Russland hat sich als Akteur auf der Weltbühne zurückgemeldet - mit leidlich bekanntem Repertoire: Wortbruch, Drohungen, Entführungen, Propaganda, Landnahmen, politischer Verfolgung, Zerstörungen, Erschießungen, Bomben, Krieg. Der völkerrechtswidrige Tabubruch der Krim-Annexion im Frühjahr 2014, die darauf folgende Donbas-Invasion hatte viele Menschen überrascht, verstört und ziemlich fraglos gemacht. Wie war es möglich, dass sich die überwunden geglaubte Vergangenheit - die schrecklichen Barbareien des 20. Jahrhunderts - erneut manifestieren konnte?
Der Buchmarkt hat inzwischen reagiert, eine ganze Reihe neuer Publikationen versucht, das unverständliche verständlich zu machen. Glücklicherweise in den seltensten Fälle auf Art einer Krone-Schmalz, deren Buch "Russland verstehen" im Moment sehr bezeichnend "Bestseller Nr. 1 in Imperialismus" auf amazon ist. Natürlich hat die Autorin das Buch nicht selbst dort eingeordnet.
Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, wirft in "Technologien der Seele" einen Blick auf das medien-kulturelle Leben Russlands der ungefähr letzten 20 Jahre. Der Untertitel des Buches "Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur" ist nicht besonders repräsentativ. Natürlich geht es Schmid in seinem Werk auch um die staatliche Fabrikation der Wirklichkeit, zu deren traurigen Höhepunkten die Erfindung einer Kinderkreuzigung gehört, sein Blick geht aber viel weiter. Er beleuchtet die Produktion wirkungsmächtiger Personen: Philosophen, Literaten, Verleger - nicht nur den gesellschaftlichen Mainstream wie den Faschisten Dugin, sondern auch oppositionelle Randfiguren wie Lyudmila Ulitskaya, die Schmid sehr schön zitiert:
Zitat:
Mein Land hat gegenwärtig der Kultur, den Werten des Humanismus, der Freiheit der Persönlichkeit und der Idee der Menschenrechte, einer Frucht der gesamten Entwicklung der Zivilisation, den Krieg erklärt. Mein Land krankt an aggressiver Unbildung, Nationalismus und imperialer Großmannssucht. (...) ich schäme für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat.
Mein Land hat gegenwärtig der Kultur, den Werten des Humanismus, der Freiheit der Persönlichkeit und der Idee der Menschenrechte, einer Frucht der gesamten Entwicklung der Zivilisation, den Krieg erklärt. Mein Land krankt an aggressiver Unbildung, Nationalismus und imperialer Großmannssucht. (...) ich schäme für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat.
Ich schäme mich für alle Europäer, welche die russische Aggression in Worten und Taten unterstützen und unterstützten, kleinreden, relativieren, rechtfertigen - ganz gleich, ob sie vielleicht Sarah Wagenknecht oder Helmut Schmidt heißen.