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Literaturforum: Sozialistischer Realismus


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Forum > Literaturgeschichte & -theorie > Sozialistischer Realismus
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 Thema: Sozialistischer Realismus
LX.C
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 29.11.2006 um 11:07 Uhr

Der Sozialistische Realismus. Oft in diesem Forum erwähn. Warum also nicht einmal eine etwas nähere Erläuterung.

"Der sozialistische Realismus, der die Hauptmethode der sowjetischen künstlerischen Literatur und der Literaturkritik ist, verlangt vom Künstler eine wahrheitsgetreue, historisch korrekte Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Dabei müssen Wahrheitsgetreue, historische Konkretheit der künstlerischen Darstellung mit der Aufgabe der ideellen Umerziehung und der Erziehung der werktätigen Menschen im Sinne des Sozialismus verbunden sein. Der sozialistische Realismus sichert dem künstlerischen Schaffen außergewöhnliche Möglichkeiten zur Äußerung der schöpferischen Initiative und der Wahl verschiedenartiger Formen, Stile und Genres."

(Quelle: Jarmatz, Klaus / Barck, Simone / Diezel, Peter: Exil in der UdSSR, Reclam, Leipzig 1979, S. 41.)


So eine erste offizielle Definition aus dem Jahr 1934.

Nach dem Tod Stalins (1953), begann der Versuch, sich aus den starren Vorgaben des Sozialistischen Realismus zu lösen, dessen Vorkriegsdefinition ohnehin nicht mehr den historischen Gegebenheiten entsprach, wie sie sich 1934 darstellten. Alfred Kurella (1895-1975) hielt 1954, nach dem zweiten Kongress der Sowjetschriftsteller (nach wie vor richtungsentscheidend auch für die Schriftsteller der DDR) folgendes fest:

"Die große Lehre des Kongresses ist, dass es nach der Auffassung der Sowjetschriftsteller und damit auch der Auffassung der großen politischen Kräfte, die hinter ihnen stehen, nicht darauf ankommt, dem Schriftsteller in Frage der Form und des Stils oder der Art, wie man schreiben muss, Rezepte oder Anweisungen zu geben. Entscheidend ist die Grundhaltung des Schriftstellers gegenüber der Wirklichkeit, seine Einstellung zum Leben, seine bejahende Haltung zu den Entwicklungstendenzen, die zum Sozialismus führen, und seine tiefes Verständnis der Wirklichkeit von der Höhe der modernen Weltauffassung her."

(Quelle: Kurelle, Alfred: Bilanz der Sowjetliteratur (II), in: Neue Deutsche Literatur 3, 1955, Heft 3, S. 121.)


Das hörte sich zunächst ganz gut für die Literatur an, befreite sie aus den Fesseln des Stalinismus, warf aber dennoch wieder die Forderung, insbesondere durch Anna Seghers (1900-1983) öffentlich gemacht, nach der Neubeantwortung der wichtigsten Fragen des Sozialistischen Realismus auf: Was ist das Typische? Was ist der positive Held? Was ist ein Konflikt? Als entscheidend für das Typische, die Helden- und Konfliktgestaltung ergab sich:

"Die Bestimmung dessen, was für die Gesellschaft und für den einzelnen wesentlich ist, die Beurteilung des Handelns des Menschen, der Charakter und die Tiefe gesellschaftlicher Widersprüche."

(Quelle: Haase / Geerdts / Kühne / Pallus: Geschichte der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1976, S. 213.)


Es galt nun insbesondere im Bezug auf das Typische:

"zu entdecken und künstlerisch zu gestalten, was im wirklichen Leben zwar noch nicht massenhaft in Erscheinung trat, für den Fortschritt der Gesellschaft und für die Tendenz des Zukünftigen jedoch als typisch anzusehen war. Andererseits [...] subjektivistische Auffassungen über den gesellschaftlichen Prozess theoretisch zu begründen."

(Quelle: Haase / Geerdts / Kühne / Pallus: Geschichte der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1976, S. 214.)


Dabei erkannte man und bekannte man sich erstaunlicher Weise öffentlich, sicherlich noch nicht gleich, aber spätestens in den 70er Jahren, zu dem Hauptproblem des Sozialistischen Realismus:

"Ein allzu direkter Bezug der künstlerischen Typik auf das Wesen sozialer Erscheinungen förderte eine krasse Schwarz- Weiß -Malerei. Zuspitzungen und Übertreibungen im Sinne des so aufgefassten "Typischen" führte zu einer schönfärberischen Gestaltung der gesellschaftlichen Perspektive."

(Quelle: Haase / Geerdts / Kühne / Pallus: Geschichte der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1976, S. 214.)


Eine Kritik, die ja (sicherlich zurecht) bis heute vorherrschend blieb; der sich auch in diesem Forum immer wieder bedient wird.


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Kroni
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145 Forenbeiträge
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 29.11.2006 um 16:37 Uhr

Die schönste Beschreibung des sozialistischen Realismus findet sich für mich in Landof Scherzer: Der Erste, im Kapitel "Hübscher Graben":

"Vor sechs Jahren hatte der Literaturverantwortliche der SED-Bezirksleitung in unserer Verbandsversammlung wissen wollen, wie die Partei die Schriftsteller bei der "Schaffung" von Wirklichkeitsbeziehungen noch wirkungsvoller unterstützen könne. Einer von uns wollte im Forst arbeiten, einem anderen fehlten Winterreifen, eine Kollegin bat um einen kurzen Studienaufenthalt im Schafstall, einer benötigte ein Telefon, und ich wollte, um hinter die Kulissen der Parteiarbeit schauen zu können, den Ersten vom Bezirk (oder einen Kreisersten) einige Wochen von früh bis abends bei allen Amtshandlungen begleiten.
Das sei eine wichtige kulturpolitische Aufgabe, sagte der Literaturverantwortliche damals, und notierte meinen Wunsch.
Die Stippvisite im Schafstall lies sich am schnellsten realisieren. Die Arbeit im Forst und die Winterreifen konnten die Genossen der Bezirksleitung im zweiten Jahr organisieren. Am längsten dauerte die Angelegenheit mit dem Telefonanschluß, doch als auch dafür die Strippen gezogen wurden, hate ich ausser Vertröstungen noch nichts erfahren, und bei erneuten Fragen nach Wirklichkeitsbeziehungen für Schriftsteller ließ man mich danach immer aus. [...]
Vor einem halben Jahr kam der Literaturverantwortliche der Bezirksleitung zu mir nach Hause und informierte mich:"Du kannst den 1. Sekretär der Kreisleitung Bad Salzungen, den Genossen Hans-Dieter Fritschler vier Wochen bei seiner Arbeit beobachten."

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LX.C
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 29.11.2006 um 16:46 Uhr

Hat er doch bekommen, was er wollte.


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Kenon
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 06.12.2006 um 11:56 Uhr

Zitat:

Ein allzu direkter Bezug der künstlerischen Typik auf das Wesen sozialer Erscheinungen förderte eine krasse Schwarz-Weiß-Malerei.

Was bleibt (dennoch) zu lesen? Werke wie Gorkis Mutter, Scholochows Stiller Don, mit einigen Abstrichen sicher auch Ostrowskis Wie der Stahl gehärtet wurde. Mehr?

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Gast873
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4. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 06.12.2006 um 12:14 Uhr

Ich sage nicht, dass er gut ist, aber man kann ihn lesen: Solschenizyn.

Sein Buch „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch” (geschr. 1962) spiegelt die animalsche Seite des Menschen, der überleben will, wider. Könnte man evtl. mit Dostojewskijs "Aufzeichnungen aus dem Totenhause" vergleichen, aber der spielt sowieso in einer anderen literarischsen Liga des Realismus.

Gruß
Hyperion

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LX.C
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5. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 06.12.2006 um 14:03 Uhr

Zitat:

Zitat:

Ein allzu direkter Bezug der künstlerischen Typik auf das Wesen sozialer Erscheinungen förderte eine krasse Schwarz-Weiß-Malerei.

Was bleibt (dennoch) zu lesen? Werke wie Gorkis Mutter, Scholochows Stiller Don, mit einigen Abstrichen sicher auch Ostrowskis Wie der Stahl gehärtet wurde. Mehr?

Jede literarische Richtung hat ihre Problematiken. Ist die hervorgegangene Literatur deshalb im ganzen zu entwerten? Na sicher gibt es mehr. Viel mehr.


.
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Kenon
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6. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 06.12.2006 um 19:44 Uhr

Just heute habe ich ein schönes Beispiel einer Personencharakterisierung im SozRealismus gefunden:

Zitat:

Der Feind ist da und liegt auf der Lauer.
Nehmen wir Korvas. 1934 bringt er´s fertig, sich in die Kommunistische Partei einzuschleichen. Er spioniert in der Partei. Man wirft ihn hinaus. Was tut Korvas? Er schreibt einen widerwärtigen Artikel, eine einzige Lüge über die Kommunistische Partei. [...] In Ruhe kann er dem Geld nachjagen, dem Geld, das er ebenso schnell wieder ausgibt, wie er es einnimmt.

Svatopluk, T.: Ohne Chef. Roman. Dresden 1953, S. 105f.

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Kenon
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7. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 23.07.2007 um 12:25 Uhr

Zitat:

Die Kunst des sozialistischen Realismus verschmilzt in ihrem ideell-ästhetischen Programm die Aufgaben der Bejahung und der Verneinung sowie der Verherrlichung des Schönen und Erhabenen im Leben der Menschen, die eine neue Welt erbauen, und der Entlarvung des Häßlichen und Niedrigen, das dem kommunistischen Aufbau im Wege steht.

Kagan, Moissej: Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik. Berlin 1971. S. 128.

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LX.C
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8. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 23.07.2007 um 12:33 Uhr

Ich warte immer darauf, dass mal eine Ausstellung stattfindet, Malerei des sozialistischen Realismus. Aber irgendwie scheinen alle Werke in den Kellern versteckt.
Falls jemand einen Tip hätte. Immer her damit.


.
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Kenon
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9. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 23.07.2007 um 13:09 Uhr

Ausstellungen gab es bereits in Prag (Tschechoslowakischer Sozialistischer Realismus 1948-1958) und Frankfurt (Traumfabrik Kommunismus).

Önline kann man auf der Seite der Leningrad School of Fine Arts (1930-1990) einiges betrachten, auch wenn es nicht immer 100% realistisch ist:


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