Sergej Jessenin wurde am 3. Oktober 1895 in Konstantinowo (Provinz Rjasan) als Bauernsohn geboren. Das Gedichteschreiben begann er mit 15, mit 17 verließ er die Provinz, um sich in Moskau, später St. Petersburg niederzulassen. 1916 berief man den Dichter zum Kriegsdienst ein, und als er sich weigerte, Verse zum Ruhm des Zaren zu verfassen, versetzte man ihn in ein Strafbataillon. 1917 heiratete Jessenin Sinaida Reich, trennte sich jedoch bereits 1918 wieder von ihr. 1922 heiratete Jessenin ein zweites Mal, und zwar die Ballettänzerin Isadora Duncan. Auch diese Ehe hielt nur für ein Jahr. Als einen der Gründe für das Scheitern dieser Ehe führt man Jessenins Alkoholismus, der sich auch in seinem Werk niedergeschlagen hat ("Bekenntnisse eines Trinkers"), an.
Jessenin starb am 28. Dezember 1925 - man fand ihn aufgehängt in seinem Leningrader Hotelzimmer, ein in Blut geschriebenes Gedicht als letztes Werk hinterlassen habend (ähnlich stilvoll verabschiedete sich der italienische Dichter Cesare Pavese ein Vierteljahrhundert später von dieser Welt).
Als naturverbundener, im Bauerntum verwurzelter Lyriker verfasste er die Gedichtbücher "Frühlings-Totenfeier", "Blau in Blau", "Verklärung", "Dorf-Brevier", "Dreireihige Harmonika", "Beichte eines Hooligans" und "Pugatschow".
Zitat:
Ich bin des Dorfes letzter Dichter,
mit hölzernen Brücken in meinem Lied.
Zur Abschiedsmette gab sie Lichter
und Weihrauch die Birke, als ich schied.
Bald wird die Flamme zu brennen sich weigern,
das Wachs meines Körpers schmilzt bis zum Grund,
und die Monduhr mit ihren hölzernen Zeigern
vollendet röchelnd um Zwölf ihr Rund.
Aus: Für Marienhof (Ü: Kay Borowsky)
Zitat:
Nichts läßt meine Trauer je schwinden,
auch kein Lachen, das über uns schwang.
Längst verblüht sind die weißen Linden,
der Nachtigallmorgen verklang.
Einst sprengten die neuen, heißen
Gefühle des Herzens Schlucht.
Selbst zärtliche Worte nun reißen
vom Mund sich als bittere Frucht.
[...]
Krank sind Natur und Gemäuer,
zerfallen, schmutzig und feucht.
Das alles ist mir so teuer,
darum weint es sich auch so leicht.
Aus: Nichts läßt meine Trauer...
Zitat:
In den stummen Dunkelheiten
aufzuliegen hieß man mich.
Niemand-nichts in Ewigkeiten
hinterließ beim Abschied ich.
Aus: Wo die Weltenrätsel träumen...
Zitat:
Ich fürchte nicht das Untergehen
nicht Regenpfeil noch -speer.
"Sergej läßt es geschehen",
so spricht und kündet er.
Aus: Inonien
Einige wenige Werke von Jessenin finden sich im russischen Original auf versalia im Archiv klassischer Werke.
Abschließend ein paar Worte Johannes R. Bechers auf Jessenin (bei ihm: Essenin):
Zitat:
Du hast gesungen das traumschwere Lied vom Sterben des Dorfes,
Wo schon die Brücke aus stählernem Draht die labyrinthische Schlucht überspannt,
Wo Horizonte sich nahen, von Zügen und Schloten durchrauchte,
Und der Traktor keuchend in den steinigen Acker sich rammt.
[...]
Bis dein eigener Leib im Sterben des Dorfes versank...
Mit Strophen, geknetet aus Lehm, hast du geschrieben
Dem versunkenen Dorf sein Gedicht. Geschrieben mit bäurischem Blut.
Und als du das Blut aus den Adern dir schnittest - fließendes Leben -:
Wie das feurige Wehen der Steppe erlosch deine Glut.
Aus: Essenin