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Literaturforum:
Wie ein wildes Tier
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Autor
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Thema: Wie ein wildes Tier
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 10.07.2020 um 22:51 Uhr |
Scheußlich, so ein Sessellift ... Es kam ihm vor, als berühre er mit seinen Füßen schon die steilen Kalkwände der Karawanken. Sein Oberkörper war durch eine Plexiglaskuppel gegen Wind und Wetter geschützt. Auf der Innenseite dieses Gebildes hatte sich Kondenswasser niedergeschlagen - vielleicht sein Angstschweiß? Es stand für ihn fest, dass er nur zu Fuß ins Tal zurückkehren würde.
Oben stolperte er aus seiner Käseglocke ins Freie, gewann wieder Boden unter den Füßen und kehrte erleichtert zum aufrechten Gang zurück. Ein kurzer Weg und er stand am Dreiländereck. Er konnte jetzt auch nach Italien und Slowenien hinübersehen. Was war damit gewonnen? Er kehrte um und ließ die Bergstation links liegen. Von da an ging er immer nach Osten. Wenn er genug vom Gebirgskamm hat, wird er einen abwärts führenden Weg einschlagen.
Es gab einen mühsamen Zwischenabstieg zu einem Pass hinunter. Lastwagen donnerten von beiden Seiten herauf. Er schaffte es unter Lebensgefahr auf die andere Straßenseite. Dann kletterte er wieder bergauf und ging parallel zur Grenze weiter. Einzelne Kuppen und Zipfel aus hellem Kalk ragten aus der dichten Waldmasse. Es war sehr einsam hier oben. Keiner, der ihm begegnete. Rechts begann also der Balkan, im weitesten Sinn ... Ob es illegale Grenzgänger gab? Von Grenzen werden einige magisch angezogen, er selbst auch. Ganz geheuer war es hier oben nicht.
Es war mitten am Nachmittag und er war schon etwas erschöpft - Zeit, den Abstieg zu beginnen. Zu seiner Linken sah er sehr weit unten den Talboden. Er bog mit dem nächsten breiten Forstweg ab und kam rasch absteigend gut voran. Oft verlief der Weg im Zickzack. Man überblickte immer nur wenige hundert Meter.
Und dann sah er erstmals seit Stunden wieder Menschen. Ein Mann und eine Frau gingen vor ihm zu Tal. Sie waren beide nicht mehr jung und unterhielten sich angeregt beim Gehen. Dabei nahmen sie die ganze Breite des Weges ein. Er wollte sie anfangs nicht überholen, aber sie trödelten ihm zu viel. Er wollte heute noch unten ankommen. Sicher hatten sie seine eiligen Tritte längst gehört. Wenn er auf ihrer Höhe ist, wird er sich kurz umwenden und grüßen.
Eben ging er an der Frau vorbei und streifte sie beinahe, als sie entsetzt aufschrie und zitternd, totenblass zur Seite torkelte. Auch ihr Begleiter hatte sich verfärbt. "Was ist denn so zum Fürchten?" fragte er leicht verärgert. Er fühlte sich von ihnen verkannt.
"O, Sie können es nicht wissen", sagte die Frau. "Wir haben gerade über Bären gesprochen. Ich frage meinen Mann, ob es in Kärnten Bären gibt, und er sagt: Ja, hier in den Karawanken schon. Und genau in diesem Moment höre ich es hinter mir tappen und da war auch schon ein Körper neben mir ..." Langsam gewann sie ihre Fassung zurück.
"Überzeugen Sie sich: Ich bin kein Bär. Kommen Sie gut an ihr Ziel, ich empfehle mich."
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