Biographien Rezensionen Diskutieren im versalia-Forum Das versalia.de-Rundschreiben abonnieren Service für Netzmeister Lesen im Archiv klassischer Werke Ihre kostenlose Netzbibliothek

 



Save Ukraine!
Save Ukraine!


Love all Animals

Literaturforum: Das Meer


Aktuelle Zeit: 22.11.2024 - 05:34:34
Hallo Gast, Sie sind nicht eingeloggt!
Suche | Mitglieder | Neu | Statistik

Heute ist der 155. Geburtstag von André Gide.

Forum > Prosa > Das Meer
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
 Autor
 Thema: Das Meer
MrsDalloway
Mitglied

1 Forenbeitrag
seit dem 20.06.2008

     
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 20.06.2008 um 21:41 Uhr

Das Meer

Der Wind streifte die Gesichter wie zarte Strömungen an Weisheiten, an Gedanken, die aufschienen, kurz aufbrausten und wieder verebbten, sanft in andere Gedanken fließend. Die Wolken hatten sich zusammengezogen, zu dicken, grauen Ballen, ein Erhaschen des Anblicks des blauen, reinen Himmels unmöglich machend. Eine junge Frau stieß an eine ältere. Sie taumelte. War das Leben vielleicht tatsächlich eine Reihe von Niederlagen? Doch – dort – der Spatz, der nach Krümeln pickt, unbeschwert, ohne Ahnung. Beiläufig, von weiter Ferne warf sie ihm mehr zu. Der Ozean auf einem Bild in einem Fenster. Wie gefährlich es war zu leben, nur diesen einen Moment zu überdauern, wie auf einem Steg zu balancieren, den Abgrund unter sich, immer die Gefahr zu stürzen, in ein Meer der Ungewissheit, einen Strudel, der hinabzerrte, zum Grund der Verzweiflung. Kein Halt war zu ertasten. Ein Turm gleich neben dem Ozean – welcher? War es möglich sich zu binden an das Leben, sich über die Verzweiflung dauerhaft erhebend, über den Kummer der ewigen Bedeutungslosigkeit? Sie stand und die Menschen streiften sie wie kraftvolle Wellen, ihr neue Augenblicke zutragend und wieder mit sich nehmend, scheinbar richtungslos, ohne Ziel, ohne Antworten, der Antrieb nicht offenbar – so nah und doch ohne erkennbare Verbindung, sterile Nähe herstellend. Sie eilten, den Himmel im Auge, nicht die anderen. War es nur das Grollen, das sie in die Flucht schlug? Oder floh man nicht ständig, andauernd, die Leere mit Vergänglichem füllend? Eine Fahrradklingel – sie schubste den Gedanken fort, mit ihm die Gefahr. Sie trat zu Seite.
Waren Gedanken zu Ende zu denken? Sie entronnen der Entscheidung und gingen ihrer eigenen Wege, mäanderten und kehrten manchmal zurück, manchmal nie wieder.
Ein Tropfen schlug auf ihre Stirn, ein zweiter, ein dritter. Die Straße wurde ertränkt, rasch und plötzlich. Die Sinne wurden geflutet mit tausenderlei frischen Reizen. War das die Realität, dieses Gefühl auf der Haut, dieses Rauschen, dieses Verschwimmen der Sicht, oder war das etwa nur ihre eigene Realität, in der nichts existierte außer ihren Eindrücken? Fühlten, hörten, sahen andere Menschen das gleiche? War es überhaupt möglich zu teilen, gleiches zu empfinden, wenn jeder andere Geist so fern und unbekannt bleiben musste? Kühle rann ihre Wangen hinab, Prasseln trommelte in ihrem Geist, doch nur beiläufig, im Hintergrund von Labyrinthen aus Grübeleien.
Ja, die Menschen? War das Leben Alleinsein, schließlich und endlich? Gesichter schwebten vorbei, verschwommen, in immer rascher werdenden Strömen, in ihr Bewusstsein und entschwanden diesem, bevor sie aus der Sicht glitten. Kapuzen wurden hinauf gezogen, Schirme geöffnet, die Sicht auf Köpfe versperrend, diese ersetzend durch große Kugeln jeglicher Farbe, tief gesenkte Gesichter abschirmend. Die Menschen, wie fern sie waren, wie unstetig, wie wenig gekannt, unmöglich Halt zu geben, diesen enttäuschend, sobald sich die Gelegenheit bot. Ein Fahrrad klapperte spritzend vorbei, ein Kind schrie. Wie gefährlich es war, mit anderen zu sein, sich zu binden und plötzlich abgerissen zu werden, gestoßen zu werden, ob beabsichtigt oder nicht. Der Donner einer Hupe brachte die Gefahr des Lebens zurück, der Geruch des frischen Regens versetzt mit dem Duft der Blumen vom Laden an der Ecke durch das strömende Nass die Schönheit der Welt. Wollte sie sterben? Nicht mehr leben? Die Erde war schön, voll Erheiterungen der Düfte, Klänge, Worte, Bilder, Bewegungen, Ströme. Die Wahrheit aber war nicht zu finden, nirgendwo in diesem verschwommenen Ozean, der niemals Beständigkeit bot, niemals Sicherheit. Er riss sie stetig mit sich, die Bedeutung, schwemmte sie in den Gully. Aber die Hoffnung? Und die Menschen? Wie wahr: Zu viele Fragen, die einfach stehen gelassen werden müssen. Der einzige Ausweg war, ohne Antworten zu leben, die Ungewissheit zu vergessen, doch Gedanken gingen ihrer eigenen Wege, ewig quälend.
Scheußlich kalt rann es im Nacken hinab.
Ohne sich umzublicken trat sie auf die Straße.

Nachricht senden Zitat
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
Forum > Prosa > Das Meer


  Ähnliche Beiträge
Gestartet von
Antworten Letzter Beitrag
Himmel und Meer
Nannophilius
0 16.10.2017 um 02:06 Uhr
von Nannophilius
Die Seele ist wie das Meer
walcua
2 30.08.2009 um 20:25 Uhr
von walcua
Lyrikmagazin sucht Gedichte über das Meer
Surenfeld
0 09.10.2008 um 08:44 Uhr
von Surenfeld
Wüstes Meer
Surenfeld
0 02.09.2008 um 07:09 Uhr
von Surenfeld
zum meer
faron
2 21.04.2008 um 13:02 Uhr
von almebo


Sie möchten hier mitdiskutieren? Dann registrieren Sie sich bitte.




Buch-Rezensionen:
Anmelden
Benutzername

Passwort

Eingeloggt bleiben

Neu registrieren?
Passwort vergessen?

Neues aus dem Forum


Gedichte von Georg Trakl

Verweise
> Gedichtband Dunkelstunden
> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
> Naturschutzbund





Das Fliegende Spaghettimonster

Ukraine | Anti-Literatur | Datenschutz | FAQ | Impressum | Rechtliches | Partnerseiten | Seite empfehlen | RSS

Systementwurf und -programmierung von zerovision.de

© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz

v_v3.53 erstellte diese Seite in 0.029235 sek.