Ein gutes Gedicht ist wie ein reicher Brunnen, aus dem man immer wieder schöpfen kann.
Einer meiner diesbezüglichen Hauptbrunnen ist nun schon seit Jahrzehnten Ingeborg Bachmanns Werk.
Und richtigerweise gibt es auch lyrische Sprachen, die sich einem auch beim tausendsten Lesen nicht erschließen, weil des Schreibers Geist beim Schreiben völlig anders schwang, als der eigene nachzuschwingen vermochte.
Zitat:
Und was bezeugt schon dein Herz?
Zwischen gestern und morgen schwingt es,
lautlos und fremd,
und was es schlägt,
ist schon sein Fall aus der Zeit.
Aus dem Gedicht: Ingeborg Bachmann - Fall ab, Herz.
Kroni
Mitglied 145 Forenbeiträge seit dem 21.08.2006
Gute Gedichte sind per se Geist und Vernunft (nous) und Seele (psyche) des Alls (kosmos) in Einem (hen), und die Widersprüchlichkeit (paradoxon) und das wesen der Musik gehören dazu. Meine bescheidene Philosophie.
Gruß
Hyperion
Das ist nicht bescheiden, das ist eine ungeheure Anmaßung. Zu meinen, ein Mensch könne den Kosmos in seiner Gesamtheit erfassen und in Worte (oder sonstige Chiffren) bringen. Noch nie was von Heisenberg oder Gödel gehört ? Mal Steven Hawking gelesen ? Nicht ?
Dann wirds aber höchste Zeit !
Gruß
Kroni
Herr Aldi
Mitglied 106 Forenbeiträge seit dem 21.05.2005
Großartig, diese Kombination aus bewusstem Falschverstehen und dem Glauben, die Interpretationshoheit über Heisenbergs Thesen zu besitzen. Wie entwürdigt man den Tod am besten? Indem man den Willen hinterlässt, im Sarg auf den Bauch gelegt zu werden. (Wolfgang Hildesheimer)
Matze
Mitglied 719 Forenbeiträge seit dem 09.04.2006
Diese Nachricht wurde von Hyperion um 22:40:33 am 09.01.2007 editiert
Zitat:
Reimt es sich nicht / ist´s auch kein Gedicht
Du hast im gewissen Sinne Recht, Matze. Der Reim ist eine rein deutsche Erfindung (im Mediävistik-Seminar lernt man sowas auch), das Wort kommt aus dem Germanischen "Rim" und im Nibelungenlied gibt es unter anderem auch Binnenreime als Besonderheit, und jede Menge Reime. Im alten China kannte man auch Reime, aber auf europäischem Boden erst im germanischen Mittelalter. Die Griechen und Römer haben keinen Reim gekannt/gehabt, was nicht aber heißt, dass sie unmusikalisch waren, im Gegenteil, Petrarca hat ihn nicht nur salonfähig gemacht, er hat Reime zelebriert. Später haben alle Länder und Sprachen der Welt die Reime übernommen.
Gruß
Hyperion
Matze
Mitglied 719 Forenbeiträge seit dem 09.04.2006
ich meinte das ironisch. In einer Zeit, in der wie "Mut zur Freiheit haben" üssen und sogar die Sexualität gefesselt ist, warum reinem dann die Hahn und die Schwitzzwerge?
Es ist zu befürchten, daß der Traum von der Unmittelbarkeit der Lyrik seit langem ausgeträumt ist. Das lyrische Ich des 21. jahunderts kann sich am besten dadurch qualifizieren, daß es seine Beziehung zu einem Ich aus Fleisch und Blut abbricht. Dies ist eine radikale Absage an den Glauben des 18. Jahrhunderts, Gedichte seien Ausdruck des Gefühls, sie enthielten Nachrichten des Verfassers in Versform.
Grüßken, Matze
Gast873
Mitglied 1457 Forenbeiträge seit dem 22.06.2006
Was aber deiner Interpretation nach bedeuten würde, falls man sich dessen entschließt, Reime zu kippen zu knicken, auf sie zu verzichten, dass man zurück zum idealtypischen Griechischen Muster zurückkehrt. Auch nicht schlecht. Nur mögen die Gedichte dann auch bitte gelingen. Ich wäre d´accord. Denn es gibt sowohl gute Gedichte mit als auch ihne Reim.
Ich habe neulich Goethes "Römische Elegien" als Hörbuch geschenkt bekommen. Verdammt, ich weiß jetzt besser, was gute Gedichte sind. Goethe ist göttlich.
Gruß
Hyperion
LX.C
Mitglied 1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
Meint Matze nicht, dass der Ursprüngliche Sinn der Gedichte war, in die Zweisamkeit zu führen oder diese zu besingen. Und nicht wie heute, sich dieser entledigen zu müssen, um Gedichte schreiben zu können. Dass das Gedicht somit seinen ursprünglichen Sinn verloren hat? Gescheitert ist? Verstehe ich das richtig? .
Gast873
Mitglied 1457 Forenbeiträge seit dem 22.06.2006
Diese Nachricht wurde von Hyperion um 15:47:44 am 10.01.2007 editiert
Nun, wenn man sich heute die Flut der Hausfrauen-Gedichte, der verschmitzten Schüler, die meinen, Gedichte zu schreiben sei ihre Privatangelegenheit, und nicht eine Frage der ganzen Menschheit und der Geschichte, nicht eine Verbindung von Sinnlichkeit und Vernunft, dann könnte Matze Recht haben.
Ich wollte nur die Widersprüchlichkeit in ihrer Reinform aufweisen und deutlich machen, dass die deutsche Erfindung der Reime schon eine Revolution an sich war, weil die deutsche, harte Sprache ohne die Reime etwas unmusikalisch klingt und man sich zudem vom Altertum deutlich distanzieren wollte. Würde man heute auf Reime verzichten, dann wäre das ein Regreß, und um diesen als metaphysisch-lyrische Kränkung zu kaschieren, müssten die heutigen Gedichte besser sein als die der Griechen. Das scheint mir fast unmöglich. In diesem Konsens bewegen wir uns ja in unserer Meinung, denke ich.
Gruß
Hyperion
bodhi
Mitglied 741 Forenbeiträge seit dem 08.12.2004