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-- Rezensionen
--- Maxim Gorki - Meine Universitäten
Kenon - 12.06.2005 um 22:21 Uhr
"Meine Universitäten", der letzte Band Gorkis autobiographischer Romantrilogie, erschien erstmals 1922. Der Ort der Handlung ist zunächst Kasan, eine tartarische Stadt an der Wolga, in die Gorki im Jahre 1884 zieht, um zu studieren. Allerdings muss er recht bald einsehen, dass daraus nichts werden kann, und so wird ihm das Leben selbst zur Universität, er lernt durch das genaue Studium der Menschen - und natürlich aus den Büchern, die ihn ständig begleiten, die seine Obsession sind. Gorki ist Gelegenheitsarbeiter im Kasaner Hafen, wird Hausknecht und Gärtner, später verdingt er sich als Bäcker. Die Bäckerei, die sich bald mehr der Aufklärung als dem Brötchenbacken verschrieben hat, gehört Derenkow:
"Derenkow [...] besaß die beste Bibliothek verbotener oder seltener Bücher in der Stadt; sie wurde von den Studenten zahlreicher Kasaner Hochschulen und allerlei anderen revolutionär gesinnten Leuten benutzt."
Es ist eine Zeit, in der sich die Obrigkeit noch fürchten muss, dass das Volk mit Gedanken in Berührung kommt, ja, sogar selber denkt. Heute, da die Mehrheit der Menschen unseres Kulturkreises alltäglich stumpfsinnig vor dem Fernseher dahinvegetiert, ist soetwas wie ein Gedanke bald unvorstellbar. Alle sind in ihrer Lähmung gefangen.
In Kasan taucht auch ein verbotenes Buch auf: "In der Stadt ging ein aufregendes Buch von Hand zu Hand; man las es und stritt sich darüber" - Gorki nimmt an einer konspirativen Lesung, die in einem verdunkelten, leerstehenden Haus stattfindet, teil.
Gorkis Einsamkeit wächst, er ist es mittlerweile gewohnt, von seinen Mitmenschen verletzende Sätze wie "Man fühlt sich mit dir nicht wohl" zu hören. Das Leben hat er nun schon so lange studiert - aber was ist dabei herausgekommen? Natürlich hört er immer wieder diese und jene Weisheit, die er besonderen Menschen, zu denen er aufblickt und deren Nähe er sucht, abringt: "Je weniger der Mensch benötigt, desto glücklicher ist er, je mehr Wünsche er hat, desto weniger Freiheit hat er auch." - nur ändert ein Spruch noch lange nicht die Wirklichkeit.
Gorki wird immer melancholischer, er ist überarbeitet, kann seinen Platz im Leben nicht finden. Jeder weiss doch, dass mit dem Menschen etwas grundsätzlich danebenläuft, aber niemand ändert es: "Oft genug sah ich, daß die Menschen barmherzig und liebevoll nur in ihren Reden waren, während sie sich in ihren Handlungen, ohne es zu merken, der allgemeinen Ordnung des Lebens fügten."
Und so hängt jeder für sich im System, eine zeitweilige Änderung der Wirklichkeit bietet nur der Rausch - Saufen, Hurerei, Gewalt, religiöser Wahnsinn.
"Wieviele von den Menschen, die ich gekannt habe, sind freiwillig aus dem Leben geschieden!" - so auch der Seminarist Milowskij, der fünf Bände Erzählungen verfasste, bevor er für immer fortging.
Eines Tages durchschießt sich Gorki mit einem Trommelrevolver statt des Herzens seine Lunge. Nach einem Monat nimmt er seine Arbeit wieder auf - mit dem Gefühl, sich "entsetzlich blamiert zu haben" ---
Alles geht, geht und geht weiter.
Mit seinen autobiographischen Romanen wollte sich Gorki selbst - anders als so viele andere - kein Denkmal setzen. Ihm ging es darum, aufzuzeigen, woher er gekommen ist, welche Sorgen und Schwächen ihn plagten, warum aus ihm dieser Schriftsteller werden musste. Ein Unterfangen, das nur mit größter Ehrlichkeit in der Schilderung überzeugen kann. Gorki überzeugt.
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