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--- Giacomo Leopardi - Canti / Gesänge

Kenon - 12.02.2005 um 00:56 Uhr

Wen der Pfeil des Schönen je getroffen ... - das wäre ein passender Einleitungssatz, wenn man vorhätte, die Canti/Gesänge des Giacomo Leopardi (1798-1837) zu besprechen und sogleich in die rechte Richtung zu weisen. Oder man fängt mit einem anderen Platen-Zitat an "Der Pfeil der Liebe bohrt sich ein mit Gift!". Man kann es aber auch ganz anders versuchen.

Die mir vorliegende deutsch-italienische Ausgabe von Leopardis Gesängen wurde bereits 1990 von Michael Engelhard nachgedichtet und ist 1999 in der Bibliothek des Aufbau Taschenbuch Verlages erschienen, mittlerweile ist sie schon nicht mehr regulär erhältlich, ich selbst habe das Buch im Jahre 2003 neu und für wenig Geld bei einem namhaften Remittendenverramscher erstanden.

Folgt man den durch die Literaturwissenschaft gebildeten Legenden, so handelt es sich bei Leopardi um den bedeutendsten italienischen Dichter neben Petrarca und Tasso; aber mit solchen Nebensächlichkeiten sollte man sich nicht aufhalten. Sie müssen nichts bedeuten.

Die Canti umfassen Leopardis gesamtes lyrisches Schaffen, das eigentlich aus nur 36 überlieferten Gedichten besteht, die sich jedoch zum Teil über viele Buchseiten erstrecken. Die ersten Werke sind allesamt Hymnen auf Italien. Sie tragen programmatische Titel wie "An Italia" und "Auf Dantes Denkmal, zu errichten in Florenz". Betrachtet man die damalige Zeit, so war es natürlich eine Verlockung, sich durch solche heldisch-patriotisch-nationalistischen Gedichte einen Namen zu machen, aber zu durchschaubar, zu groß ist dieses Wollen gewesen, viel zu klein das Sein - und Leopardi gelang mit diesen Werken auch nicht, wie erhofft, der Durchbruch. Stattdessen blieb er unbekannt und somit verkannt, einsam und glücklos, hastete wie sein eingangs erwähnter Zeitgenosse von Platen von Stadt zu Stadt durch Italien, war geplagt von Krankheiten. Dieses Schicksal ist vielleicht des heutigen Lesers Glück - ja, ganz bestimmt ist es dies. Großes kann nur aus Großem entstehen, selbst wenn es großes Leid ist. Bei Leopardi hat dies unter anderem seinen Ursprung in einer flüchtigen Liebschaft auf den ersten Blick durch das Fenster zum Hof - zu seiner Cousine Gertrude Cassi-Lazzari. Den Schmerz dieser ersten Liebe hat er nie verwunden, viele schwere Verse sind durch ihn geflossen.

Schnell sind Leopardis eigentliche (echte) Themen umrissen: die unerfüllte Liebe, der Verlust der Jugend(träume) und des damit einhergehenden (körperlichen) Verfalls, die Sehnsucht nach dem Tode und ein Ästhetizismus, der immer auf der Suche nach der perfekten Form ist.

Inwieweit der Nachdichter Engelhard eine gute Arbeit geleistet hat, lässt sich als des Italienischen Nichtkundiger schwer sagen, ebensowenig kann ich mir deswegen ein Urteil über Leopardis sprachliche Qualitäten erlauben, so bleibt mir allein, mich an die übersetzten Gedichte zu halten, die durch ihren ungewohnten Umbruch und Satzbau zuallererst recht sperrig wirken, doch man gewöhnt sich schnell daran, weil diese Eigenschaft alle im Buch enthaltenen Werke betrifft.

Am besten ist es immer, die Werke für sich selbst sprechen zu lassen:

Liebe und Tod, Geschwister, die zusammen
Des Schicksal Schoß entstammen.
Noch Schöneres ist hienieden
Der Erde nicht, den Sternen nicht beschieden.


(Aus: Liebe und Tod)


Welch eine Welt, welch neue
Unendlichkeit, welch Paradies ist dort,
Wohin mich oft dein wunderbarer Zauber
Zu heben schien! und wo,
Da eine neue Sonne mich umgab,
Mein irdisches Geschick
Und alle Wahrheit ins Vergessen floh.


(Aus: Der Herrschende Gedanke)


Nur bitterer Überdruss
Ist unser Leben; und ein Dreck die Welt.
Sei still.


(Aus: An Sich Selbst)


Wenn, Mensch, du Schwachheit nur
Und Staub und Schatten bist,
Wie kommt es, daß Dein Geist so hochempfindet?
Doch wenn du edler bist,
Wie kommt´s, daß Höchstes, was dein Geist erreicht,
Und dein Gefühl, so leicht
Aus niederen Gründen sich erhebt und schwindet?


(Aus: Auf das Bildnis einer schönen Frau, gemeisselt in ihr Grabmal)


Wie es sich für sensible Poetennaturen gehört, bekräftigte Leopardi durch seine kurze Lebensspanne den antiken Spruch, den er seinem Gedicht "Liebe und Tod" voranstellte:

Der scheidet jung dahin, den Götter lieben.




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