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Literaturforum: Johannes Robert Becher


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Forum > Literaturgeschichte & -theorie > Johannes Robert Becher
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 Thema: Johannes Robert Becher
LX.C
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20. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 23.05.2006 um 00:49 Uhr

[Quote]Mit dem Untertan habe ich mich vertan[/Quote]
Ja, ich glaube viel mehr, damit war Heinrich Manns Verhältnis zur französischen Republik gemeint.


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LX.C
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21. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 27.11.2006 um 13:49 Uhr

Zur Nachkriegsdichtung Bechers:

[Quote]Bewusst suchte Becher Zugang zu der nach 1945 doch grundsätzlich veränderten Situation in bezug auf eine konkrete, massenwirksame Funktion seiner Lyrik. Doch die allzu eng, bisweilen undistanzierte Zwiesprache mit dem unentwickelten Bewusstsein vieler Leser, die sich aus dieser poetischen Konzeption ergab, sowie die eigene Unsicherheit gegenüber den widersprüchlichen Erfahrungen der Nachkriegszeit führte auch zu Verschwommenheit und Unverbindlichkeit in der Problemstellung und im Bildaufbau mancher Gedichte. Die Neigung zu Bildern und Begriffen, die an humanistische Traditionen gebunden waren, inhaltlich aber oft zu allgemein blieben, sowie das Streben nach kunstvoller Stilisierung (mit der Becher auch formal das "Chaos" bändigen und zur "Harmonie" zwingen wollte) ließen wenig Spielraum für die Aufnahme der nüchternen Realität, für eine eindeutige poetische Benennung der realen gesellschaftlichen Widersprüche.

Quelle: Haase, Geerdts, Kühne, Pallus: Geschichte der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik, Volk und Wissen, Berlin 1976, S. 88. [/Quote]

Dabei kann ich noch ergänzen, dass neben "Die Heimkehr", Dichtungen aus dem Jahre 1946, im Jahr 1946 auch die Sammlung "Die Hohe Warte" erschien, die insbesondere Werke aus dem Exil beinhaltet.


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Kenon
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22. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 06.12.2006 um 12:14 Uhr

Gerade in der Sammlung "Die hohe Warte" wird deutlich, dass Becher zu enormen qualitativen Schwankungen in seinem Werk - fähig war. Aus künstlerischer Sicht halte ich insbesondere die Hass-Tiraden auf das NS-Regime, so "richtig" sie inhaltlich auch sein mögen, für äußerst misslungen. Gedichte können die Wirklichkeit eben nicht ändern.

Dagegen dann Zeilen wie diese:

Zitat:

Von freien Rhythmen wunderbar getragen
- die Reime standen da, wie angereiht,
Und klangen auf, um sanft ihm nachzuklagen -
So schwand er hin in die Unendlichkeit.

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LX.C
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23. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 18.12.2006 um 16:54 Uhr

Das Motiv des Expressionismus war, dass die geistige und die gesellschaftliche Welt nicht so bleiben sollte, wie sie war. Ist Bechers Entwicklung da nicht nur logische Konsequenz, quasi eine Folgerscheinung des Expressionismus, der politisch/gesellschaftlich zu nichts eigenes hätte führen können?


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Kenon
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24. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 19.12.2006 um 12:33 Uhr

Zitat:

Das Motiv des Expressionismus war, dass die geistige und die gesellschaftliche Welt nicht so bleiben sollte, wie sie war.

Der Expressionismus in der Literatur ist der historisch gewordene Ausdruck einer geistig kranken Zivilisation, die ihren Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg erfuhr. Es mag einem nicht als Zufall erscheinen, dass gerade der gefeierte "Begründer" der expressionistischen Lyrik - Jakob van Hoddis - an Schizophrenie[?] litt. "Heilung" von den Krankheiten dieser Welt suchten die lyrischen Expressionisten in der Ablehnung des bürgerlichen Lebens, im Pathos, in der Überreizung und im "Neuerfinden" der Sprache, dem Herbeirufen eines "Weltendes", der intensiven Pflege von Todessehnsüchten usw. usf. Wer von diesen expressionistischen Lyrikern nicht im Weltkrieg fiel, wahnsinnig wurde, sich zu Tode berauschte oder seinem Leben auf andere Art ein schnelles Ende setzte, wer seine Dichterexistenz fortführte und am Willen, die Welt zu verändern, festhielt, konnte wie Becher beim Kommunismus landen - oder wie Benn im Nationalsozialismus.

Jede Art von Ablehnung neigt dazu, irgendwann doch positiv zu werden (man denke z.B. an den gänzlich humorlosen Vernunftssüchtler Luther).
Gerade bei Becher finden wir immer wieder den tiefen Wunsch, bei allem Nein auch "Ja!" sagen zu können: Ja! zu Lenin, Ja! zur Sowjetunion, Ja! zum Frieden, Ja! zur kommunistischen Neugestaltung des östlichen Deutschlands usw. Es geht mir hier nicht darum, dieses Ja-Sagen zu werten, um welchen Preis es erkauft worden ist, wieviel Blindheit dafür nötig war etc. Die Frage ist, ob Becher jenseits politisch-ideologischer Betrachtungen als eine bleibende Größe in der deutschen Literatur anerkannt werden kann. Ich habe meine Antwort auf diese Frage nach der Lektüre eines beträchtlichen Teils von Bechers Œuvre gefunden.

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LX.C
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25. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.12.2006 um 10:11 Uhr

[Quote]wer seine Dichterexistenz fortführte und am Willen, die Welt zu verändern, festhielt, konnte wie Becher beim Kommunismus landen - oder wie Benn im Nationalsozialismus.[/Quote]

Ja, genau dieser Gedanke drängte sich mir eben auf, als ich mich an jenem Tag wieder mit dem Expressionismus beschäftigte. Ein Weiterleben und wieder Zergehen in bestehenden Strukturen scheint nach dem Expressionismus irgendwie nicht denkbar.


[Quote]Die Frage ist, ob Becher jenseits politisch-ideologischer Betrachtungen als eine bleibende Größe in der deutschen Literatur anerkannt werden kann.[/Quote]

Ich finde es immer bedauerlich, wenn Becher nach dem heutigem historischen Erkenntnisstand abgeurteilt wird. Ein Erkenntnisstand, den Becher damals noch gar nicht haben konnte. Natürlich kann man, und vielleicht muss man es sogar, ihm vorwerfen, einer der kritiklosesten, angepasstesten gewesen zu sein. Aber er stand eben, in einer Zeit, in der die Bekämpfung des Faschismus Priorität hatte und die Verwirklichung seiner politischen Ideale zum greifen nah schienen, an der Spitze der proletarisch-revolutionären Schriftstellerbewegung und hat unter allen widrigen Umständen versucht, diese so stark wie möglich zu machen. Aus meiner Sicht, die sich fast ausschließlich aus der Beschäftigung mit der politisch-historischen Figur Becher erschließt, ist Becher immer in erster Linie als Schriftsteller zu benennen, politisch engagiert, aber Schriftsteller.

Soweit noch also ein paar Worte von mir, ohne dein wirklich gutes Plädoyer damit verschandeln zu wollen.


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LX.C
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26. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 21.12.2006 um 11:05 Uhr

[Quote]Die politische Aufgabe des Schriftstellers ist nicht, Macht auszuüben, sondern der Macht den Geist entgegenzustellen, dem Volk zu zeigen, was Wahrheit und Gerechtigkeit ist, und ihm so das für die politische Mündigkeit erforderliche Selbstvertrauen zu geben. (Mann, Heinrich: Geist und Tat (Essay), 1910.) [/Quote]

Kann man sich überlegen, ob Becher danach gehandelt hat. Meiner Meinung nach ja, sein politisches Wirken konzentrierte sich ja im Zweiten WK vor allem auf die Einheits- und Volksfront, und das direkt oder indirekt stets im Rahmen der Literatur. An einen Ministerposten hatte er zu dem Zeitpunkt sicher nicht gedacht, der ja eh nur eine kleiner Ausflug war, von dem zudem die wenigsten noch wissen.

In "Vom Naturalismus zum Expressionismus, Literatur des Kaiserreichs" sind im Bezug auf den Expressionismus seine Werke : An Europa (1916), Verbrüderung (1916), Päan gegen die Zeit (1918) als Empfehlung angegeben. Falls sich jemand mal ein Bild machen möchte.


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LX.C
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27. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 31.12.2006 um 01:18 Uhr

Auch noch mal der junge Becher, aus dem Gedicht Verfall (vor 1920):
[Quote]
[...]

Der ich mich dir, weite Welt,
Hingab, leicht vertrauend,
Sieh, der arme Leib verfällt,
Doch mein Geist die Heimat schaut.
Nacht, dein Schlummer tröstet mich,
Mund ruht tief und Arm.
Heller Tag, du lösest mich
Auf in Unruh ganz und Harm.

Dass ich keinen Ausweg finde,
Ach, so weh zerteilt!
Blende bald, bald blind und Binde.
Dass kein Kuss mich heilt!
Dass ich keinen Ausweg finde,
Trag wohl ich nur Schuld:
Wildstrom, Blut und Feuerwind
Schande, Ungeduld.

[...]
[/Quote]


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Kenon
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28. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 03.01.2007 um 09:51 Uhr

Becher war sich - zumindest in seinen späten Jahren - durchaus bewusst, was sein politisches Engagement für seine Poesie bedeutet hat:

Zitat:

Als Dichter muss ich erst noch entdeckt werden, was das Politische bis jetzt verhindert. Meine eigentliche poetische Seele - wer kümmert sich darum. Lukács hätte das Zeug dazu, aber jetzt liest er darüber hinweg und stellt mich nur "im Zusammenhang" dar. Ja, alle machen dort halt, wo bei mir die eigentliche Poesie beginnt, und doch ist nur von dorther alles andere erklärlich und deutbar.

Johannes R. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951. Berlin und Weimar 1969. S. 480.

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michael1639
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1 Forenbeitrag
seit dem 28.05.2008

     
29. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 28.05.2008 um 22:11 Uhr

Zitat:

Zitat:

Ich lese gerade Bechers Gedichtsammlung "An Europa" von 1916. Zu dieser Zeit ist der Dichter jung, wagt etwas sehr eigenständiges, ist genial.


Sehr sprachgewaltig. - Du schreibst, Becher wage hier etwas sehr eigenständiges und ich habe mich beim Lesen gefragt, welche Dichter Becher wohl beeinflusst haben mögen in seinem Schaffen. Weißt Du etwas darüber?

Ein Dichter, den der junge Becher sehr verehrte, war Heinrich von Kleist. Bechers literarisches Debut 1911, zu Kleists 100. Todesjahr, war eine ´Kleist-Hymne´, deren Titel mir gerade entfallen ist, und auch Bechers Selbstmordversuch mit seiner Geliebten 1910 folgte offensichtlich dem Vorbild von Kleists Selbstmord mit Henriette Vogel. Das Prosagedicht ´Die Schlacht´ von 1916 enthält außerdem eine Eloge auf Walt Whitman.

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