Kenon
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 17.08.2004 um 14:50 Uhr |
In "Combray" schildert Marcel Proust die Jugendzeit des kleinen Marcel in der französischen Kleinstadt Combray und gibt dabei vor allem ein sehr detailliertes Bild des ihn umgebenden sozialen Milieus, der gehobeneren Schicht, mit all seinen versteiften, oft gegen die Menschlichkeit gewandten Umgangsformen ab. Der Marcel der Geschichte ist dabei trotz seiner Namensgleichheit und der Ich-Perspektive des Werkes nicht mit der Person des Schriftstellers Proust identisch, aber dennoch auf das innigste mit ihm verwoben.
Aufgrund seiner übertrieben ausführlichen Schilderungen lässt sich das Buch noch klar in die Nähe der durch seine Werke wenig überzeugenden Epoche des Naturalismus stellen, auch wenn sich das Buch durch seine damals neuartig gestaltete Erzählweise von ihr abhebt.
Ein Beispiel für den großen Raum, den selbst die belanglosesten Belanglosigkeiten einnehmen dürfen, sind gleich die ersten 50 Seiten von "Combray", auf denen Proust schildert, wie der kleine Marcel der Mutter einen Gute-Nacht-Kuss abringen möchte (diese Schilderung mag man als Leser noch mit dem Wort akzeptieren, dass das alles ja "ganz süß" gewesen sei); es folgen breit angelegte Berichte über den ersten Löffel Tee, die Beschaffenheit der Stadtkirche und der ländlichen Botanik usw. usf.
Es fällt einem beim Lesen schwer, den Worten beständig zu folgen. Allzuoft gleitet man in Gedanken ab, dann fliegen die Augen nur noch über die langen, meist absatzlosen Seiten, bis man wieder zum Text findet.
"Bei diesen Träumen wurde mir klar, dass ich eines Tages Schriftsteller werden wollte und dass es Zeit sei, zu wissen, was ich zu schreiben beabsichtigte. Aber sobald ich mich danach fragte und versuchte, einen Gegenstand zu finden, dem ich eine allumfassende philosophische Ausdeutung geben könnte, hörte mein Geist zu arbeiten auf, ich fand mich einer Art von Leere gegenüber, ich fühlte, dass ich kein Genie besaß, oder hatte die Vorstellung, dass vielleicht eine Krankheit meines Gehirns es nicht aufkommen liess."
Wenn ich sage, dass mindestens ein Drittel dieses Buches überflüssiger Ballast ist, dann ist dies noch eine vorsichtige Schätzung. Dennoch gibt es Gründe, warum man "Combray" lesen sollte. Marcel Proust verfügte über einen sehr fein ausgebildeten Sprachsinn, seine vielfach verschachtelten und oft von Poesie verzierten Satzkonstruktionen vermögen einen trotz der zahlreichen Stellen, die man am liebsten überfliegen möchte, immer wieder zum Weiterlesen zu motivieren.
Marcel Proust ist das Paradebeispiel eines vom Wohlstand durch und durch gesättigten Literaten, eines Menschen, der ein finanziell immer wohlbehütetes Leben führen konnte und der sich durch seine langatmigen Werke der ausgiebigen Betrachtung auch von Nebensächlichkeiten, die nur das Ergebnis einer tödlichen Langeweile, einer mangelnden Gerichtetheit des eigenen Lebens, sein konnten, einen Namen in der Literaturgeschichte verschafft hat, weil er sein Schaffen mit all seinen Eigenheiten in dem Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" zur Perfektion getrieben hat.
Es ist gut und vor allem eine Erfahrung, Proust kennenzulernen, schwerer ist es jedoch, ihn auch noch zu lieben.
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