tekkx
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64 Forenbeiträge seit dem 04.11.2001
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 16.07.2005 um 12:37 Uhr |
1.) Am ersten Tage
„Genießen Sie“
„Schönes Wochenende“
„Besser als“
„Hallo Frau Kamerer“
„Jetzt neu!“
„Auf Wiedersehen“
„Entdecken Sie“
Ich brauch Staubsaugerbeutel. Ich muss saugen, alles aufsaugen, weg.
Im Laden, „Schlecker“ genannt, stoße ich als allererstes auf Eis-Tee, WC-Papier und Stimmbruch-Ghetto-Pornostars, die sich lauthals über Nichtigkeiten unterhalten. Ich sehe mehr Arten von Lippenstiften und Haarfärbemitteln, als es Insektenarten gibt. Die Gebrauchsspuren auf den Staffage-Produkten lässt auf das Wirken von Schulschwänzern, isolierten Senioren und Sozialhilfe-Müttern schließen. Ich sehe noch mehr Parfüms und Lippenstifte. Und auf der Rückseite des Regals ist nochmal eine Reihe davon. Von Weiten sieht es wie eine 2dimensionale Textur aus einem Videospiel aus. Parallel hierzu ist noch mal ein Regal mit ähnlich-verschiedenem Inhalt. Links hiervon ist ein Schaufenster, draußen steht ein älterer Herr mit Hund. Er sieht auf die Hintern von kleinen Kindern, die ihre Handys auf- und zuklappen. An der Kasse fällt ein „Sex and the City“ Schild auf, unter dem 14mal die „Papst Johannes Paul-DVD“ steht, mit Live-Aufnahmen, dem Best Of. Ich möchte diese Hölle verlassen, doch in meinen Toten-Winkel-Fokus gerät das Gesuchte, das ich daraufhin mitnehme und bezahle; jedoch nicht ohne das Slang-Ambiente von blondgefärbten Jennys und Steffies zu vernehmen. Letzte Woche befand sich am Ausgang noch ein Stand von „Freenet“, in ekelhaftem Neongrün, plus Fragebogenmenschen. Wer unterschreibt, muss persönliche Daten angeben, bekommt kostenlose Werbebroschüren, schließt ein Abo für den „Spiegel“ ab, und entscheidet sich für eine günstige DSL-Flatrate. Jetzt steht da ein weiß-gelber Stand mit Fragebogen zur Gesetzesänderung bezüglich Kindesmissbrauch. Der latent-pädophile Alte sieht auf den Kot seines Hundes. Fluchtartig hetze ich aus dieser Mischung aus Hunde-Sabber-Parfümdüften und Regenwaldfeuchtigkeit. In der Nähe ist ein „Reno-Schuhladen“, und in dieser Wegwerf-Müllkippe befindet sich ein Backtriebmittel-Sehne-Bäcker. Willkommen im Paralleluniversum. Die Mixtur aus Badeschlappen und Brezeln, sowie aufgemotzten und ohrenbetäubende Türkmobilen draußen, die auch bei Zebrastreifen für dreirädrige Kinderwagen nicht halten, verursacht bei mir einen geistigen Brechreiz. Ich mache kehrt und halte Ausschau nach der Bushaltestelle. Vorher mache ich einen Umweg über die Post, um Briefmarken zu kaufen. Nach der Übergabe fragt mich die Postangestellte, ob ich bereits ein kostenloses „Postbank“-Girokonto habe. Das erinnert mich an „Media Markt“, dort fragt die Kassiererin die Postleitzahl nach. Alles freiwillig, und weil alle frei sind, sind sie willig. Mit dem Rücken zur Infrarot-Tür gehe ich auf meinen ursprünglichen Weg zurück. Ich lasse 24 Stunden Callshop, samt gelangweilten Wohlstands-Punks hinter mir, vorbei an 15- und 16jährigen, deren Kleidung darauf zurückschließen lässt, dass ihnen ihr Bewährungshelfer nicht gesagt hat, dass heute kein Fasching ist. Überall kommen Menschen von der Arbeit, wo sie rote und gelbe Knöpfe drücken. Auf den Bänken sitzen Senioren und Einkaufs-Menschen. Viele von ihnen bewegen die Lippen, sprechen mit sich selbst. Ein paar Blicke gehen in meine Richtung. Besser, ich komme morgen wieder.
- Heute muss ich mich erst einmal mit Vergessen beschäftigen -
Und dann ist der Fernseher an, Werbespots für 2jährige, mit einfacheren Farbverläufen, ideal zur Wunschtraumprogrammierung fürs Kinderbett. Dazwischen Synthetisches-Gefühlsecht-Sex-Kaufen-Essen-schmilzt-im-Mund -nicht-in-der-Hand... Prostituierte, die sich als Prostituierte verkleidet haben, erzählen vom Zen-Buddhismus, und nebenan erklärt einer, wie man Salat macht. Ein Fenster unten links weist mich auf eine Programmänderung hin, und die Aktienkurse sind schon veraltet, während sie über den Screen rasen, so schnell, dass man sie nicht lesen kann. In den USA hat eine Frau ein Krokodil geheiratet. Man braucht Zeit, um zu vergessen, und welches Buch dafür am besten geeignet ist, erklärt mir „3Sat“ oder „ARTE“ in einem Themenabend, morgen kommt schon wieder ein anderes Thema. Morgen, was war morgen noch mal?
- Ach so, morgen war morgen, und heute? Vergessen -
2.) Am zweiten Tage
Zerstörte, ineinander verfahrene und geschmolzene Fahrräder. Wie verkümmerte Organe eng umschlungen, die Straßenlaternen und Parkuhren.
Eine verkohlte Hand hängt noch am Autoradio, die Uhr ist in den Knochen hineingebrannt.
Man kann entfernte Glocken und ein Rauschen hören, doch ich wage nicht, den Sender richtig einzustellen.
Ein Vorsicht-Schulkinder-Schild liegt auf dem Gehweg, der in einem Loch endet.
Das Schwimmbad gibt es noch, es hat jetzt schwarze Rasenflächen, darauf verbrannt-rote Asche-Badegäste-Leiber, kein Wasser im Pool - verdampft.
Da liegt er, der verrostete Flugzeugträger, zerdrückt unter sich die Grundschule. Möwen auf ihm: Verkohlt, hart. Glühendes Hitzeflimmern auf den Startbahnen.
Die Hochhäuser sind große, weinrot-gekachelte Giganten, hinter deren zerschlagenen Fenster unerklärliche Schattenspiele vor sich gehen.
Eine Mauer aus Schutt hinter den Häusern im Jugendhausstil – sie heißt mich nach vorne blicken.
Hinter der Mauer ist nur die Vernichtung der Vernichtung.
Treppen und Türen im Altenheim fehlen.
Es gibt keine Menschen mehr
Nur Schreie
Schreie
„Schreie“
„Schreie“
„Schreie“
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