raimund-fellner
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 05.03.2014 um 03:50 Uhr |
Gustav Bürger haderte mit seinem Schicksal. Er hatte dieselbe Diagnose wie ich, nämlich die halluzinatorisch paranoide Schizophrenie. Wie bei mir war es möglich mit Medikamenten den Gehirnstoffwechsel so zu regulieren, dass diese Krankheit weggedämpft war. So war ein klares gesundes Denken dank der geeigneten Medikamente möglich, die erst Mitte der 1950er Jahre entdeckt worden waren. Und doch bestand die Gefahr, dass die Krankheit die Oberhand gewann. Dann musste die Dosis dieser Antipsychotika erhöht werden oder andere Wirkstoffe dieser Art gewählt werden. Es war immer wieder eine stationäre Behandlung notwendig. So wurde Gustav schon mehrmals in seinem Leben zurückgeworfen. Es war ihm nicht möglich sein Volkswirtschaftsstudium abzuschließen, er musste sich als Hilfsarbeiter verdingen, wenn es ihm nicht gelang, einen angenehmeren Job zu bekommen. Immer wieder, wenn er sich hochgerappelt hatte, verlor er seinen Job, weil er wieder krank wurde, und er musste von vorne anfangen.
Gustav fühlte sich unschuldig. Warum musste gerade ihn diese geächtete Krankheit immer wieder treffen. Er hatte schon als Student eine soziale Einstellung, wie er mir versicherte, und hatte ein Herz für die Armen, die nicht so privilegiert waren wie er als Student. Er wollte sich doch nur das Leben eines biederen Spießers aufbauen. Eine Frau finden, ein Haus bauen oder kaufen, zwei Kinder und ein Auto für sich und eines für seine Frau. Er wollte doch nur zufrieden bieder dahinleben mit zwei bis drei Urlauben im Jahr in einem angesehenen Beruf in geachteter Position. Er war sich wirklich keiner Schuld bewusst. Und dann immer wieder diese Krankheit, die ihn aus dieser Laufbahn herausriss.
Gustav Bürger glaubte tief innerlich an Gott. Aber weil ihn Gott mit dieser Krankheit immer wieder schlug, rächte er sich an ihm, indem er sein Dasein bezweifelte. Er war aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem ging er immer wieder abends zum Taizé-Gebet in die Paulskirche, genoss diese durchgeistigte gemeinschaftliche Atmosphäre, die Gott erahnen und spüren ließ. Auch besuchte er Gottesdienste, wobei er jedes Mal nach der Predikt das Gotteshaus verließ. Denn immer, wenn er in all diesen Zusammenkünften, Gott erfühlte, strafte er Gott, indem er dieses Angerührtsein auf Autosuggestion zurückführte. Alles nur Einbildung, meinte er. Jedenfalls "nix gwiß weiß man", wie der Bayer sagen würde. Egal wie Gott sich bemerkbar machte. Es ließ sich immer als Einbildung und Halluzination abtun. Es konnte immer sein, dass er ein Wirken Gottes, das er zu bemerken erspürte, nur ein Placebo-Effekt der Wunschvorstellung war. Auch nahm er sich Zeit zur Besinnung und Meditation. Wenn ihn Gott anrührte, auch im Gebet, - denn hin und wieder betete er, - so tat er diese sacht-zarte Verbindung mit Gott als autogenes Training ab.
Gustav stellte die Theodizee-Frage für sich: Wie kann es einen guten Gott geben, wenn er ihn immer wieder in diese salonunfähige Krankheit fallen ließ? Er hatte nichts verbrochen und trotzdem wurde er so hart geschlagen. Da verdiente es Gott, dass er an ihm zweifelte. Er wollte doch nichts anderes sein als ein ganz normaler Spießer. Warum ließ Gott das nicht zu?
Raimund, der in seiner Jugend ein Leben ohne Arbeit im Amüsement mit Bea, seiner hartnäckig fortwährenden Liebe, ohne störende Kinder erträumt hatte. Scherzte hin und wieder mit Gustav und Gott darüber, was ihnen alles verwehrt war wegen ihrer Krankheit. Gott verwehrte ihnen den Porsche, das Haus mit Garten, die Yacht, den mehrfachen Fernurlaub und Wellness-Urlaub, statt dessen musste Raimund mit dem "Pöbel" in öffentlichen Verkehrsmitteln zubringen. Gustav hingegen hatte immerhin eine Auto, wenn auch einen kleinen Popel-Mercedes. Ein Porsche und ein geräumiger Luxus-Mercedes war ihm verwehrt. Und so malten sich Gustav und Raimund in der Phantasie aus, was ihnen alles in ihrem Leben an Luxus fehlte. Sie überzeichneten derart, dass unausgesprochen klar wurde, dass sie um keinen Deut glücklicher wären als jetzt, wenn all ihre Phantasien Wirklichkeit wären. Raimund dachte sich insgeheim: Vielleicht ist das Schweben in diesen Luxusphantasien viel schöner als eine realisierte Wirklichkeit.
Die Liebe zum anderen Geschlecht hatte Gustav wie Raimund schon mehrmals erfahren. Aber im Gegensatz zu Raimund gab es aus all diesen lustvollen Begegnungen keine Favoritin bei Gustav. Raimund vermutete zwar, es gäbe sie doch bei ihm. Nur war Gustav wie viele Zeitgenossen wohl Meister im Verdrängen einer solchen herausragenden Liebe, weil eine solche ihn zu sehr schmerzen würde, wenn sie unzugänglich ist.
Gustav war im kleinen Rahmen wohl situiert. Er bewohnte eine Eigentumswohnung und hatte, wie gesagt, einen kleinen Mercedes, er hatte eine Rente und Mieteinnahmen, von denen er gut leben konnte. Er musste im Gegensatz zu mir nicht arbeiten. Er hätte das Leben in Muße genießen können, doch dazu war er nicht fähig, weil ihn das Über-Ich der Gesellschaft einredete, er müsse arbeiten, um ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Darum suchte er sich immer wieder einen Nebenjob in der Kundenwerbung über Telefon. Das machte er nicht, weil er das Geld brauchte, sondern nur im den Spießerforderungen seines Über-Ich zu genügen. Zwar kümmerte sich Gustav um seine alte Mutter. Doch das genügte nicht dem Über-Ich.
Ich sagte zu ihm, vielleicht sei seine Schuld, die Gott missfiel, dass er ein Spießer sein wolle. Gott ließe das biedere Spießertum bei ihm, Gustav, nicht zu. Gustav schien das zu beherzigen, nicht weil ich ihm das sagte, sondern wohl, weil Gott ihn darauf brachte. Obgleich sich ein gewinnträchtiger Job angeboten hatte, bewarb er sich ehrenamtlich zur Essensausteilung bei der Armenspeisung der Franziskaner im Lehel. Sie konnten ihn brauchen. Und so putzt er zwei Mal in der Woche die Toiletten und teilt Essen aus. Auf die Frage, wie es ihm damit gehe, sagte Gustav, diese Arbeit erfülle ihn mit tiefer Freude.
So kommt Gustav zu einer weiteren Gotteserfahrung über den Dienst an denen, denen es bei weitem schlechter geht als ihm. Er erlebt ohne es zu wissen göttliche Freude. Ich bestärke ihn auf seiner Nicht-Spießer-Laufbahn. Denn dem Spießertum genügt die unentgeltliche Arbeit nicht. Weil der Spießer sagt sich: Das kann ja jeder. Dem Spießer ist eine Arbeit so viel wert, soviel dafür bezahlt wird. Sich um seine alte Mutter kümmern und um die Benachteiligten, ohne Geld zu bekommen, gilt vor dem Spießer nichts. Doch zuletzt lacht nicht der, der dem Spießer gefällt, sonder der, der Gott gefällt.
Raimund Fellner
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