Manchmal muss man sich nicht lange kennen, um sich zu kennen. Wir kannten uns wirklich nur sehr kurz, waren aber vielleicht irgendwie verwandt, denn wir beide hatten eine besondere Beziehung zum Wort, trafen uns allerdings beruflich in einem Kontext, der nicht besonders viel mit Literatur zu tun hatte. Trotzdem sprachen wir über sie. Wahrscheinlich warst Du die einzige Person, mit der ich mich auf der Arbeit je über Lyrik ausgetauscht habe – und noch wahrscheinlicher wirst Du die einzige Person bleiben. Das hat gar nicht so sehr mit meinem Beruf zu tun – fast an jedem anderen Arbeitsplatz wäre es mir sicherlich ähnlich ergangen. Wir tauschten auch ein paar Namen von Autoren, die uns in jüngster Zeit beschäftigt hatten, ich recherchierte Deine Empfehlungen später und entschied mich doch dagegen, etwas davon zu lesen – vielleicht entscheide ich mich nun noch einmal anders. Ich ersparte Dir in unserem einzigen längeren Gespräch jedweden Hinweis, wo Du Texte von mir lesen könntest, obwohl Du es durchaus spannend fandest, dass ich mich zuweilen mit der Herstellung von Gedichten befasse. Wer will, kann ja immer für sich selbst herausfinden, wo meine Texte einsehbar sind, aber ich muss niemanden, der quasi ein Kollege ist, absichtlich auf meinen düsteren oder polemischen Kram stoßen. Vielleicht hast Du danach gesucht, vermutlich eher nicht. Es ist auch egal, alles ist jetzt egal. Schlagartig bist Du verschwunden, hinterlässt eine Familie und tiefe Bestürzung.