Thema: Negative Aspekte und Tendenzen in der Literatur
WalterE
Mitglied 13 Forenbeiträge seit dem 26.08.2007
Eröffnungsbeitrag
Abgeschickt am: 13.12.2009 um 09:37 Uhr
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"Die Moderne bleibt auf der Strecke!"
Der bekannte St. Galler Germanistik-Professor Mario Andreotti macht in seinem jüngsten Essay "Aspekte und Tendenzen der neueren und neuesten Schweizer Literatur" (Dezember ´09 / Glarean Magazin) einen entscheidenden Paradigmawechsel in der jüngeren Schweizer Literatur aus - Tendenzen der thematischen Schwerpunkte, die allerdings auch in anderen zentraleuropäischen Literaturen auszumachen sind.
Andreotti konstatiert eine weitgehende Abwendung der führenden Schweizer Autorinnen und Autoren von allem Politischen einerseits (das allenfalls noch als Gegenstand der Kritik am Selbstverwirklichungstreben der 68er Bewegung präsent sei), und andererseits eine zunehmende Fixierung des Interesses nicht sosehr auf das literarische Werk als vielmehr auf die Person des Autors bzw. der Autorin.
Erzähltechnisch einher gehe dieser Rückzug ins Private, so der krititische Befund Andreottis, mit einer gewissen Simplifizierung: Nicht mehr Vielschichtigkeit von Handlungs- und Erzählebenen, auch nicht mehr Reflexion der Widersprüchlichkeit von Erzählen selber, und erst recht nicht mehr Auseinandersetzung mit gesellschaftlich determinierter Realität seien die Konstanten des Schreibens, sondern weitgehend "vereinfachende" Linearität, teils dezidiert verbunden mit einer medien- bzw. marktgerechten Hinwendung zum Ego-Tripp oder gleich zum unverbindlich-auflagefördernden Spaß-und-Fun-Event (à la Literaturfestivals oder Poetry Slams) würden die jüngste Literatur prägen.
Andreotti: "Das kommt den normierten Erwartungen einer breiten Leserschaft entgegen, was den internationalen Erfolg vieler junger Schweizer Autoren zu einem guten Teil erklärt. Dass dabei die Moderne auf der Strecke bleibt, ist die andere, weniger schöne Seite dieser jungen Schweizer Literatur. Die Gefahr, dass solche Literatur, gerade weil sie auf die Errungenschaften der literarischen Moderne mehrheitlich verzichtet, nur ein kurzfristiger Saisonerfolg bleibt, ist auf jeden Fall gegeben."