jule
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 21.08.2005 um 16:22 Uhr |
"Unter der Haut" ist der erste Band von Doris Lessings Autobiografie. Diese zu verfassen ist ihr zur Notwendigkeit geworden, nachdem die ersten Biografien über sie auf dem Markt erschienen, teilweise von Verfassern, die noch nie mit ihr selbst gesprochen hatten. Doris Lessing schildert hier ihre ersten dreißig Lebensjahren, die sie zunächst in Persien, dann in Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, verbrachte. Ihre Mutter erinnert sie als kontrollbedürftige, harte Frau. Doris, eigentlich ein empfindsames, ängstliches Mädchen, versteckt sich früh hinter de Rolle des "Tigger": fröhlich, robust, tüchtig.
Doris braucht lange, um ihren Platz zu finden. Mit Anfang 20 heiratet sie, bekommt zwei Kinder und führt ein typisches Kleinstadtleben. Die Ehe scheitert, bei der Scheidung lässt Doris auch die beiden Kinder zurück. Sie bekommt Kontakt zu kommunistischen Kreisen. In der Rückschau beleuchtet Doris Lessing die Hoffnungen und Verblendungen damaliger Kommunisten. Sie kann sich nie ganz mit der politischen Linie identifizieren, findet hier aber etwas, was ihr Leben von da an leitet: Utopien und den Mut zur Veränderung.
Dieses Buch zeigt eine gedankliche Welt, die von der heutigen so weit entfernt scheint: Einseitiges Rassen- und Klassendenken beherrscht den gesellschaftlichen Alltag. Doris Lessing erklärt, bilanziert und zieht Vergleiche:
"Heutzutage werden wir von einem anderen tödlichen Unglauben heimgesucht: Wir sind nicht intelligent genung - wir, die menschliche Rasse - , um eine neue Welt zu schaffen oder auch nur die alte vor der Zerstörung zu bewahren. Das ist eine Fortführung des alten Zyniymus, der die andere Seite unserer schamlos naiven träume darstellt und in dem Satz zum Ausdruck kommt: Was kann man schon erwarten?"
An anderer Stelle beleuchtet Doris Lessing in der für sie typischen trockenen, selbstironischen Art die Gedankenwelt der damaligen Kommunisten:
"Durch Wolken von Zigarettenrauch betrachteten wir das ideale Leben, das im oberflächlichen Salisbury nicht zu finden war, sondern nur in Europa, in Wien, wo wir uns alle hinwünschten, um zusammen mit anderen edlen Naturen ein edles Leben zu führen".
Dieser Autobiografie fehlt die stimmmige Komposition eines Romans. Dass Doris Lessing sich der Ehrlichkeit und Vollständigkeit verpflichtet fühlt, geht hin und wieder auf Kosten der Leserfreundlichkeit. Das Besondere an diesem Buch ist für mich, dass Doris Lessing den Geist jener Zeit nicht nur genau unter die Lupe nimmt, sondern ihn mit der nüchternen Distanz der Jahre betrachtet und mit unserer heutigen Weltsicht konfrontiert.
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