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Literaturforum: Fesseln der Gewohnheit


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 Thema: Fesseln der Gewohnheit
Shiningmind
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 23.04.2006 um 17:17 Uhr

Fesseln der Gewohnheit


Ich stehe vor der Tür zu meiner Wohnung und drehe den Schlüssel im Schloss mit der Erwartung etwas Aufregendes oder Neuartiges könne geschehen und sowie ich dann die Tür geöffnet und die Wohnung betreten habe, stelle ich fest, dass alles so ist wie es war; also nichts Neues oder gar Ungewöhnliches.
Wie eh und je blickt mich meine Frau grüßend an, indem sie vom Sofa aus den Kopf zu mir dreht und ihre blauen Augen weitet. Wie immer laufe ich auf sie zu, gebe ihr einen Begrüßungskuss, streichle leicht über ihr glattes, braunes Haar und mache mich anschließend daran, den Bauschutt von meinen Händen und meinem Gesicht abzuwaschen, bevor es mich zum Kühlschrank verschlägt, um mein Abendbrot zuzubereiten.
Beim Durchstöbern nach etwas essbarem, höre und spüre ich zu meinem Leid mal wieder das Knacken im Nacken, welches einen unangenehmen Schmerz, bis hinunter in die Wirbelsäule nach sich zieht. Offenbar läuft das Altern auch an mir nicht vorbei.
Mit dem Brotteller in die Wohnstube angekommen, setze ich mich kurz neben meiner Frau und erkundige mich kauend nach ihrem Arbeitstag. „Wie eh und je. Du weißt ja, dass nichts Aufregendes an der Scannerkasse passiert und irgendwelche Gerüchte oder Fehlschritte seitens meiner Kollegen gab es auch nicht.“ antwortet sie mir, schaut aber mit einem Auge auf dem Fernsehbildschirm, da sich wohl gerade eine spannende Szene in ihrer Lieblingsserie abspielt, die sie gewohnt ist, jeden Abend zu sehen.
Allerdings versucht sie meiner Aufmerksamkeit entgegenzukommen, wirft mir einen Seitenblick zu und fragt mich: „Und wie war es bei dir?“
Im Prinzip antworte ich ihr das Selbe, nur mit dem Vermerk, dass ich mal wieder wie ein Tier zu schleppen hatte. Danach ist es ruhig zwischen uns. So läuft es schon eine ganze Weile und nachdem ich aufgegessen habe, bewege ich mich zum Computer, der links in einer Ecke neben dem Fernseher und gegenüber der Sofaecke, auf der meiner Frau sitzt, steht und mit dem Rücken zu Maria, so der Name meiner Frau, sitze nun auch ich und klicke im Internet mal hier und mal da.
Da plötzlich ist es wieder! Dieses Klopfen am Fenster. Direkt neben mir. „Hast du das gehört?“ frage ich laut und drehe mich zu meiner Frau. „Was gehört?“ fragt sie zurück, wobei sie in skeptischer Unwissenheit mit dem Kopf schüttelt. „Na da war wieder dieses Klopfen am Fenster.“ „Hach Willi! Da ist nichts! Wie oft haben wir schon nachgeschaut und das auch noch völlig sinnlos, immerhin wohnen wir hier im 3. Stock. Das kann nur der Wind sein!“
„Aber ich schwöre es dir! Es klingt so deutlich, als würde jemand mit seinen Faustknochen dagegen schlagen. Ich frage mich, warum du es nicht hören kannst.“ „Da ist ja auch nichts aber du kannst gerne das Fenster öffnen, nach oben, unten, links und nach rechts schauen aber finden wirst du dort nichts!“ Ich folge den Rat meiner Frau und muss wie gewöhnlich feststellen, dass sie Recht hat. Resignierend schüttle ich seicht mit meinem Kopf und verlasse das Wohnzimmer, nicht aber ohne mich nochmals umzudrehen, doch erkenne ich schließlich nur, dass im Fernsehen eine neue Serie begonnen hatte, welche meine Frau gebannt verfolgt.
Ich ziehe mich in unser Schlafzimmer zurück und lege mich bequem auf das Ehebett auf meiner linken Hälfte und beschließe ein Buch zu lesen. Ein netter, linear gestrickter Krimi ohne viel Schnickschnack, wäre jetzt genau das Richtige und sowie ich auf das Bücherregal über dem Bett blicke, ist ein solches Buch zu meinem Glück gefunden und langsam verfallen meine Augen in träumerischer Vorstellung beim Verfolgen der sich in Zeilen zeigender Handlung. Ich habe kein Gefühl für die Zeit, doch auf einmal klopft es wieder. Diesmal am Balkonfenster. Direkt hinter mir! Ich zucke zusammen. Hatte ich mich zu sehr in meinem Buch vertieft? Nein, es klopft wieder. Deutlicher, intensiver! Langsam drehe ich mich um und da sehe ich milchig hinter dem Fenster ein lachendes Gesicht, das mir zu winkt. Ich fahre hoch und stoße einen Laut des Erschreckens aus. Ich muss träumen, ich muss spinnen!
Meine Augen blinzeln ungläubig mit stärkstem Erkennungswillen aber das Gesicht will sich mir nicht ganz erschließen und mit Herzpochen laufe ich langsam auf die Balkontür zu, erkenne die mir zu winkende Hand und für eine Sekunde glaube ich ein weibliches Gesicht zu erkennen. Im nächsten Moment heult der Wind laut auf und zieht das Gesicht verschwimmend mit sich. „Bleib hier!“ rufe ich. „Wer bist du? Geh nicht!“ verlange ich.
„Schatz ist alles in Ordnung?“ fragt etwas und eine Hand legt sich auf meine linke Schulter. Benommen zucke ich zusammen, drehe mich kurz um. Es ist Maria, meine Frau.
„Geht es dir nicht gut? Was ist los mit dir?“ „Ich glaube ich werde verrückt!“ antworte ich leise. „ Ach, das wird schon wieder! Glaub mir, das wird schon wieder!“ versichert sie mir wiederholend, krault kurz meinen Nacken und drückt mir einen sanften Kuss auf die Wange. Ein stilles, heimliches „Endlich!“ spricht nur für mich hörbar aus dem Herzen.
„Komm, lass uns ins Bett gehen!“ fordert mich Maria auf. „Ja, lass uns ins Bett gehen!“ erwidere ich zustimmend und nachdem wir uns schlafbereit gemacht haben, legen wir uns entgegen und wünschen uns eine gute Nacht von Rücken zu Rücken.
Mit geschlossenen Augen höre ich erneut das Klopfen an der Fensterscheibe. Diesmal erkenne ich die Person. Es ist Maria, nur sehr viel jünger.
So war es, als sie mich abholte mit ihrem lieblichen Wink, der mich aus meiner Parterrewohnung zu den Abenteuern magischer Glückseligkeit führte, wo wir verliebt umschlungen bei schönem Wetter spazierten oder auf dem See erfüllter Sehnsucht ruderten, im vertieften Blickesrausch, der unsere Liebe prägte und wo wir imstande waren aus jedem Tag ein Fest zu machen, an dessen Abend wir auf goldenen Feldern tanzten, um aus jedem Unsinn, den wir zu zweit anstellten, den größten Sinn zu sehen, um stets jeden Augenblick auszuquetschen. So vertraut, so scheinbar unendlich! Doch Maria hört das Klopfen nicht mehr! Vielleicht sollte ich mich verändern. Ich würde es gern mal wieder spüren…diesen Lebenskitzel. Ich könnte von der Brücke springen. Ganz elegant mit Bungeeseil. Könnte etwas bewegen, mich für irgendetwas einsetzen, auf dass die Leute mich würdigen mit einem kleinen Stück Bewunderung. Pilot sollte ich sein! Über alle Wolken fliegen oder mit dem Schlauchboot Wasserfälle hinunterstürzen aber sowie ich darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass ich schlafen muss, denn morgen früh beginnt wieder ein gewöhnlich, anstrengender Tag. Ganz wie eh und je.


Das Denken an sich kann ein wundervolles Abenteuer sein. Wer aber ZU viel denkt, der sperrt sich selbst in Käfige.
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