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--- Vom Genius Loci des Todes

hibou - 29.03.2005 um 16:39 Uhr

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Vom Genius Loci des Todes

ungeschriebenes Vorwort zu einem Fotoband über Grabmäler. Für Anastasia und alle Sinnsucher


Ursprung

„...so viele Leben und Tode haben ihren rätselhaften Ursprung in etwas, das niemand gewahrt und an das niemand sich erinnert..."
Javier Marias

Über den Ursprung des Todes zu rätseln, mag paradox erscheinen, hat aber definitiv sehr viel mit ihm zu tun. Denn nirgends so gut wie am Lebendigen läßt sich zeigen, wie sein Auftauchen mit dem des Bewußtseins zusammenhängt.
Das Leben in seiner einzelligen Erscheinungsweise ist quasi unsterblich - die Zelle teilt sich einfach (wenn nun etwa Tumore ein Ort des Überschusses an Leben und nicht an Tod wären?), auch höhere Lebensformen sind im Vergleich zu uns noch sehr vital, - die menschliche Gehirnzelle, Instrument von Bewußtwerdung und Selbsterkenntnis, stirbt aber täglich und stündlich!

Erinnerungen

„Nimmst du Erinnerung an?“
Amanda Aizpuriete

Auch im geschichtlichen Ablauf werden wie in unserer Biographie Taten stets zu Erinnerungen, gerinnt Lebendiges zum Abbild.
Vom Strom des Lebens fortgerissen vermag der Mensch die Überschau nicht zu gewinnen, die retrospektive Haltung ist ihm im Augenblick unmöglich, die Bilanz ist nicht zu ziehen.
Erst am „Ende“ wird aus der Handlung die Erzählung, aus gelebter Erfahrung mit allen Schmerzen und Freuden die Erzählung: aus dem nackt am Strande der Phäaken - welche nicht umsonst als Jenseitsfährleute charakterisiert werden - angespülten schiffbrüchigen Odysseus entspringt endlich zum abendlichen Festmahl der Gesang der Odyssee. Singe mir, Muse, die Taten....

Denkmal (und Beginn einer Verwandlung)

„Tod und Leben sprech ich mit verborgenem Lächeln aus“
Marina Zwetajewa

Das mag der Grund sein, weswegen (und auf dem!) wir hauptsächlich den Toten Denkmäler setzen. Dieses geschieht vorwiegend räumlich. Noch immer prägt sich Gewesenes unserem lokalen Gedächtnis am tiefsten ein.
Der gestaltete Stein, tonnenschwer und für die Ewigkeit gesetzt zeigt sich aber wunderbarerweise nicht nur als Beschwernis, sondern vollzieht mit und an seinen Besuchern, den Nach-kommen, eine unmerkliche und deswegen um so nachhaltigere Metamorphose von der Trauer (aber wer weint heute noch um Homer, um Schiller, um Hölderlin?) über das Mitempfinden, Mitleiden, bis hin zum Impuls. Am Grab stehend, die Lebensleistung und wohl auch vor allem das, was an diesem Leben noch nicht erfüllt war, aufnehmend, entsteht in uns der Keim zu neuen Taten! Das Bild der Frauen am leeren Grab des Ostermorgens: Realsymbol wie Essenz einer Weltreligion....

Freiheit

„Nach dem Tode, was hat da Gültigkeit?“
Joseph Beuys

Information, so sagt das Leben, ist auf immer und ewig an meine Gene gebunden. Notwendig trägt Reproduktion und Vererbung sie weiter. Sie ist in Materie gebannt wie mit einem Siegel.
Wenn Entstehung von Bewußtsein der Abnahme von Lebenskraft, Vitalität parallel liefe, so würde es folglich im Laufe einer Biographie zunehmen. Und damit auch die Freiheit (vom Naturgesetz?), gegen den Tod hin sogar asymptotisch.
Im Todespunkt wäre, weil da alle Gebundenheit an Materie abgefallen, somit auch der größte Freiheitspunkt erreicht. Der Tod selbst könnte zum lebendigen Begriff werden? Das wäre aber ein Anfang - und kein Endpunkt. Diese Hypothese ist an der Ideengeschichte der Menschheit in reichem Maße nachzuprüfen. Nur wo gestorben wird, erstehen Ideen, könnte sie in etwa lauten.

Grabmäler

Aus den Bildern dieses Bandes und in den dazugesellten Zitaten und Texten sprechen alle die-se Gesichtspunkte. Sie sind nicht systematisch kompiliert, kein Handbuch des Vergänglichen. Jedes einzelne Foto zeigt etwas von der Atmosphäre des Ortes, dem genius loci. Jedes soll auch etwas von der Aura der aufgesuchten Gestalt aufscheinen lassen. Da es sich durchweg um unserer Gegenwart schon entrückte Personen handelt, ist der Leser und Betrachter in die Lage versetzt, etwas von der erwähnten Verwandlung in sich aufzusuchen.
Denn sie wirken nach wie vor alle in uns.
Grabmäler. Kein Grund zu melancholischer Gemütslage.






fallingforever - 15.05.2005 um 18:14 Uhr

Zitat:

Erst am „Ende“ wird aus der Handlung die Erzählung, aus gelebter Erfahrung mit allen Schmerzen und Freuden die Erzählung: aus dem nackt am Strande der Phäaken - welche nicht umsonst als Jenseitsfährleute charakterisiert werden - angespülten schiffbrüchigen Odysseus entspringt endlich zum abendlichen Festmahl der Gesang der Odyssee. Singe mir, Muse, die Taten....

Ja, es ist gerade der Tod, in dem sich das Leben abschließt und nicht nur beendet - sogar noch vollendet wird. Dort wird aus dem Leben, einem Leben - unbegreiflich schmerzhaft und immer wieder unglaublich schön - eine lange Erzählung mit einem Ende, das alle Lebensgeschichten gemeinsam haben - einem Übertritt in einen traumlosen, ewigen Schlaf.
Kann es Leben geben ohne ein Vergehen?




hibou - 16.05.2006 um 14:06 Uhr

für jasmin

dieser glanz über dem meer
perlmutt sagtest du
mit makrelenwolken
wir fuhren an diesem tag weit
ich erinnere mich
und die gitarrenriffs...
du standest auf bruckner
ich überzeugte dich selten




Mania - 19.05.2006 um 10:08 Uhr

Sie fehlt. Eindeutig. Das ist unheimlich.



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