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Literaturforum: Rot mit lila Streifen (Wendel Schäfer)


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 Thema: Rot mit lila Streifen (Wendel Schäfer)
vimana
Mitglied

30 Forenbeiträge
seit dem 21.02.2011

     
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 24.10.2012 um 21:13 Uhr

Rot mit lila Streifen


Die Blassmann konnte es am Besten mit Büchern. War eine Bibliophila. Der Buchladen gab sich mit ihr fast zufrieden. Wäre da nicht diese kapriziöse Art der Buchumsorge zu erdulden gewesen. Die Blassmann demonstrierte nämlich alle Bücher nur nach Format, Volumen und Farbe. Weil aber die Buchlady - wie die Treuesten sie respektierten -, ihre Lieblinge immer sicher im Kopf und Griff hatte, geriet die Eigenart („die Blassmann hat ne Macke“, die Chefin), nicht geschäftsschädigend. Und fehlen tat sie sowieso nie.
Die Blassmann trennte sich nur ungern von ihren Gefährten. Da mussten die Kunden ihr das Gewünschte schon mal aus den Händen wegnehmen. In die Regale („das ist ihr Allerheiligstes“, die Chefin), ließ sie niemanden hineinlangen. Und klaffte einmal eine Lücke, gab sie sich nicht, bis die Wunde geschlossen war. Groß und dick und farbig, je nach Verletztheit. Am liebsten war es ihr, wenn die Leute keinen festen Buchwillen artikulierten. Nur mal so was haben wollten, wie man ein noch unkonkretes Geschenk im Kopf hat. Sie fragte dann nur, ob es etwas Großes sein dürfte, Dickes, bitte schön, oder gar etwas in einer bestimmten Farbigkeit, wenn’s angenehm sein könnte. Besonders exaltiert war die Blassmann, wenn sie Groß und Dick mit Rot in einem einzigen Wunsch vereinen konnte. Und wenn es ihr dann noch glückte, den Liebling im sicheren Hort zu belassen, und der Kunde sich mit einem schmalen, farblosen Bändchen schlich, war sie für Tage befriedigt.
Alle Bücher hatten press zu stehen und vorne an der Regalkante abzuschließen. Einstaub-Prophylaxe. Und auch wegen der Schwänze, wie sie die Stoffbändchen in Büchern, mit denen sich das Verweilen lohnt, zu benennen pflegte. („Die hat so was Animalisches“, die Chefin.) Die Blassmann mochte es, wenn die Samtweichen frei und glatt heraushingen. Am liebsten blau oder lieber noch lila aus den Großen, Dicken, Roten. Und wenn sie sich unbeobachtet glaubte, war sie bei den Schwänzen und strich sie lang und glatt und glatt und lang. Nie erlaubte sie einem Kunden ungeführt einzudringen. Sie tippelte immer vornweg, behütsam, geneigt, wie ein Priester, wenn er sich dem Tabernakel nähert. Bewahrte so die Bücher vor überraschem Zugriff und schwächte den Zug, der die Schwänze verwirbeln mochte.
Nur der Blassmann war es vorbehalten, etwas den Altären zu entnehmen. Oben, wo die Bücher Luft bekamen, („Atemlöcher für die toten Kreaturen“, die Chefin), legte sie den Finger auf. Sie umfühlte stets den ganzen Kopf mit einem aus der Hand sich lösenden Mittelfinger, wie bei der Schlange der Kiefer sich reckt, wenn sie Erhabenes schlingt. Die Innendaumenkuppe stärkte den Rücken des Opfers. Ring- und Zeigefinger hingen im zweiten Scharnier geknickt und waren gegen die Nachbarn angelehnt. So extrahierte sie den Schatz vorsichtig, wie die Löwin ihr Junges trägt, neigte ihn zu sich, um endlich in die rechte freie Handmulde zu betten, wobei der linke Daumen das Opfer ungefähr in der Mitte aufbrach und ein paar Blattstößen im Fallen Einsicht erlaubte, während sie mit geweiteten Nasen die muffige Würze einsog und Haarkringel auf einer erregten Stirn aufzitterten. Danach platzierte sie das papierne Gefäß ins Sanktuarium zurück, nicht ohne drei leichte Ordnung gebietende Kläpse auf die untere Party mit allen vier Fingerrücken gleichzeitig.

In der roten Zone war’s.
„Ja, wenn sie mit ihrem Revuekörper davorstehen“, und schon begrapschte der Eindringling mit banausischen Greifern die Weihestätte, zerrte an Lilabändchen gleich zwei zu Tode Erschrockene heraus, konnte soeben eines mit den Knien auffangen und hielt das andere kopfunter wie einen Hahn am dünnen Bein, um ihn auf den Klotz zu legen, schleppte sie zur Kasse und polterte aus dem Laden, dass die Türschelle aufschrie, um dann wie ein Sterbeglöckchen zu verebben.

Nach langer Bettlägrigkeit und noch längerer Kur danach erschien sie eines Tages wieder, die Blassmann. Zu ein paar Buchrücken breit weggemagert. Nur noch an den vereinzelten Farbflächen in den Wänden war zu erahnen, dass hier einmal ordnende Kunst sich entfaltete.
Die Blassmann fiel nicht auf. Huschte körperlos an den Regalen vorüber. Konnte sich wie ein Chamäleon wegnehmen, indem sie sich den Klecksen anpasste. Die Kleider trug sie vertikal gestreift, mal enger, mal weiter, wie die Buchrücken, vor denen sie sich gerade aufhielt. Im farblosen Bereich milbengrau.
Die Blassmann wurde immer weniger. Bald war sie nur noch ein Romanrücken, dann ein Taschenbuch, ein Prospekt und am Ende nur noch unsicher auszumachen. Zugwind noch, das Aufbegehren der wenig verbliebenen Buchfädchen manchmal, ein Rascheln, vielleicht. („Milbe ist wieder da“, die Chefin.) - Dann bliebt die Blassmann ganz weg.
Der Buchladen wurde endlich renoviert. Kundenfreundlich. Alles zum Anfassen, mit Leseecken. Und einem riesigen Wühltisch auf einem dicken und roten Teppichboden mit lauter Lilafäden mittendurch.

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