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Girlitze Forts. 1.Kap.
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Autor
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Thema: Girlitze Forts. 1.Kap.
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Annemarie
Mitglied
34 Forenbeiträge seit dem 13.10.2004
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 20.12.2004 um 15:47 Uhr |
...bis auf die Augen, die groß-klar und blaugrüngraunochwas waren - und solche Augen kannte ich verdammt gut, sie gehörten nicht hierher, doch sie richteten sich jetzt auf mich, einfach nur schauend, ohne die leiseste Spur eines Lächelns oder einer sonstigen Regung, blickten mich an, und so etwas irritiert mich immer, Augen, ein Gesicht, aus dem ich keine Gefühlsregung herauslesen kann, und in meinem Hals wurde es eng, als hätte ich einen dieser dicken Hustenbonbons verschluckt, nur nichts anmerken lassen, ganz cool bleiben, aber da war er schon, der Gedanke an Torsten, das ganze Dilemma des Verlassenwordenseins - und das milderte den Druck ab - doch jetzt überkam mich eine Resignation, die ich auch schon kannte, und sie war so ähnlich, wie wenn man sich zu zweiten und schließlich zum dritten Mal den Fuß irgendwo an einer Kante stößt und jedesmal haargenau an derselben Stelle diese kleine Wunde wieder aufreisst und zu bluten beginnt, so daß man wieder und wieder ein Pflaster darüberklebt und der ganzen Sache allmählich überdrüssig geworden ist. Er streckte mir seine Hand entgegen, ich nahm sie, sie fühlte sich warm, trocken und vertrauenswürdig groß an, und als unsere Handflächen sich aneinanderpresssten, war diese Resignation dann wieder verschwunden, denn ich spürte die kleinen Stromstöße - und das kannte ich ebenfalls sehr gut - das konnte man einfach nicht ignorieren, denn es geschah, daß die Energie, ausgelöst durch den Händedruck, im Innern meines rechten Armes hinaufwanderte hoch bis zur Schulter, sich in meinen Brustraum hineinstürzte - ähnlich einer Tsunami-Welle, ich sah sie jedenfalls vor mir - um sich dann auszubreiten, jedoch nicht blaugraugrün, sondern goldorangerot, und sich in meiner Mitte zu einer Empfindung verdichtete, die ich kannte: to be in love - dafür gab es keinen deutschen Ausdruck. Und ehe ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, war das alles geschehen, und ich stand immer noch da, seine Hand haltend und jetzt doch daran denkend, sie loszulassen, während mein Blick sich von seinen Augen löste, hinunterwanderte zu seinem Hemd und ich das Muster fixierte - wie alt mochte dieses Hemd sein - unzählige kleine rotgelb-gestreifte Fesselballons, die vor einem hellgrünen Hintergrund schwebten.
Ein Herr in Schwarz mit weissen, kurzen Haaren, Igelschnitt, reichte mir ein Glas, ich nahm es mit meiner Linken, während ich langsam die Hand des jungen Mannes - er stellte sich mir als Jan Wollek vor - losließ, um auf einen guten Verlauf des Seminars anzustossen, das Gerhard Nöllenburg im Auftrag der IHK Frankfurt in seinem Privathaus am Gardasee veranstaltete. Gerade noch bevor ich einem großen Grauhaarigen mit bayerischem Dialekt zuprostete, sah ich, wie der Wind ein wenig die Oleanderbüsche ganz hinten am Rande des Gartens bewegte und auseinandertrieb, ich blickte über sie hinweg auf den See, der sich vor mir bereitwillig ausbreitete, hellgrau metallisch, alles war offen, die Landschaft, der Garten - auch der Verlauf der nächsten sieben Tage - und so trank ich einen kräftigen Schluck des süßen Getränks, und nahm mir vor, nun meinerseits auch offen zu sein für das, was auf mich zukommen würde.
Irgendwann an diesem Abend, es musste schon zehn Uhr gewesen sein, ging ich ins Haus, zur Toilette. Der Raum glich, was die Fläche anging, meinem Wohnzimmer, diese Größenordnung bei Bädern war mir unbekannt. Ich wunderte mich über diese Verschwendung, es sei denn, irgendjemand würde hier regelmäßig Formationstanz üben. Ich kam mir ziemlich verloren vor, als ich auf dem WC saß, vor mir ungefähr vier bis fünf Quadratmeter hellgrau-weiss geplättete Fläche, rechts zwei Waschbecken, Riesenspiegel, Flacons, Tübchen, Tiegel - wurde das alles von Herrn Nöllenburg persönlich benutzt, gab es da noch eine Frau, wenn ja, wo war sie - und ich gewahrte die dicken flauschigen Frotteetücher, die Kleenex-Boxen, Wattepads, Q-Tips, einen Föhn - und in einem Regal, nach Farben des Regenbogens sortiert, ein ordentlicher Stapel Gästehandtücher. Das Wandlicht entströmte zwei großen Milchglaskugeln zu beiden Seiten der Spiegelfläche, die aus ornamentartigem Messingblattwerk herauswuchsen. Ein wenig zu dunkel für meinen Geschmack, ich wähnte mich fast in einer Bar, doch es hatte was - ja - man kam zur Ruhe, während man hier saß. In diesen Minuten grübelte ich über den Sinn nach, der sich mir für dieses Seminar noch erschließen sollte. Auch wenn es pathetisch anmuten mag, ich grübelte über den Sinn meines Lebens nach, insbesondere über meine Arbeit bei dieser japanischen Organisation, warum man mich gerade jetzt, nachdem ich bereits vier Jahre dort arbeitete, zu einem Wirtschaftsförderungsseminar schickte, obwohl ich doch tagaus tagein nichts anderes tat als Firmen in ihrer Wirtschaftlichkeit zu fördern, und ich tat es wohl auch erfolgreich, denn mittlerweile erhielt ich außer den obligatorischen Rhein-Mosel-Nahe-Pfälzerweinflaschen auch andere "Muster von Exportartikeln", kleine Märklin-Eisenbahnlokomotiven, deutsche Comic-Hefte in japanischer Sprache, Schwarzwaldpuppen mit Bommelhüten, Segelschiffe in Flaschen - sogar ein ganzes Sortiment neuartiger Tiefkühlboxen brachte mir kürzlich ein Postbote ins Büro. Wahrscheinlich ging es der Organisation darum, den alten Etat vollständig aufzubrauchen, damit auch im nächsten Jahr die gleiche Höhe von Tokyo genehmigt werden würde. Und dieses Seminar kostete sicher eine Stange Geld, mit seinem Luxus-Ambiente - und Herrn Nöllenburg - der bundesweit bekannt war für seine innovativen Ideen, was Außenwirtschaftsfragen anging und der mir trotz aller fachlicher Kompetenz ein klein wenig suspekt wurde, was seine Toilette anging, denn gerade entdeckte ich auf einem kleinen weissen Hocker, der an der gegenüberliegenden Wand stand neben der Badewanne, eine winzige Männerbadehose, fast wie aus den Siebzigerjahren hierhergebeamt - psychedelisch-lila mit orangefarbenen Kringeln. Ich fühlte mich auf einmal verwirrt und mutterseelenallein, wünschte mir in diesen Minuten, der Hausherr hätte um das WC herum eine Art Paravant aufgestelt, anständiger würde das aussehen, und man hätte nicht das Gefühl gehabt, in einem Saal zu sitzen, in den jederzeit irgendeine Person hereinschneien konnte. Schon aber war ich in meinen Gedanken wieder draußen bei den Leuten, bei Herrn Nöllenburg, dem Herrn aus Bayern, dem igelig Weisshaarigen in Schwarz, bei Jan Wollek, seinen Augen, dieser breitschultrigen Frau, mir fiel plötzlich die Schauspielerin Bette Midler ein, wie sie hemmungslos lachte und dabei ihre überkronten Zahnreihen zeigte, während ihre Augen klein und schlitzförmig wurden.
Ich malte mir aus, wie diese Woche verlaufen würde, doch etwas in mir ließ mich nicht fantasieren, ließ nicht zu, daß ich mir vorstellte, wie es weitergehen könnte, und das brachte mich fast zur Verzweiflung. Es war wie der anstrengendste Versuch beim Aufwachen, die letzten Fetzen eines Traumes zurückzuholen, man hatte eine bestimmte Qualität quasi noch auf der Zunge, doch sie entzog sich einem unerbittlich, und jeder weiterer Versuch war ein Dagegenarbeiten und führte mit Riesenschritten weiter weg vom eigentlichen Vorhaben. Diesmal waren meine Bemühungen zwar auf die Zukunft gerichtet, doch der gleiche Mechanismus schien am Werk zu sein. Na gut dann nicht, dachte ich und ging in der Zeit ein Stück zurück, stellte mir Torsten vor, meinen Torsten, der jetzt einer anderen Frau gehörte, die jetzt wohl ihrerseits mein Torsten sagte, eine Amerikanerin aus Wisconsin, ein wenig aufgedunsen und übergewichtig, was wahrscheinlich von allzuviel fast-food herrührte. Ich dachte an ihn, wie er dreinschaute, wenn ich ihm sein Lieblingsgericht servierte, schön durchwachsenes Kotelette mit Bratkartoffeln und Blumenkohl, alles frisch zubereitet. Wie seine Augen leuchteten, der Ausdruck fast gierig-lüstern. Einmal fiel mir dazu wie aus heiterem Himmel Gert Fröbes Mimik in dem Film "Es geschah am hellichten Tage" ein, die Konfektszene, wie sein Blick.....
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Uve Eichler
Mitglied
103 Forenbeiträge seit dem 11.09.2003
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 20.12.2004 um 18:34 Uhr |
Liebe Annemarie,
jetzt wird der Text schon um einiges deutlicher. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Liebe Grüße
Uve
Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich darin nur zurechtfinden.
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Annemarie
Mitglied
34 Forenbeiträge seit dem 13.10.2004
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2. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 21.12.2004 um 14:16 Uhr |
Lieber Uve,
na ja, wenn Du gespannt bist, dann scheint ja Spannung drin zu sein. Freut mich.
Gruß
Annemarie
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