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Literaturforum: Die Haltestelle


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Forum > Prosa > Die Haltestelle
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 Thema: Die Haltestelle
Islaender
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 20.08.2007 um 10:26 Uhr

»Noch etwas Wein?«
Die aufrecht gehende Schimmelstute greift nach der Flasche, die im Schatten des kleinen Tisches steht. Das leise Geräusch des aus dem Flaschenhals gleitenden Korkens übertönt für einen Moment sogar das Hupkonzert von der Straße, auf die die vier Anwesenden blicken. Untermalt wird die Szenerie von sanften Harfenklängen. Klängen, die von einem alten, ehrwürdigen Instrument stammen, das einer der Gäste mitgebracht hat, der selbst fast noch älter als die Harfe ist
Wortlos reicht der links außen sitzende, ebenfalls aufrechte Hengst das Glas über den mittleren Gast hinweg. Die Stute versteht die stumme Aufforderung, und plätschernd füllt die blutrote Flüssigkeit das Glas. Auch der Dritte, ein Mensch, reicht ihr seinen Kelch, und mit bedächtigen Bewegungen schenkt sie auch ihm ein.
Dürre Finger streichen über die Saiten der Harfe, während der Spieler selbst schweigt.
»Nun sitzen wir also endlich einträchtig beisammen«, sagt der Hengst mit beißendem Spott in der Stimme, und nimmt sein Glas wieder entgegen. »Nach all der Zeit sitzen wir nun hier, an diesem Tisch in der Sonne, und trinken Wein.«
Die Stute nickt.
»Natürlich. Und ich finde es schön, dass selbst Du den Wein trinkst.«
Der Hengst lacht bitter auf.
»Ich habe ihn seit wir hier sind verabscheut, meine Liebe. Ich weiß auch genau, warum.«
Er nimmt einen Schluck und verzieht das Gesicht. »Er ist sauer.«
»Es ist lieblicher Wein«, erwidert die Stute seufzend. »Er ist süß und fruchtig und voller Geschmack!«
»Und ich sage dir, dass er trocken und leer schmeckt«, erwidert er bissig und leert das Glas.
»Warum trinkst du, wenn du ihn nicht magst?« fragt der Mensch.
»Ich habe keine Wahl. Es gibt doch nichts anderes zu trinken, also muss ich mit dem auskommen, was ich habe.«
»Hunger ist der beste Koch«, tadelt die Stute und nimmt genüsslich einen Schluck. »Und wenn der Wein das einzige ist, was wir haben, dann können wir ihn ebensogut genießen.«
»Und was sagst du dazu?« wendet sich der Hengst an den vierten, der etwas abseits sitzt und seine Harfe spielt.
Die schwarz uniformierte Gestalt des Busfahrers zuckt mit den Schultern.
»Ob er euch schmeckt oder nicht ist mir gleich. Ich warte nur darauf, dass der Bus kommt.«
»Ach ja, der Bus...« seufzt der Mensch sehnsüchtig und starrt auf die Straße. Autos fahren vorbei. Dutzende, Hunderte. Manche fahren an den Straßenrand und parken dort, manche davon fahren bald wieder weg, andere bleiben eine ganze Weile lang stehen. Nie steigt jemand aus, die Gesichter hinter den Scheiben bleiben fremd und fern.
»Mit welcher Linie sind wir angekommen?« fragt die Stute, und schenkt sich noch einmal voll ein.
»Mit der A 7«, antwortet der Hengst mürrisch und nippt wieder an dem seiner Meinung nach sauren Wein.
»Die O 7 müsste bald kommen«, vermutet der Mensch und lässt sich auch noch einmal einschenken, während der Verkehr an ihm vorbei zieht. Der Busfahrer schweigt und spielt weiter Harfe.
»Ich könnte Ewigkieten hier sitzen«, seufzt die Stute schwärmerisch und stellt die Flasche in die Sonne. Fasziniert beobachtet sie die Reflexionen auf dem Glas.
»Für meinen Geschmack sind wir schon zu lange hier«, erwidert der Hengst mürrisch und betrachtet die Flasche.
»Du hättest doch ein Taxi nehmen können«, wirft der Busfahrer ein.
»Dann hätten wir alle fahren müssen, und das war es mir nicht wert. Auch wenn der Wein nicht schmeckt, ich habe immer noch Durst.«
»Sich erst beschweren und dann trotzdem trinken«, spöttelt die Stute. »Das nenne ich mal tapfer!«
»Ich hätte dich sogar gefahren, wenn du ein Taxi genommen hättest!« meint der Busfahrer.
»Ich weiß«, erwidert nun wieder der Hengst. »Ich habe schon ein paar mal daran gedacht, einfach eines zu rufen, aber... irgendwie hält es mich doch lieber bei euch.«
»Ich bin mir auch nicht sicher ob dir gefallen hätte, wo ich dich hingefahren hätte.«
Der Busfahrer kichert und spielt weiter Harfe.
»Aber sag mir doch mal, warum du wirklich hier bist. Was dich hierher gezogen hat.«
»Als ob ich eine Wahl gehabt hätte!«, ereifert sich der Hengst nun wieder. »Erst setzt man mich in den dämlichen Bus, dann wirft man mich hier raus und sagt "sieh zu, wie du klar kommst" und dann muss ich mir so dumme Sprüche anhören! Aber um deine Frage zu beantworten: So schlecht der Wein auch ist, er löscht den Durst. Und die Musik. Die Musik hält mich hier.«
Die beiden Anderen nicken. Auch für sie war die Musik der Grund. Einer der Gründe.
»Und du? Was tust du hier?« wendet sich der Busfahrer an den erstaunlich schweigsamen Menschen.
»Neugierde«, sagt dieser einfach. »Und die Musik. Es ist eine schöne Musik, sie lädt einfach zum Bleiben ein. Ich bin mir sicher, dass unser Hengst schon längst gefahren wäre, wenn du aufgehört hättest zu spielen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich dann noch geblieben wäre.«
»Ja, aber der Wein...!« sagt die Stute. »Was ist mit dem Wein? Wie schmeckt er dir?«
»Er ist... aufregend. Anders. Er schmeckt nie gleich, sondern ist mal trocken und mal lieblich... es ist ein interessanter Wein. Welcher Jahrgang?«
»1980«, sagt die Stute nach einem Blick auf das Ettikett. »Noch einen Schluck?«
Beide halten wortlos wieder ihr Glas hin, während sie einschenkt.
»Ich bin wegen dem Wein und der Musik hier!« sagt sie lächelnd und leckt einen glitzernden Tropfen vom Flaschenhals. »Ein hervorragender Wein und herrliche Musik. Das ist alles, was man braucht!«
»Und wenn der Wein schlecht wäre und die Musik zum Gotterbarmen?« stichelt der Hengst.
Sie zuckt mit den Schultern.
»Dann muss ich eben versuchen, damit auszukommen. Alles ist besser als eine öde Busfahrt, und so wird selbst der sauerste Wein noch süß und die schrecklichste Musik zu einer wahren Wohltat.«
Alle drei sehen die Straße herunter, als die Musik der Harfe leiser wird.
»Der Bus kommt«, sagt der Hengst, teils unsicher aber auch teils erwartungsvoll.
»Ich seh´s«, erwidert der Mensch, und ist von Unsicherheit erfüllt.
»Schade«, meint die Stute bedauernd und verkorkt die Flasche. »Meint ihr, wir können den Wein mitnehmen?«
Die drei erheben sich, und auch der Busfahrer gesellt sich zu ihnen.
»Ich weiß es nicht«, sagt der Mensch, als die Türen sich zischend öffnen und der Fahrer einsteigt und auf seinem Sitz Platz nimmt. Er winkt den Dreien zu.
»Dürfen wir die Flasche mitnehmen oder nicht?« fragt die Stute bittend.
Der Busfahrer verneint.
»Was willst du mit der leeren Flasche?«
Sie hält die Flasche gegen das Sonnenlicht und sieht, dass sie vollkommen leer ist.
»Lasst uns aufbrechen!« sagt der Hengst und setzt sich auf einen Fensterplatz.
»Na gut«, seufzt die Stute und gesellt sich zu ihm. Ein Bild der Eintracht, wie sie so nebeneinander sitzen. Unterschiedlich wie Tag und Nacht, und ewig im Kampf miteinander. Doch nun, wo die Fahrt weitergeht, sitzen sie wieder beieinander und wirken, als ob es das natürlichste der Welt wäre.
»Kommst du?« fragt der Busfahrer den Menschen.
Ein letzter, tiefer Atemzug noch, dann steigt schlussendlich auch der Mensch an Bord. Zischend schließen sich die Türen, und der Bus rollt davon.


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Mania
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 11:11 Uhr

Der Busfahrer saß mit denen erstmal an der Haltestelle rum, nicht wahr?

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Islaender
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 11:31 Uhr

Korrekt. Er sitzt bei den Dreien, aber ein bisschen abseits.


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Mania
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 11:44 Uhr

Ich dachte nämlich, dass der Busfahrer irgendwie nochmal aktiv wird zum Schluss. Wenn er die ganze Zeit bei Ihnen sitzt - und auf mich wirkte es auch so als würde er irgendwie dazugehören - hätte ich damit gerechnet, dass er sein Verhalten gegenüber den anderen radikal ändert, sobald er sich auf den Fahrersitz setzt.

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Islaender
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4. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 12:16 Uhr

Nun muss ich allerdings fragen: Warum sollte er das tun?


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Mania
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5. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 12:32 Uhr

Weil dann die ganze Sache für mich mehr Sinn macht. Die Geschichte, wie sie jetzt ist, ist nur ne Erzählung. Das ist als ob ich draußen die Vögel beobachte, es passiert nicht wirklich was. Also zumindest empfinde ich das so. Wenn er Busfahrer aus seinem Schatten springen würde und etwas total unerwartetes macht, dann wäre es irgendwie spannender.

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Islaender
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6. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 13:00 Uhr

Nun, offen gestanden ist es eigentlich keine Erzählung. Oder zumindest keine reine, sondern eher eine Metapher, insofern macht sie mehr Sinn, wenn man versucht, in Bildern zu denken und zu abstrahieren.
Das eigentlich Interessante steht zwischen den Zeilen.


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Mania
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7. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 13:23 Uhr

Das hab ich auch versucht, aber ich seh da nichts.

Sagen wir der Busfahrer ändert sein Verhalten gegenüber seinen Kumpanen in der Minute wo er auf den Sitz steigt. Für mich eine Metapher für Doppelmoral, Oberflächlichkeit und Lüge zwischenmenschlicher Beziehungen.

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Islaender
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8. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 14:16 Uhr

Hmmm.... dann habe ich es wohl mit der "Verschlüsselung" übertrieben. Ich sollte wohl wirklich besser bei meiner Unterhaltungsliteratur bleiben und nicht versuchen, irgendwelche Gleichnisse zusammen zu schustern.

Wenn Du magst kann ich Dir sonst eine Nachricht schicken und "auflösen" was nun genau was ist.

Islaender


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Mania
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9. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 20.08.2007 um 14:31 Uhr

Ja, kannste machen.

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