|
Literaturforum:
Das Attest
Forum > Prosa > Das Attest
|
Autor
|
|
Thema: Das Attest
|
geddyx
Mitglied
5 Forenbeiträge seit dem 04.11.2007
|
Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 05.11.2007 um 19:01 Uhr |
Das soll mal ein Einstiegstext sein, um mich hier vorzustellen:
Das Attest
Es liegt auf dem Küchentisch und schaut den Milben beim Frühstücken zu. Die Milben umkreisen sich im Lichtkegel der rote-rüben-roten Morgensonne, die durch das Fenster strullt. Das Attest kann sich nicht bewegen. Es liegt dort jetzt 20 Stunden. Der Mann, der es in der Hand hatte, ist weggegangen.
Dem Attest ist es schwer ergangen. Nachdem ein Allgemeinmediziner es mit einem Stempel bearbeitete, litt es unter einer mittelschweren Gehirnerschütterung und Angstzuständen, sozusagen einer postärztlichen Stempelneurose. Seither liegt es still und mag sich nicht bewegen. Die Hautabschürfungen vom Federhalter des Arztes schmerzten genauso. Als er seinen Namen verewigte, schrie das Attest. Aber keiner hörte es. Eine riesige Tätowierung, die nicht mehr zu entfernen war, prangte nun auf seiner gelben Haut.
Der Mann, der nun nicht hier war, hatte das arme Stück auch noch in der Mitte gefaltet und ihm so endgültig das Rückgrat gebrochen. Das Attest liegt nun und hofft bange, dass der Mann es vergisst. Es wellte sich langsam. Ganz langsam und vorsichtig. Es versuchte krampfhaft, hinter den alten Bierhumpen zu kriechen, in dem die Kochlöffel, Quirle und der Schneebesen wie ein gedrilltes Mikadospiel auf ihren Einsatz warteten. Es war nicht zu schaffen.
Die Morgensonne wurde gelb und darüber freute sich das Attest. Vielleicht würde die Sonne so gelb werden, dass es nicht mehr zu sehen ist ? Es schrie die Milben an, sie sollen aus dem Lichtkegel verschwinden und auf den Teppich fallen, damit ja möglichst viel Sonnenlicht auf ihn strahle. Vielleicht würde es unsichtbar werden. Es rekelte sich unter Schmerzen, um keinen Schatten zu verursachen.
Doch mittags kam der kranke Mann. Er fasste das Attest, faltete es zum zweiten Mal und steckte es wortlos in einen Briefumschlag. Die Schreie hörte er nicht. Im Dunklen gefangen, ohne den Hauch einer Fluchtchance, fühlte es derbe Finger am ganzen Körper. Es wurde ihm warm. Heiß. Es bekam keine Luft mehr. Die Faust des kranken Mannes, die auf die Briefmarke hernieder flog, nahm ihm den letzten Atemzug. Knockout. Das Attest ist tot.
©geddy, 27.12.2003
Dt Lbn s krz !
|
|
Forum > Prosa > Das Attest
Buch-Rezensionen:
|
|