen Künstler gelesen, Worte, die dazu inspirieren, sich auf die Suche nach diesem Künstler zu machen:
Zitat:
Sie sang sich im Laufe ihres schönen, langen Lebens hinauf zu einer Denkmalsfigur des Wagner-Gesangs.
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Nilsson wurde 87 Jahre alt und wich keinem, der sie je gehört hatte, aus der Erinnerung. Dabei hat sie nicht ausschließlich Wagner gesungen. Sie war die Elektra von Richard Strauss. Sie war Puccinis Turandot. Sie war in allen Rollen exzellent: kühl, aber stimmlich den meisten Konkurrentinnen überlegen. Sie war, mit einem Wort, einzigartig - und das nutzte die Opernwelt nach Kräften aus. Zeitweilig konnte die New Yorker Metropolitan Opera es nicht mehr wagen, eine andere Brünnhilde als sie auf ihre erlauchte Bühne zu bitten.
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Sie war selbstsicher, vielleicht sogar selbstgerecht. Aber sie konnte es sich leisten.
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Sie war nicht auf Rührung aus, auf Mitgefühl und Empfindung, den Seelenton: den vokalen Blattschuß ins Herz. Sie war geboren und auferzogen, mit der Stimme zu herrschen. Und sie tat es, mit Nachdruck und mit Erfolg.
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Sie war und blieb ein Phänomen bis zuletzt, so sehr die Ansichten über ihre Singkunst auch wechseln mochten. Die Höhlenforscher im Atemraum bekrittelten gern ihre Tongebung. Doch alle Einwände wurden immer erneut übertönt von der schieren Singmacht dieser weit und breit einzigartigen Stimme. Man reiste ihr buchstäblich hinterher, nur um sich immer erneut vom längst Gewußten, Bekannten, Gerühmten, Verehrten überraschen zu lassen. Die Nilsson war, zumal in der Wagner-Oper, unanfechtbar, wie es heutzutage nur noch einige Pop-Stars in den Arenen sind. Sie raubte den Zuhörern mitunter geradezu den Verstand, wenn auch nicht die Puste, um lauthals Bravo zu rufen.
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Vor allem aber imponierte sie mit ihrem stimmlichen Stehvermögen: diesem Sirenenton, den sie unermüdlich durch die Endlosigkeit ihrer Rollen zu ziehen verstand - und die waren ja nicht nur kurz und knapp wie "Salome" oder "Elektra". Der Färberin in der "Frau ohne Schatten" galt ihre Kunst, Beethovens "Fidelio", der Lady Macbeth von Verdi, Wagners "Isolde" und natürlich dem Brünnhilden-Reigen, den sie auf Bayreuths Grünem Hügel vollführte. Sie liebte ihn mörderisch. Die Nilsson war tatsächlich eine Sängerin, die sprachlos machte. Wer sie einmal gehört hatte, kam nicht mehr von ihr los. Wo sie stand, ist bis heute ein künstlerisches Vakuum geblieben, das nur Jahrzehnte des Hinwartens füllen dürften.
http://www.welt.de/data/2006/01/12/830174.html