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Literaturforum: Tod des Autors, neue Perspektive


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Forum > Literaturgeschichte & -theorie > Tod des Autors, neue Perspektive
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 Thema: Tod des Autors, neue Perspektive
Franklin Bekker
Mitglied

98 Forenbeiträge
seit dem 09.01.2005

Das ist Franklin Bekker

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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 20.05.2006 um 14:35 Uhr

Es mag sein, dass hier schon öfter Diskussionen über Autorschaft gelaufen sind... dennoch denke ich etwas neues dazu beitragen zu können. Man möge mir die Art der Präsentation des Gedankens verzeihen... dem bemühten Leser wird auffallen, dass hier hinter das, was Diskursanalyse, Hermeneutik und Systemtheorie für Literatur halten zurück gegangen wird.

Emanzipation des AKERL - Rede für Dinge, die lesbar sind

I
Ich wusste bereits, dass die Vorlesung ausfällt und wie es bekannt gegeben wird, dass die Vorlesung ausfällt. Ich ging davon aus, dass nicht alle wissen würden, dass die Vorlesung ausfällt. Also beeilte ich mich frühzeitig - als erster - am Hörsaal zu sein und entfernte den Zettel, der rechts neben der Tür hing. Ich entfernte die Notiz über den Ausfall der Vorlesung und stellte mich ans Pult, wo ich begann meine Zettel zu sortieren und meinen Vortrag im Geiste noch einmal durchzugehen.
Die ersten Kommilitonen setzten sich bereits. „Was ist denn hier los?“
„Prof. J ist leider verhindert. Aber setzen sie sich ruhig. Ich erkläre das gleich.“, sagte ich beiläufig, während ich den Polylux(Overhead) justierte.
„Vertreten sie Prof. J?“ Mancher Student drehte bereits wieder um, wenn er nicht den Professor am Pult stehen sah, aber einige blieben doch.
„Ich stehe hier an seiner Stelle oder nicht?“ Das breite Grinsen, das den Kommilitonen veranlasste auf einen freundlichen Hinweis darauf, dass ich seine Frage für rhetorisch hielt, zu schließen, war unwillkürlich. „Wie bereits gesagt ist Prof. J verhindert. Dennoch sollten sie diese Stunden, da sie nun schon hier sind, nicht ungenutzt lassen. Sie sind selbstverständlich nicht gezwungen zu bleiben, sind aber dazu angehalten. Ich kann niemanden zwingen etwas über moderne Autorschaftskonzepte zu erfahren. Als angehende Deutschlehrer und Philologen der deutschen Sprache sollten sie allerdings ein gewisses Interesse an dem Thema aufbringen.“
Vierzig hatte ich in die Falle gelockt. Die Hälfte ging jetzt wieder hinaus. Immerhin hatte ich zwanzig Leute an denen ich mich ausprobieren konnte.

II
„Was will ich außer, dass man mir zuhört und mit den Gegenreden wartet, bis man glaubt mich verstanden zu haben? Ich will die gesamte Literaturtheorie beleidigen, alle Kunsttheoretiker ganz nebenbei und leider auch die Künstler. Bei den Lesern bin ich mir unsicher... Und ganz im Sinne einer richtigen Beleidigung habe ich gute Gründe für die meine. Diese Tatsache, dass sie nicht in der Luft hängt, wird schließlich dafür sorgen, dass es nicht möglich ist sich ihr zu entziehen und eben dies wird sie alle zu Kollaborateuren der an ihnen vollzogenen Verunglimpfung machen.“ Dies hatte ich ruhig und sachlich mit gedämpfter Stimme gesagt.
Jetzt hob ich an „Ich erkläre die Kategorien des Autors, des Werkes, des Textes für null und nichtig. Bin ich befugt diesen Sprechakt zu vollführen? Hört man mir zu? So soll es mir egal sein. Ebenso weise ich den Sinn und die Diskurse als zweitrangig zurück. Oh geht nach Hause ihr Diskursanalytiker und Hermeneutiker!“ Ich warf die Faust zu einer drohenden Geste empor. „Hier stehe ich und werfe ihnen meine Damen und Herren Literaturtheoretiker vor selbst den einfachen Begriff ‚Text’ so mit Sinn und Diskurs überladen zu haben, dass es nicht mehr möglich ist ihn zu verwenden.“ Und schlug mit der Faust auf das Pult. Dann wieder ruhiger: „Wovon will ich reden? Ich will von allem reden, das lesbar ist. Ganzhohl stopft die Heide!, sage ich. Verstehen sie nicht? Aber wer hat denn gesagt, dass es etwas zu verstehen gibt?
Dinge, die lesbar sind ... da mag man sich ruhig dreißig Buchstaben denken, die in einer Abfolge stehen, die nicht einmal sprechbar ist ... sie seien auf den historischen Namen AKERL getauft. Nun erklären sie diesen Namen nicht für ein Zitat aus anderen Texten, denn ich habe mit meinen Händen auf die Tastatur geschlagen, um ihn zu finden und war so gnädig eine Variante zu wählen, die sie sprechen können. Bei MFFSN hätten sie ihre Probleme gehabt. Ich verstehe schon. Sie werden sicherlich eine Möglichkeit finden sich all dessen zu bemächtigen? Nur warum? Zunächst einmal, weil sie es wollen und dann natürlich auch, weil der AKERL ihnen die Möglichkeit dazu lässt. Ich könnte ebenso gut in Primzahlen reden, aber dann hätte sich für die Meisten die Sache schon erledigt. Es gibt ja einen Sinn und es gibt ja auch einen Diskurs hier, aber seien sie bitte dankbar dafür.“
„Warum sie dankbar sein sollen?“, fragte ich höhnisch eine Selbstverständlichkeit ankündigend. „Weil es eben nicht selbstverständlich ist, dass ein AKERL Sinn hat. Vielleicht ist es selbstverständlich für Diskurse... Die kommen klar daher und wenn sich dem AKERL gar kein Diskursbeitrag abgewinnen lässt, dann macht man eben aus dem AKERL einen eigenen Diskurs. Ich sage auch gar nichts dagegen, denn es ist immerhin auch im Interesse des AKERL, dass sie das mit ihm anstellen. Warum?“ Wie eine Offenbarung gesprochen: „Weil sie ihn jetzt lesen müssen. Kein AKERL kann sich mehr wünschen.“ „Doch bleibt die Frage, ob sie überhaupt ein Interesse daran haben einen bestimmten AKERL zu lesen. Und das ist der Punkt in den Beispielen. Sie können sie nur am Rande der Plausibilität vereinnahmen. Sie vereinnahmen sie nur, weil ich ihre Fähigkeit dazu in Zweifel ziehe und ließen andernfalls ‚Ganzhohl stopft die Heide’, gänzlich unberührt. Oh ihr Diskursanalytiker und Hermeneutiker, kommt nur einmal hernieder und beobachtet euch selbst durch die Augen des AKERL!“
Jetzt emphatisch den Fatalismus der Helden in Zweifel ziehend: „Wollt ihr noch immer fragen nach dem Diskursbezug, wollt ihr noch immer fragen nach dem tieferen Sinn? Wollt ihr noch immer Fragen nach dem Werke schaffenden Gott und noch immer fragen nach der Funktion von Autoren für den Diskurs?“ Und resignierend: „So gibt euch der AKERL, wonach ihr verlangt und stillt den Durst nach Sinn und bettet zur Ruhe den Willen zur Wahrheit. So gibt ers euch mit freiem Mut und verlangt nur eines von euch: „Lest mich!“ Ich hoffe man hört mich.“
„Wie? Aber wie? So müssen sie fragen! Aber wie kommt es denn, dass all die Texte Sinn ergeben? Weil im Wort Text bei ihnen meine Damen und Herren der ganze Sinn schon drin steckt, haben sie wohl aus Versehen vergessen sich zu wundern. Aber nein ich nenne ihnen einfach die neuen Wörter ihrer erneuerten Disziplin und verweise sie damit an einen anderen. Feierlich: Selektion und Variation, Reproduktion, Spezialisierung, Modifikation, Differenzierung, Restabilisierung, dynamische Stabilität und Evolution.“
Beide Arme offen gen Publikum. „Nun endlich öffnen sich die Augen und blicken in die Weite sich aneinander entlang hangelnder Texte. Diese manchmal scheuen Wesen, dann wieder aggressiven Räuber, die aus dem Dickicht ihre Leser befallen... Seht ihr wie sie alle ihren Platz finden oder sich in der Zeit verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt zu irritieren? Seht ihr, wie sie Schnäbel haben, um Leser zu knacken oder lieblich duften, um Leser zu sich zu locken? Seht ihr diese Finken in ihren Nischen und wie gut, wie unglaublich gut sie sich in ihren Achtungsraum fügen?“
„Wie? Aber wie? Wie unwahrscheinlich ist als dies?“ Ich zeigte energisch auf die Tür. „Fragt den Soziologen! Fragt den Soziologen! Aber lasst euch nicht foppen! Dereinst sollt ihr Autor sagen zu dem, das er Evolution nennt.“
Mit beiden Händen machte ich eine Geste, als würde ich einen schweren Vorhang beiseite werfen. „Fort nun! Fort, ihr Aasgeier und Hyänen, von den Begriffen! Seid gebannt! Text ist, was gelesen werden kann. Autor ist, was lesen macht. Leser ist, wer liest. Und alles dies ist Irritation und Achtungsmarkt, ist die Symbiose von Lesern und den Suchenden der Aufmerksamkeit. Natürlich als Künstler. Man soll sie achten, weil sie Achtbares hervorbringen und tun sie es nicht, so ist es achtbar allemal. Es weiß doch jeder, dass die Deutschen das Schreiben dann begannen und nicht mehr unterließen, als sie erst neidisch auf Franzosen waren. Wahr genug! Auch Achtung ist Diskurs und natürlich rede ich vom Willen zur Macht. Aber was geht das die Evolution, was geht das den Autor an?“
Jetzt wieder ganz sachlich: „Zurecht fragen sie, was all das soll. Ich bin ein Reisender auf dem Bahnhof und will ihnen ein Ticket zum AKERL verkaufen. Nun was soll man denn am AKERL? Ganz recht ich nenne ihnen die Zielstationen der Anschlusszüge: Eldorado, Atlantis, viele versunkene Schiffe, geheime Kammern in Pyramiden, missing link und alle anderen Enden des Regenbogens. Anders gesagt: Welche Texteigenheiten führen dazu, dass wir ihn lesen? Wie war die Entstehung durch das den Autor tragende Konstrukt (Geist, Individuum, Priester sonst was) bedingt? Welche außertextlichen Vorgänge führen dazu, dass der Text gelesen wird? Welche Selektionsvorteile des Textes sind durch momentane Zeitzusammenhänge zu Nachteilen geworden? Wie unterscheidet sich unsere heutige Textwahl von Vormaligen? Welche Variationen, Mutationen, Modifikationen haben sich durchgesetzt? Usw. Man kann zu allen Antworten der Literaturtheorie zu einheitlichen Tarifen fahren und sogar Rundreisen machen ohne die Währung wechseln zu müssen.
Nun wenn sie den AKERL nicht wollen... dann wäre er an ihnen vielleicht verschwendet? Dabei hätte ich mir gewünscht, dass man endlich versteht, was alle Redner und Texter gemein haben, was kein Autorkonzept vernachlässigen darf... den AKERL. Faszinierend, dass man genau das zu ignorieren all die Zeit versucht hat. Aber es lässt sich schwer sagen, oder? Ohne weitere Absicht zu reden heißt: reden um der Achtung willen. Aber Achtung kann man nicht fordern. Man kann sie nur erstreiten. Also kein Vorwurf - auch ich hätte unter diesen Voraussetzungen lange über Sinn geredet - nur eine Beleidigung.
Aber vergessen sie, was ich über Achtung gesagt habe. Natürlich braucht man nicht allen Künstlern solche Lobhudelei unterstellen. Da sieht man eben, wie verführerisch es ist Perspektiven auf AKERL zu werfen. Auch, dass wir durch vorher genommene Unterscheidungen auf einen AKERL blicken können, wird wohl seine Raffinesse sein. Von der Evolution her wissen wir, dass Raffinesse keinen Plan braucht. Und so hat sich die Luhmannsche Systemtheorie eben auf die Entstehung der auf Einzelwerke fallenden Perspektiven als Kunst, Literatur, Werke überhaupt, sinnhaftig und diskurshaltig, wobei diese unter einem Achtungsgesichtspunkt schon wieder das Entstehen von AKERL begünstigen, gestürzt, während man die Evolution des Einzelwerkes aus den Augen verlor. „Es mag eine Besonderheit des Kunstsystems darin liegen, daß hier Einzelwerke mit nur lockerer „Intertextualität“ produziert werden und daß schon auf dieser Ebene, wenn man stark formulieren will, Zufall in Notwendigkeit transformiert wird. Man wird diese Minievolution des Einzelwerkes daher im Auge behalten müssen, wenn es um eine Theorie der Evolution des Kunstsystems geht.“ Man wird vor allen Dingen diese Minievolution im Auge behalten müssen, wenn es einem endlich mal um das Einzelwerk geht. Und wenn man die Frage klären will, was denn ein Autor sei...“

III
Keiner war eingeschlafen. Zwei schauten mich mit großen Augen an. Einige lasen, andere blickten abwesend, mancher schaute irritiert und mancher so, dass ich es nicht deuten konnte. Die Realität meines Vortrags sah ganz anders aus. Ich sprach wie eine Schlaftablette und zu lange und zu viel. Kritik am Autorkonzept zu kritisieren, Hermeneutiker, Diskursanalytiker und Systemtheoretiker unter einer Perspektive zusammen zu bringen, war mein Anliegen. Damit scheiterte ich gänzlich. Zwar hatte ich im leeren Hörsaal geübt, doch geholfen hatte es nichts.
Während meines Vortrags bekam ich mehr und mehr das Gefühl, dass man mir nicht zuhörte und wie sollte man mich verstehen, wenn man mir nicht einmal zuhörte?


Komm schon, gieß mich in Bronze!
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