A.J. Weigoni gehört zu den meistunterschätzten Lyrikern, sein Schaffen erzeugt eine Poesie, die von der Rezeption das Äußerste an Selbstpreisgabe verlangt. Oft wird im Literaturbetrieb übersehen, daß gerade aus solcher Herausforderung die Subjektivität des– oder derjenigen, der oder die sich auf diese Kunstwerke eingelassen hat, sich auf Dauer verändert – die Wahrnehmungsfähigkeit, die Weltsicht, das Zulassen von Gefühlen. Im digitalen Zeitalter geht der Schrift der Sinn und damit die Sinnlichkeit immer mehr verloren; so scheint es. Weigoni bewegt sich auf dem Hörbuch »Gedichte« gleichfalls in der Intermedialität von Musik und Dichtung, er sucht mit atmosphärischem Verständnis die Poesie im ältesten "Literaturclip", den die Menschheit kennt: dem Gedicht!
MetaPhon ab August mit »Letternmusik, ein drama giocoso«
Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der "Letternmusik" von A.J. Weigoni gemacht, herausgekommen ist die aktuelle Variante eines drama giocoso. Die Fertigstellung seines Remix ist gebunden an den Umstand, daß das Ganze wiederum „Sinn“ macht, das unterscheidet den Remix von Stephan Flommersfeld von einem Remake und vom Recycling: Remixen ist hier auch eine Autorenangelegenheit. Die ideale Form für den Remix ist der Clip: ein audiophones Geschehen, das sowohl in der Länge als auch im inneren Aufbau (Refrain, Strophe, Bridge) einem Popsong ähnelt. Tatsächlich benutzt Stephan Flommersfeld gern einen solchen als Grundlage für die Montage. Dieser Remix der »Letternmusik« ist ein Platz für den artistischen Bau autarker Sprachkonstrukte außerhalb der alltäglichen Rede und normierter Sprachregularien. Dieses Freigelassene, Strömende entsteht durch Präzision, Klarheit und Konzentration. Diese Gedichte oszillieren zwischen dem lyrischen Protestgedicht und dem politischen Liebesgedicht. Sie sollen daran erinnern, was Poesie ursprünglich war: Gesang, Melodie und Rhythmus, Reim und Versmass, Litanei und Mythos. In einem beständigen Remix der Töne wird die entzweite Welt neu zusammengefügt. Mit ihrem parlandoartigen Konversationston changiert Flommersfelds neue Komposition zwischen Komödie und Tragödie. Die Klangbilder sind scharf konturiert, agogische und dynamische Verläufe oft abrupt, die Farben abwechselnd grell und düster. Die Wahl der Tempi macht die unerbittliche Dringlichkeit der Verläufe spürbar, und manchmal überstürzen sich die Dinge und die Musik mit ihnen. Sie ist immer mitten im Kern des Geschehens und trägt auch immer zu dessen Deutung bei. Diese Komposition ist von hypnotischer Wirkung, minimalistisch und doch komplex, hochgradig virtuos, ungeheuer rauschhaft in den Ausbrüchen, getragen von einer tiefen Spiritualität und Innerlichkeit. Es ist schwer, sich den Reizen dieser Klangwelten zu entziehen. Flommersfelds Komposition hat viele eindrucksvolle Momente, vor allem im Lyrischen. Nach Spielerei klingt das nicht, alles findet wie selbstverständlich zueinander. Mal hallen düstere Akkorde wie von weit her, mal flirren Melodien in seltsam schillernden Farben. Die Kompositionen von Stephan Flommersfeld entspringen einem emotionalen Kontext. Am Anfang ist das fühlende Subjekt. In ihm entsteht die Musik, die dann nach außen tritt. Ihr Klang ist reine Ästhetik, abhängig von äußeren Einflüssen.
Ernst Meister gehört zu den bedeutendsten Lyrikern nach dem 2. Weltkrieg. Am 3. September 2011 wäre dieser Dichter 100 Jahre alt geworden.
Ernst Meister wuchs in Hagen-Haspe auf und besuchte dort das Gymnasium. Anschließend begann er auf Drängen seines Vaters das Studium der evangelischen Theologie, wechselte aber bald zur Philosophie und Literatur. Dann kam der 2. Weltkrieg und Meister wurde Soldat. Versuche, das Studium mit der Promotion abzuschließen, scheiterten. Ebenso Meisters Versuche, in der Fabrik seines Vaters einem „normalen“ Brotberuf nachzugehen. Meister lebte seit den 1950er Jahren in Hagen als freischaffender Künstler in einfachen Verhältnissen. Inzwischen verheiratet und mehrfacher Familienvater, litt er notorisch unter Geldmangel. Seine Gedichtbände, die in rascher Folge erschienen, waren finanziell wenig einträglich.
Im Zusammenhang mit dem Schmallenberger Dichterstreit spielt Meister eine zentrale Rolle. Das Dichtertreffen im Jahr 1956 bedeutete einen Wendepunkt in der westfälischen Literatur. Damals begehrte eine junge Autorengeneration um Hans Dieter Schwarze und Paul Schallück gegen die seinerzeit gefeierten westfälischen Heimatdichter auf, die vielfach NS-belastet waren. Die Jüngeren forderten den Anschluss an die moderne Dichtung. Es kam zu einem Eklat und jahrelangen Diskussionen über das „Westfälische in der Literatur“ und literarisches Heimatbewusstsein. Meister hielt sich aus diesen wütenden Kontroversen heraus, er verkörperte aber mit seinen abstrakten und teilweise hermetischen Gedichten ein neues literarisches Formbewusstsein. Für die jungen Rebellen war Meister so etwas wie eine Galionsfigur. Man kann also sagen, dass mit Ernst Meister die Moderne Einzug in die westfälische Literatur hielt.
1962 schrieb Walter Jens über Meister in der Zeit: „Es gibt nicht viele Verkannte in unserem Land; aber einige gibt es, und einer von ihnen ist der Lyriker Meister.“ Solche Statements halfen mit, Meister in der Literaturszene Deutschlands zu etablieren. Es gibt Themen, die sich wie ein roter Faden durch sein Werk ziehen. Hierzu gehört die Auseinandersetzung mit der Existenz an sich. Auch die Beschäftigung mit antiker Mythologie und dem Glauben sind für längere Schaffensperioden charakteristisch. Meisters späte Gedichte umkreisen in immer konzentrierterer Form das Thema Tod. 1979 schrieb ihm der Philosoph E.M. Cioran: „Selten hat sich ein Dichter so weit in den Tod hineingewagt wie Sie. Das ist Ihr Sieg.“
Seine Dichtung ist quasi eine intellektuelle Poesie in Form einer meditativen und gedanklich tief schürfenden Lyrik, die nach den Grundformen und Grundbedingungen menschlicher Existenz in der, wie Meister es sah, ´kosmischen Preisgegebenheit´ fragt. Gleich funkelnden Kristallen blieben vor allem seine Gedichte die auch heute noch wahrgenommenen Schätze, über die der Lyriker vor Vers-Beginn einmal sagte: „Ein Gedicht ist ein Ereignis, das durch sich selbst in der Direktheit seiner Existenz wirken muss“.
Die Lesung, die auf MetaPhon zu hören ist, wurde in einer Reihe präsentiert, die Doris und Hans-Werner Gey ihrer Galerie in den 1970-ern in Hagen veranstalteten. Weiter Informationen zum Kooperationspartner unter: www.lyrikwelt.de
2007 war ein denkwürdiges Jahr. In einer auf einem Dachboden vergessenen Kiste wurden Videoaufnahmen aus den Jahren 1992 - 1996 von den legendären Welttourneen der damals ziemlich angesagten Düsseldorfer Kultkapelle "Ernst Frosch & Die Original Oberkellner" gefunden und sogleich digital aufbereitet. An anderer Stelle wurde bereits darüber berichtet.
Ernst Frosch & Die Original Oberkellner - das war nicht einfach nur ein Mix aus Rock´n Roll und Comedy. Nein, eine Rockband muss auch den Blues haben ....
Der Humor der Truppe war nicht nur auf äußerst aggressive Weise unpolitisch, er zeichnete sich insbesondere durch eine geradezu magische Perfektion des Unperfekten aus, das immer kurz vor dem Abschmieren steht ..., aber sehen Sie selbst:
Viel wurde in den letzten Jahren über Popliteratur geschrieben. Ein weithin unbeachteter Aspekt ist dabei, daß maßgebliche Impulse für die Entstehung einer Popliteratur vom Rheinland ausgingen. Am Anfang standen die Autoren und Übersetzer Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla, die ab Mitte der 1960er Jahre in Köln lebten und von hier aus der amerikanischen Beat- und Untergrund-Literatur deutschlandweite Aufmerksamkeit verschafften.
In Düsseldorf betrieben A. J. Weigoni und Frank Michaelis im Akademie-Umfeld mit der Literatur eine multimediale Hörspielerei zwischen Performance, Theater und Lesung. Bereits 1991 legte dieses Duo die zum Schlagwort gewordenen »Literaturclips« vor. Den Hörbuchpionieren kommt damit das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.
Diese Literaturclips mögen heiße Luft sein, sind aber angereichert mit purem Sauerstoff. Sauerstoffhappen, eher Häppchen, die den Ohrganismus am Überleben halten. Das frühzeitige Erkennen, daß in der Kürze der einzelnen Beiträge der Erfolg zum langen Atem liegt – beim Produzenten vielleicht, beim Zuhörer gewiss – ist sehr hoch anzurechnen. Mit der Kürze entsteht eine Konzentration auf das Elementare. Beinahe verschwörerisch rezitiert Weigoni den »Schwebebahn«-Text. Michaelis bläst ein Saxophon, dessen bewußt blecherne Schwüle leicht eine ganze New Yorker U–Bahn–Station unterhalten könnte. Wahrscheinlich haben sich die Artisten deshalb beim Dreh in Wuppertal so heimisch gefühlt.
Diese »Zombies« sind Fiktion, dabei ist kaum etwas erfunden. Die von A.J. Weigoni als ‘hypermoderne Menschen’ beschriebenen Typen erleben eine Zergliederung und Fragmentierung des Abgebildeten, Veränderungen und Verstümmelungen des eigenen Körpers, sie sind das ästhetische Untersuchungsprogramm.
Das Heilige und das Obszöne liegen in ihrem Schaffen dicht beieinander. In ihrem neuen Video lernen wir die Doppelbegabung einer Sirene zu schätzen. Einem Song von Pia Lund mit vollem Herzen zu lauschen, erfordert eine gewisse Leidensbereitschaft. Es ist fast so, als ob man sich ein Tattoo stechen läßt: es kribbelt, es brennt, die Stiche gehen unter die Haut, aber diese Schmerzen gehören zum Preis der Schönheit.
Die Reihe MetaPhon präsentierte das erste Buch in Deutschland (1990 erschien »Monster« von A.J. Weigoni gleichfalls im Krash Verlag ! – Klugscheißmodus aus), das zurecht den Namen TRASH trug - nicht nur im Titel, auch der Inhalt hält, was er verspricht.... Kürzest-Prosa, die in hektisch-saloppem Sprachgestus alltägliche und trivialste Beobachtungen aufgreift und in Frage stellt: “trash” = Abfall ist buchstäblich Thema vieler Texte, die immer nahe an der Realität bleiben - bis hin zur unmittelbaren Authentizität.
Enno Stahl schrieb diese Texte um 1990. Sie richteten sich gegen den offiziösen, in Langeweile erstarrten Literaturbetrieb der Achtziger Jahre, indem hier Dinge zu Literatur erhoben wurden, die von den herrschenden kulturellen Normen der BRD explizit ausgeschlossen waren: Berber, Drogensüchtige und andere minderprivilegierte Randgruppen der Wohlstandsgesellschaft. Das Buch "Trash me!", dass die hier eingelesenen Trash Stories und andere Texte vereinte, war ein erstes Zeugnis dessen, was in den kommenden Jahren auch von anderen Autoren literarisch umgesetzt wurde, Enno Stahl selbst definierte diese Richtung im Vorwort zu seinem Sammelband "German Trash (Galrev Verlag, 2006) als "Literatur aus Abfall, aus Fundstücken, Junklit, welche die Welt als gegeben hinnimmt und sie nicht in Kunsthaftigkeit zu simulieren vorgibt".
Mit der sogenannten Compact Cassette kam ich erst spät in Berührung. Dies liegt daran, daß ich diesen Tonträger als ästhetischen Gründen ablehnte, weil er in ein häßliches Kunststoffgehäuse eingeschlossen war. Zum anderen der Klang, der nun digital als mp3 wiederkehrt.
Zu Gast bei einem befreundeten Paar saßen wird in großer Runde beisammen als ein Kind im Schlafanzug in die Runde platze und sich über das Klacken beschwerte. Der Vater versicherte, es handele sich über die Geräusche von Hui Buh, dem Schoßgespenst. Das Kind gab sich mit dieser Begründung zufrieden.
Ein wenig später, ich kam gerade von der Toilette, hört ich ein rhythmisches Klacken auf dem Kinderzimmer. Bei Untersuchung des Abspielgeräts stellte sich heraus, daß die Abschaltvorrichtung des Geräts defekt war. Die sogenannte Einschlafkassette erfüllte nicht die Funktion und das Kind schlief erst, nachdem ich ihm eine Einschlafgeschichte vorgelesen hatte.
Diese Szene kommt mir oft vor Augen, wenn ich über die Generation der Kassettenkinder lese. Selbstverständlich ist diese soziologiosche Studie auch ein Thema für die kulturnotizen. Zur Verständnisförderung greifen wir auf Kuno ich auf Immanuel Kants Idee einer "erweiterten Denkungsart" zurück. Wenn man den anderen Menschen verstehen will, dann muß man zunächst über seinen eigenen Schatten springen, genauer von sich selbst, seinen eigenen Prinzipien absehen. Man muß schließlich seinen Horizont erweitern, indem man sich in die Lage eines anderen Menschen hineinversetzt, nicht um ihn leichter hinters Licht zu führen, sondern um seine Urteile und Einschätzungen nachzuvollziehen. Wenn man unter den Bedingungen der Globalisierung in einer pluralistischen Welt der vielen Weltanschauungen lebt, wenn die Menschen also keine gemeinsamen obersten Werte mehr verbinden, dann braucht man vor allem derartige Kompetenzen oder Tugenden: Denkvermögen, Urteilskraft, Wahrhaftigkeit. Dazu reichen ethische Normen alleine nicht aus.
Dem Essay Notes on „Camp von Susan Sontag folgend, stellen wir auf Kuno unterschiedliche Form der kulturellen Äußerungen vor, dazu gehören auch die Trivialmythen der sogenannten Kassettenkinder. Die herausragenden Figuren dieser Szene haben wir in den letzten Wochen mit einem Porträt gewürdigt:
Am 16. September 2011 kündigte das Hörspiel-Label EUROPA an, ab 2012 keine MCs mehr zu produzieren, lediglich für die Serie mit den meisten MC-Sammlern (Die drei ???) würde die Produktion noch weiterlaufen. Als Grund nannte EUROPA, dass die MC-Käufe immer weiter zurückgehen und die Vorräte des rechtzeitig gesicherten Bandmaterials nicht mehr lange reichen werden, daher will man sich auf die MC-Sammler konzentrieren. Betroffen von der MC-Einstellung sind hauptsächlich Kinderserien wie Bob der Baumeister, Thomas, die kleine Lokomotive, Ritter Rost, Hui Buh, Die Teufelskicker, Hanni und Nanni sowie die recht bekannten Hörspielserien Fünf Freunde und TKKG.
Werden die Kassettenkinder nun erwachsen?
Matze
Mitglied 719 Forenbeiträge seit dem 09.04.2006
„Würde man mich fragen, welcher Dichter, der einer vergleichsweise
größeren Öffentlichkeit nahezu unbekannt ist, zu den wichtigsten Stimmen
gegenwärtiger Lyrik gehört, ich zögerte keinen Augenblick: Mit Hel haben
wir einen Meister der gereimten Form, der es wie kein anderer
deutschsprachiger Dichter versteht, Alltägliches in ein Sonett zu
bringen, Soziales und Politisches. Bei ihm finden wir die Spinne auf der
Biotonne wieder im Gedicht und die Billigjobbank von der Stargarder
Straße, einen alten Kühlschrank, den man vor die Tür geschmissen und
vergessen hat, ja und die schnurrenden Katzen aller Länder! Seine
Gedichte sind Begleiter durch verfrorene Nächte, die sich auf den Weg
gemacht haben nach einem Neuen Morgen. Ich wüßte keinen anderen mir
bekannten Dichter, auf den das Wort von der Brüderlichkeit mehr zuträfe
als auf Hel, den Belgier vom Prenzlauer Berg!“
MetaPhon beschließt eine Reihe mit sozialrealistischer Lyrik. Nachdem wir im Mai den Meister der politischen Elegie „Live in Rheindorf Nord“ begleitet haben: http://www.editiondaslabor.de/blog/?p=6064