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Stadt als Moloch
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Autor
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Thema: Stadt als Moloch
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Namesi
Mitglied
82 Forenbeiträge seit dem 09.11.2005
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 13.05.2009 um 12:54 Uhr |
Diese Nachricht wurde von Namesi um 12:55:39 am 13.05.2009 editiert
Ich finde es interessant, was Schriftsteller zum Thema "Stadt" geschrieben haben. Ich würde mich freuen, wenn Leser dieses Beitrags Textstellen zu diesem Thema kennen und hier einstellen würden. Hilfreich wäre die Angabe der Quelle. Keine Angst, ich will niemanden für eine Hausarbeit, Diplomarbeit oder dergleichen ausnutzen. Für solche Arbeiten bin ich schon zu alt. Sebstverständlich interessieren mich auch Meinungen ohne Angabe von Textstellen. ;)
Beispiele:
Aus Susan Sontags Essay "Debriefing" (eine Textstelle):
"Diese Stadt ist weder ein Dschungel, noch der Mond, noch das Grandhotel. In der Totale: ein kosmischer Klex, ein Konglomerat blutender Energien. In der Großaufnahme: ein einigermaßen lesbarer Stromkreis, ein elekrifiziertes Labyrinth mit tierischen Spuren, eine Datenbank mit asthmatischen Stimmproben. Wenige Bürger nur sind berechtigt, elektrisch verstärkt und gehört zu werden." http://www.namesi.de/ninaeins.html
Aus Friedrich Dürrenmatts Erzählung "Die Stadt" (drei Textstellen):
“Sie war von wunderbarer Schönheit und oft durchbrach in der Dämmerung das Licht die Mauern wie warmes Gold, doch denke ich mit Grauen an sie zurück, denn ihr Glanz zerbrach, als ich mich ihr näherte, und wie sie mich umfing, tauchte ich in ein Meer von Angst hinab.” http://www.namesi.de/fetischo.html
...
"Auf ihr lag ein giftiger Nebel, der die Keime des Lebens zersetzte und mich zwang, mühsam nach Atem zu ringen, von einem quälenden Gefühl befallen, als wäre ich in Gebiete gedrungen, die zu betreten dem Fremden untersagt sind, in denen jeder Schritt ein geheimes Gesetz verletzt. Ich irrte umher, von schweren Träumen getrieben, gehetzt von der Stadt, die jenen peinigte, der aus der Ferne gekommen war, bei ihr Zuflucht zu finden. Ich ahnte, dass sie sich selber genügte, denn sie war vollkommen und ohne Gnade.” http://www.namesi.de/stabilfeder.html
...
“Die Stadt umgab mich mit schweigenden Armen, die Augen ihres steinernen Gesichts waren leer. Nie vermochte ich das Dunkel aufzuhellen, das über ihr als eine dämmerhafte Menschenferne lag.” http://www.namesi.de/pentachilltroja.html
Wer ohne Narrheit lebt, ist nicht so weise wie er glaubt (La Rochefoucauld)
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 13.05.2009 um 15:52 Uhr |
[Quote]Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt
Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt
Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt
Hall voller Straßen. Glocken und Geläut.
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht
In blinde Scheiben dumpfes Abendrot,
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,
Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann,
Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien.
Last schwerer Brücken, die darüber ziehn
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann.
(Aus: Ophelia, von Georg Heym)
[/Quote]
Die Stadt als alles verschlingendes Moloch, das Bild der expressionistischen Lyrik.
Eine ganze Sammlung lyrisch expressionistischer Stadtbilder (expressionistische Einflüsse sind ja manchmal auch in deiner Kunst zu entdecken) findest du in Menschheitsdämmerung, zusammengestellt von Kurt Pinthus. Zum Beispiel Heym: Der Gott der Stadt, Becher: Berlin, Wolfenstein: Städter, Hoddis: Die Stadt, Heym: Dämonen der Städte und so weiter und so weiter.
Mich persönlich beschäftigt immer wieder folgendes:
[Quote]
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine,
Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle
(Aus: Städter, von Alfred Wolfenstein)
[/Quote]
Aber das ist ein anderes Thema *g*
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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2. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 13.05.2009 um 16:09 Uhr |
Vielleicht gebe ich noch dieses hier zum Besten, das so schön das Aufeinanderhocken von Vergnügen und Gefahr offen legt. Sowie Misstrauen, Angst und Feigheit, die oftmals mit der Freiheit bringenden Anonymisierung des Individuums in der Großstadt als Nebenwirkungen einhergehen.
[Quote]Kanäle in Berlin
Joachim Ringelnatz
Beleuchtete Zimmer und Säle
Locken mit lautem und hellem Spiel.
Aber die dunkle Politur der Kanäle
Verschweigt so viel.
Uferlängs gehen unsichtbar -
Stoßweise - zwei Stimmen.
Sonderbar! Wie in Gefahr!?
Oder als ob sie schwimmen.
Eine klang wie ein Kind. -
Ich bin links eingebogen.
Dort, wo die hellen Häuser sind,
Hab ich traurig mich belogen.[/Quote]
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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3. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 14.05.2009 um 13:25 Uhr |
Nicht mal solch ein interessantes und auch dominierendes Thema der Literatur zieht mehr. Was soll man machen. Hier noch eine meiner Lieblingsstellen aus Raabes Sperlingsgasse.
Dieses gnadenlose Aufeinanderprallen von Reichtum und Armut, Sanftmut und Brutalität, Werden und Vergehen des Lebens und aller pluralisierten Lebenswelten gleichzeitig in der engen, dicht bevölkerten Stadt, letztlich subsumiert auf den Mikrokosmos der Gasse, macht die Faszination dieser Textstelle für mich aus. Und natürlich die Art der Darstellung, dieser wunderbare Zoom, von der großen zur geringen Distanz, wenn der Erzähler mitten in das Geschehen, in das Gassengewimmel eintaucht.
[Quote]Das Leben der großen Stadt begann wieder seinen gewöhnlichen Gang; der Reichtum gähnte auf seinen Kissen oder hatte auch wohl das Herz ebenso schwer als die Armut, die jetzt aus ihren dunklen Winkeln huschte, um einen neuen Ring der Kette ihres Leidens, einen neuen Tag ihrem Dasein anzuschmieden. Die Gewerbe fassten ihr Handwerkszeug; die großen Maschinen begannen wieder zu hämmern und zu rauschen; die Wagen rollten in den Straßen, und der Taufzug begegnete dem Totenwagen, denn es war nicht die einzige Leiche drüben in der kleinen Kammer; die in der Menschenvollen Stadt im letzten Schlaf ausgestreckt lag. […]
Dort kommt eine elegante Equipage; Kutscher und Bedienstete in prächtiger Livree, mit Blumensträußen im Knopfloch. Bunte Hochzeitsbänder flattern an den Kopfgeschirren der Pferde; der junge vornehme Mann führt seine schöne Braut zur Trauung; ihr Auge trifft den Sarg, welcher langsam auf den Schultern der Träger daherschwankt, und die junge Verlobte birgt zitternd ihr juwelenblizendes Haupt an der Brust neben ihr.
Sieh den Arbeiter, welcher dort das Beil sinken lässt und stier dem Zuge des Todes nachsieht. Schaffe weiter, Proletarier, auch dein Weib liegt zu Hause sterbend; schaffe weiter, du hast keine Zeit zu verlieren; der Tod ist schnell, aber du musst schneller sein, Mann der Arbeit, wenn du sie in ihren letzten Stunden vor dem Hunger schützen willst.
Quelle: Raabe: Chronik der Sperlingsgasse, Reclam, Leipzig 1966, S. 23, 25.
[/Quote]
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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4. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 03.06.2009 um 17:41 Uhr |
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