Kenon
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 12.12.2015 um 11:58 Uhr |
Das Fragezeichen war das Symbol des post-avantgardistischen slowakischen Künstlers Július Koller (1939-2007). Das Fragezeichen? Wie banal! Wie gefährlich! – zumindest in einer kommunistischen Diktatur sowjetischer Prägung, in der Koller einen Großteil seines Lebens verbringen musste.
In totalitären Gesellschaften gibt es auf alles eine alles erschöpfende Antwort, die jede Diskussion beendet, jedwedes Leben in einen apathischen Zustand nahe des Todes zwingt: Antworten in dogmatischen Worten, Antworten in gewalttätigen Taten.
Fragezeichen sind Störer, Unruhestifter – sie regen die Menschen zum Denken, Überdenken, Hinausdenken an. Sie ringen Gewissheiten nieder, sind Würmer des Zweifels, die sich an Satzenden hängen und den strahlenden Stolz von Losungen und Parolen überschatten, mit der Zeit ganz gründlich zersetzen, ihre Hohlheit offenbaren. Fragezeichen bedrohen den widernatürlichen Zustand, der die Diktatur ist.
Das Setzen von Fragezeichen durch Július Koller war ein politischer Untergrabungsakt. Seine Fragezeichen sind nicht wohlgeformt, schön; sie brauchen keinen ästhetischen Zauber. In ihrer Beiläufigkeit, mit der sie sich in den staatlich geordneten Alltag schleichen, wirken sie um so mächtiger, sorgen für Unordnung und fordern die mächtigen Kontrolleure der menschlichen Leben heraus.
Ja, es bedarf keiner künstlerischen Anstrengung, Fragezeichen zu produzieren. Jeder kann Fragezeichen produzieren. Nicht jeder tut es. Schon gar nicht bei drohenden Repressionen. Dann erfordern sie Mut – und dem vorangehend ein reines Herz, das sich nicht durch die falsche Wirklichkeit der Diktatur vergiften lässt. Über Jahrzehnte wurden im Ostblock zu wenige Fragezeichen produziert, gab es zu viele Menschen, die von Satzzeichen zu Satzzeichen der staatlichen Vorgaben sprangen, immer auf ihren lächerlichen kleinen persönlichen Vorteil bedacht.
Das ehrliche Fragen sollte man im Sowjetkommunismus nie erlernen. In der Schule trug die Frage auf ihrem Buckel schon immer die passende, die gewünschte Antwort, war sie stets Tendenz, nicht offen, sondern abgeschlossen nach allen Seiten mit nur einem kleinen Ausgang, der wieder in das Gefängnis der bestehenden Gesellschaftsordnung führte.
Es ist fraglich, ob jemand, der nicht über den Erfahrungshintergrund verfügt, im Sowjetsystem gelebt zu haben, Kollers Kunst etwas abgewinnen kann – ob sie ihn langweilt oder sich ihm ihre Bedeutungen, die sie für Betrachter haben können, die aus einem ähnlichen Kontext wie Koller kommen, aufschließen werden. Ganz sicher wird dieser jemand andere Dinge sehen als die anderen, die sich in dieser Hinsicht von ihm unterscheiden.
Noch bis zum 10.01.2016 kann im „Museum of Modern Art“ in Warschau (ul. Panska 3, 00-12) die Ausstellung «JÚLIUS KOLLER, "?"» kostenlos von Dienstag bis Sonntag zwischen 12 und 20 Uhr besucht werden. Das Gebäude, selbst Kind kommunistischer Städteplanung, sorgt für ein zum Gezeigten passendes Ambiente.
Weitere Informationen unter:
http://artmuseum.pl/en/wystawy/julius-koller
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