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Brigitte K.
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Autor
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Thema: Brigitte K.
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Glygg
Mitglied
16 Forenbeiträge seit dem 02.02.2008
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 03.02.2008 um 14:24 Uhr |
Brigitte K.
Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Es wäre mit Sicherheit anders gekommen, wenn Brigitte K. sich nicht bereits im kindlichen Alter von neun Jahren in den Kopf gesetzt hätte, Tierärztin zu werden. Na klar! Der Traum vieler Mädchen; bei den meisten verliert er sich in den Jahren und sie werden am Ende Bäckereifachverkäuferin, Pastorin, Friseurin oder Rechtsanwältin. Oft Hausfrau, womit sie schließlich ganze Sparten der anderen Berufe bis hin zur Humanmedizinerin abdecken.
Brigitte K. war zielstrebig und arbeitete fleißig-emsig auf ihr Ziel zu, besuchte nach der Grundschule ein humanwissenschaftliches Gymnasium im westfälischen Münster, - naturgemäß deswegen, weil ihr Vater an jener höheren Bildungsanstalt als Hausmeister den Familienunterhalt verdiente und dadurch der Weg zur weiterführenden Bildung nicht gar so weit war. Nach der 13. Klasse hatte sie ihr Abitur mit der Durchschnittsnote 1,1 in der Tasche und konnte sich quasi Studienplatz wie Ort aussuchen.
Ihre Wahl fiel auf die tiermedizinische Fakultät in München. Viele Gründe stützten diese Entscheidung, einerseits kam sie durch ihr Studium weit vom Elternhaus weg, andererseits war sie in der Nähe der Berge und dem langweiligen platten Land um Münster herum entronnen. Außerdem lockte das dolce Vita der bayerischen Metropole und nicht zuletzt hatte die Veterinärmedizinische Abteilung dort einen hervorragenden Ruf.
Brigitte K. verschlug es also nach Bayern. Ein Kulturschock. Mitten im tiefsten Schwabing, in der 2. Etage des sechsstöckigen Hauses Kurfürstenstraße 11, fand sie eine fast bezahlbare Wohngelegenheit. In Wohngemeinschaft mit zwei anderen Studentinnen, Marion S. aus Würzburg und Marie H. aus Passau stand ein 25 Quadratmeter großes Zimmer frei, - für den damaligen Spottpreis von 350 Mark In dem ganzen Haus siedelten studentische Wohngemeinschaften, etwa 30 junge Menschen existierten unter einem Dach. Einzig eine Wohnung im Erdgeschoss behielt sich die Vermieterin vor, eine schwergewichtige, kurzatmige Dame in den hohen 60ern, Frau Margarethe Q.. Alle zahlten annäherungsweise identische Preise, so konnte Frau Q ein einigermaßen unbeschwertes Dasein fristen und verbrachte ihre Tage damit, sich aus dem Küchenfenster zu lehnen und die Straße vor ihrem Hauseingang beobachten.
350 Mark Mietzins, ein wenig Essen, hin und wieder ein Glas Wasser in der Kneipe, Fahrten mit der U-Bahn zur Uni.... Das Leben in München ist teuer. Trotz staatlicher Bildungsförderung, dem sogenannten „Bafög“ (heutige Studenten finden den Ausdruck in veralteten, antiquarischen Wörterbüchern) verbunden mit einem monatlichen Scheck ihres Vaters, war jeweils zum 25. eines Monats Brigitte K.´s Geldbörse leer und ausgelaugt. Dies erklärt folgerichtig, warum sie sich zusätzlich zu ihrem Studium nach sehr kurzer Zeit einen Job suchte. Da sie immer gerne gegessen hatte (was sich übrigens in ihrer Figur niemals niederschlug, ganz im Gegenteil, je mehr und öfter sie aß, umso mehr wurde sie auch von Freundinnen und jetzt in München von ihren Mitbewohnerrinnen beneidet, es wirkte ohne weiteres, als verbrenne sie jeden gekauten Bissen sofort beim Schlucken) und sich erhoffte, dort auch das ein oder andere Menü zu verputzen, verdingte Brigitte sich in einer kleinen Speisengaststätte als Servierkraft und Küchenhilfe.
Dies ging so lange gut, bis eines Tages der Chefkoch, - nebenbei bemerkt, der einzige weitere Angestellte des Wirtes, welcher selbst lediglich hinter der Zapfanlage stand und Getränke in Gläser abfüllte, wonach er diese vollen Behältnisse wechselweise entweder Brigitte zum servieren gab oder in den eigenen Schlund schüttete – sich infolge eines Verkehrsunfalls, verschuldet durch extremen Alkoholgenuss nach einer Feier, den rechten Arm und das linke Bein brach und nunmehr einige Wochen seinen Stammplatz vor dem großen achtflammigen Gasherd nicht einnahm. Brigitte konnte zwar nicht kochen, aber sie war lernfähig. Sie wusste, was gut schmeckt und übernahm kurzerhand das Kommando über Töpfe, Pfannen und Kasserollen. Von nun an kochte sie täglich Unmengen an Kartoffeln, buk Pfannkuchen und panierte Riesenschnitzel.
Langsam, aber sicher begann sie sich in München zurechtzufinden, wurde heimisch, fand Freunde und Bekannte. Zuerst natürlich in dem Hause, dessen Dach sie mit 30 weiteren jungen Menschen und der kurzatmigen Frau Q. teilte. Es traf sich gut, dass in der Nachbarwohnung des zweiten Obergeschosses eine Wohngemeinschaft aus drei jungen Männern hauste, interessanterweise waren diese übrigens Maschinenbaustudenten.
Hin und wieder, an sonnigen Samstagen, besuchte Brigitte K. mit ihren beiden Mitbewohnerrinnen den samstäglichen Flohmarkt im etwa 1800 Meter entfernten Leopold-Park. So nahm das Leben im bayerischen München für die junge Studentin aus dem westfälischen Münster seinen Gang.
Eines Tages, es war der 1.August 1981, schlenderten Brigitte K., Marion S. und Marie H. über den Trödelmarkt, als ihre Augen unversehens auf eine Waschmaschine fielen, aufgebaut vor dem Stand mit Nippes eines verwegen aussehenden Händlers. Wie elektrisiert waren alle drei: Eine Waschmaschine! Genau dieses Teil fehlte ihnen.
Ja klar sei das gute Stück in Ordnung, meinte der Mann auf ihre Frage, er habe es ausgemustert, weil seine Frau unbedingt eine mit höherer Drehzahl haben wollte. Sie wurden sich handelseinig, fünfzig Mark. Siebzig Mark, wenn er ihnen die Maschine bringen müsste, neunzig Mark, wenn er es sie bis in den zweiten Stock herauftragen sollte. Alle drei waren sich einig, - diese Aufschläge konnten sie sich sparen.
Und so rutschten sie das mit einem zentnerschweren Betonklotz versehene Ungetüm Schritt um Schritt die 1800 Meter bis zu ihrer Wohnung in die Kurfürstenstraße. Durch die Friedrichstraße, Konradstraße und weiter bis hin zum Haus Nr. 11. Kurzfristig bekamen sie auf dem ein oder anderen Meter männliche Unterstützung, die sich jedoch meist schnell erschöpft abwandte. Knapp drei Stunden benötigten sie für den kurzen Weg und waren hinterher durchgeschwitzt und patschnass wie nach einem unerwartet herabfallenden Regenguss.
Vor dem Haus jedoch trafen sie die drei studentischen Nachbarn. Nach einigen Verhandlungen und animiert durch die Aussicht auf ein riesiges Wiener Schnitzel für jeden in dem Gasthaus, in dem Brigitte K. arbeitete, fanden jene sich bereit, die Maschine hoch in den zweiten Stock zu asten.
Oben angekommen mussten alle sechs jedoch feststellen, dass sich weder in der Küche noch im Badezimmer der jungen Damen a) eine Anschlussmöglichkeit und b) Platz für eine Waschmaschine fanden. Ganz anders dagegen bei den drei Maschinenbauern.
Es folgten weitere harte Verhandlungen, mit dem abschließenden Kompromiss, die Maschine käme in die Wohnung der drei Männer, dafür dürften diese sie jederzeit nutzen. Allerdings hatten die drei Studentinnen ebenfalls ein Nutzungsrecht und rund um die Uhr Zugang zu ihrem Schmuckstück, was durch die Übergabe eines Schlüssels besiegelt wurde.
Die erste Wäsche lief hervorragend und wurde mit einer Zweiliterflasche Lambrusco in Verbund mit einem riesigen Topf Spaghetti gefeiert.
Auch die zweite Trommel, bei einer weiteren Flasche italienischem Landwein, zeigte hervorragende Ergebnisse.
So ging alles seinen Lauf. Brigitte K. arbeitete in der Gastwirtschaft, studierte, kurzum, das Leben war in Ordnung.
Drei Wochen später, also am 22. August 1981, kam sie nach Hause, wollte waschen und fand die Maschine in einer großen Wasserlache stehend und alle anderen drumherum miteinander in ein großes Palaver verwickelt. Nichts tat sich mehr. Nach gemeinsamen aufwischen untersuchten die Maschinenbauer das gute Stück und kamen eindeutig zu der Auffassung, dass sich die Lager festgefressen hatten und die Maschine nicht mehr arbeitsbereit zu bekommen sei. Die Mädels sollten sie gefälligst entsorgen.
Es folgte ein weiteres großes Palaver, welches damit endete, dass alle zusammen anfassen und das Ungetüm fortschaffen würden. Doch wohin?
Sperrmüll kostete bereits damals in München viel Geld, das Gerät einfach an eine Ecke stellen, kam nicht in Betracht. Man verständigte sich auf einen genialen Plan und machte sich an die Arbeit.
Zwei Stockwerke herunter, wieder durch die Kurfürstenstraße, in die Georgenstraße bis zur Leopoldstraße und zur U-Bahn-Giselastraße. Rolltreppe runter. 17 Uhr, Feierabend in den Münchener Büros, die U-Bahn war voll. Die sechs jungen Leute drängten sich mit dem weißen Ungeheuer hinein in die Linie 6. Wagen drei, mitten drin. Kurz vor dem Stachus entfernten sich alle ganz unschuldig von der Waschmaschine.
Seitdem steht in der Münchener U-Bahn-Linie 6 auf der Strecke zwischen Großhadern und Garching eine Waschmaschine. In Wagen drei. Nunmehr 25 Jahre. Sie gehört zum Inventar, hat bei den Münchener Verkehrsbetrieben eine Bestandsnummer und wird jedes Jahr gezählt. Niemand wundert sich, sie gehört zum täglichen Umfeld der Fahrgäste. Ihr wisst jetzt, warum.
Brigitte K. übrigens wechselte nach einigen Semestern das Studium. Heute ist sie eine angesehene Juristin mit gut laufender Praxis in der Innenstadt von Dortmund. Marion S. betreibt einen Ökoladen in Minden und Marie H. hat den Bauernhof ihrer Eltern übernommen. Alle drei treffen sich einmal im Jahr im Wienerwald auf der Leopoldstraße in München. Von den Maschinenbauern hat man nichts mehr gehört. Frau Q. lebt immer noch, kassiert ihre Miete mittlerweile in Euro und hat abgenommen.
(C) Thomas Mentzel
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