Brecht ist nicht mein Lieblingsdichter. Hier in Tübingen wird die neuphilologische Fakultät auch der "Brecht-Bau" genannt, leider. Der Brecht-Bau befindet sich dirket neben dem altehrwürdigen "Hegel-Bau", wo die Altphilologen und Historiker untergebracht sind. Mich kekst der blödsinnige Name des Neophilologicums täglich an, da ich dort Germanistikstudent bin.
Gruß
Hyperion
Matze
Mitglied 719 Forenbeiträge seit dem 09.04.2006
„I love this book“, würde Oprah Heidenreich sagen. Früher wollte man wissen, was öffentliche Figuren denken und warum sie handeln, heutigentags will man wissen, was Personen der relativen Zeitgeschichte fühlen. Inzwischen sind die Grenzen des ‚ kritischen Bewusstseins’ klar geworden. Spezialisierte Literaturkritik ist selber falsches Bewusstsein, Ideologie im dialektisch–materialistischen Verstande. Zu retten ist sie nur, wenn sie in Gesellschaftskritik übergeht. Die Kritik ist, bedrängt durch die Konsumindustrie, auf dem Rückzug. Literatur, das sind winzige Buchstaben, große Worte und kein Geschäft. Deshalb versuchen Medienmacher jenseits konkreter Alltagserfahrungen, das Unfassbare, Unaussprechliche von Poesie einzufangen. Die einzige Disziplin, der ein avancierter Intellektueller einstmals nachgehen durfte, war die Gesellschaftskritik. Diese Kritik entwarf sich selbst als Hegemonialmacht mit universaler Deutungskompetenz; allüberall, in einer Grußformel, einem Reklameslogan, einem Hollywoodfilm vermochte sie das falsche Bewusstsein, wie diese Gesellschaft es notwendig erzeugt, aufzustöbern und in ein richtiges, das heißt kritisches Bewusstsein zu verwandeln. Dort, wo die Theorie dingfest gemacht werden soll, gibt es einen Irrgarten aus Wörtern, den man – systemisch denken! Assoziation! – nicht chronologisch durchwandert, sondern durchstreift, von Stichwort zu Stichwort. Glauben heißt nicht ausgeliefert, sondern ergriffen sein. Wenn man bemerkt, dass alles schon einmal da war, relativiert sich die Ernüchterung. Wenn man sich dann, in einem zweiten Schritt, auf die Primärtugenden der Kritik besinnt – Neugier, Leidenschaft, Entdeckerfreude, Sachverstand und die Fähigkeit, diesen Sachverstand zu vermitteln –, dann ist schon viel gewonnen. Gesellt sich dazu noch eine methodische Vielfalt, kann es losgehen. Denn welche Werkzeuge man anwendet – ob man sich dem close reading verschreibt oder gesellschaftliche Fragen zu beantworten sucht, ob man sich bei der feministischen Literaturwissenschaft oder bei den queer studies bedient, sich psychoanalytisch inspirieren lässt oder sein Reservoir subkulturellen Wissens ausschöpft –, ist nicht kategorisch, sondern von Fall zu Fall zu entscheiden. Löst man sich dann noch vom Themendiktat der aktuellen Bestseller, kann es aufregend werden.
Grüßken, Matze
LX.C
Mitglied 1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
...und bloß nicht versäumen: Heute: Freitag 11.8. 23.15 Uhr ZDF Das Literarische Quartett, Brecht, wir erinnern uns...
...damit wir was zu quaken haben hier, wir alten Waschweiber...
Das ideologische Naserümpfen von Karasek ging mir ziemlich auf den Keks.
Und Ranicki ist jetzt doch sehr alt geworden. Man muss es wirklich nicht bis zur Lächerlichkeit treiben. .
bodhi
Mitglied 741 Forenbeiträge seit dem 08.12.2004
Das ideologische Naserümpfen von Karasek ging mir ziemlich auf den Keks.
Und Ranicki ist jetzt doch sehr alt geworden. Man muss es wirklich nicht bis zur Lächerlichkeit treiben.
Es war ja das "allerletzte" Quartett, so MRR. Hätten sie den Rühmkorf Brechtsche Lyrik vorlesen lassen, wäre das mehr nach meinem - persönlichen - Geschmack gewesen. Die Sendung war für mein Empfinden geprägt von jeder-spricht-jedem-ständig-rein, unruhig, irgendwie.
Der Einzige, dem ich an diesem Abend gut zuhören konnte, war Rühmkorf. Hätte er doch nur die Möglichkeit gehabt, ein wenig mehr über "das Lyrische Ich" zu reden. Naja. Dennoch interessant.
LX.C
Mitglied 1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
Ich will ehrlich sein: Nach etwa vierzig Minuten habe ich das Fernsehen abgeschaltet; irgendwie wirkten Karasek und vor allem MRR holprig und uninspiriert. Die Diskussion kam nur schwer in Gang; die Sprechpausen, die sich zwangsläufig ergaben, ist man nicht wirklich gewohnt.
Was das Alter von MRR angeht, so muss ich LX.C. Recht geben; sein "Dialekt" war ja schon immer gewöhnungsbedürftig, aber gestern war es für mein Empfinden extrem. Vor daher war seine Ankündigung ("allerletztes Quartett") irgendwie erleichternd. Diffuses Halbwissen.
bodhi
Mitglied 741 Forenbeiträge seit dem 08.12.2004