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Archiv klassischer Werke


 
Ein Lied von der Weibertreue
Adelbert von Chamisso
S'il est un conte usé, commun et rebattu,
C'est celui qu'en ces vers j'accommode à ma guise.
                                               La Fontaine

Sie haben zwei Tote zur Ruhe gebracht;
Der Hauptmann fiel in rühmlicher Schlacht,
Mit Ehren ward er beigesetzt;
Und der, den jüngst er wacker gehetzt,
        Der Räuber hängt am Galgen.

Da hält die Wacht als Schildergast
Ein junger Landsknecht, verdrießlich fast;
Die Nacht ist kalt, er flucht und friert,
Und wird ihm geraubt, der den Galgen ziert,
        So muß für ihn er hangen.

Im Grabgewölb bei des Hauptmanns Leib
Verweilt verzweiflungsvoll sein Weib;
Sie hat geschworen in bittrer Not,
Für ihn zu sterben den Hungertod,
        Die Amme zur Gesellschaft.

Die Amme spricht: »Gebieterin!
Ich habe geschworen nach Eurem Sinn;
Beklagt und lobt den selgen Herrn!
Da stimm ich mit ein von Herzen gern;
        Doch plagt mich sehr der Hunger.

Er war, so alt er war, gar gut,
Nicht eifersüchtig, von sanftem Mut.
Ach, edle Frau, Ihr findet zwar
Den zweiten nicht, wie der erste war;
        Doch plagt mich sehr der Hunger.

Euch war's, es ist mir wohl bewußt,
Ein harter Schlag, ein großer Verlust;
Doch seid Ihr noch schön, doch seid Ihr noch jung
Und könntet noch haben der Freude genung;
        Es plagt mich sehr der Hunger.«

Die Amme so; und stumm beharrt
Die edle Frau, im Schmerz erstarrt;
Erloschen scheint der Augen Licht;
Sie klaget nicht, sie weinet nicht;
        Es plagt sie sehr der Hunger.

Und draußen bläst der Wind gar scharf;
Der Landsknecht läuft, so weit er darf,
Indem er sich zu erwärmen sucht;
Und wie er läuft, und wie er flucht,
        So sieht ein Licht er schimmern.

Von wannen mag der Schimmer sein?
Er schleicht hinzu, er tritt hinein:
»Gegrüßet mir, ihr edle Fraun;
Wie muß ich hier im Grabe schaun
        So hoher Schönheit Schimmer!«

So staunend er; und stumm beharrt
Die edle Frau, im Schmerz erstarrt;
Erloschen scheint der Augen Licht;
Sie klaget nicht, sie weinet nicht;
        Es plagt sie sehr der Hunger.

Die Amme drauf: »Das seht Ihr ja,
Wir trauern um den Toten da;
Wir haben geschworen in bittrer Not,
Für ihn zu sterben den Hungertod;
        Es plagt mich sehr der Hunger.«

Drauf er: »Das ist nicht wohlgetan
Und hilft zu nichts dem toten Mann.
So schön! so jung! ihr seid nicht klug,
Es hat die Welt der Freude genug;
        Entsetzlich nagt der Hunger!

Ich sage nur, ihr Frauen sollt
Mich essen sehn, dann tun, was ihr wollt.
Hier hab ich Brot, hier hab ich Wurst,
Hier eine Flasche für den Durst;
        Es plagt auch mich der Hunger.«

Und wie er tut, was er gesagt,
Und ihm so wohl das Essen behagt,
Da sinkt der Alten ganz der Mut:
»Ach! edle Frau, das schmeckt so gut!
        Und ach, mich plagt der Hunger!«

Drauf er: »So eßt, ich habe für zwei
Genug, und habe genug für drei;
Ich esse sonst allein für vier;
So eßt und trinkt getrost mit mir!
        Das hilft schon für den Hunger.«

Die Amme versucht auf gutes Glück
Ein Stückchen erst und dann ein Stück:
Sie sieht der Herrin ins Angesicht;
Sie klaget nicht, sie weinet nicht;
        Es plagt sie sehr der Hunger.

»Ach, edle Frau, das schmeckt so gut!
Ihr wißt schon, wie der Hunger tut;
Was hat davon Euer Herr Gemahl?
Es sei genug für dieses Mal!
        Entsetzlich nagt der Hunger.«

Er tritt zu ihr: »Versucht es nur!«
Sie aber spricht: »Mein Schwur! mein Schwur!«
Und stößt ihn dennoch nicht zurück;
Sie nimmt ein Stückchen und dann ein Stück;
        Das hilft denn für den Hunger.

Er fällt vor ihr auf seine Knie:
»Ich sah ein schöneres Weib noch nie,
Nur sollt Ihr hinfort mir klüger sein!
Nun muß ich gehen. Gedenket mein!
        Ich komme morgen wieder.

Nichts da von Lebensüberdruß!«
Er spricht's und raubt ihr einen Kuß
Und stürzt hinaus, er ist schon fort;
Die Alte ruft: »So halt auch Wort,
        Du lieber, lieber Landsknecht!«

Und ferner spricht sie zu der Frau:
»Bedenk ich, Herrin, die Sache genau,
Er hat es gar nicht schlecht gemacht
Und uns auf guten Weg gebracht,
        Der liebe, liebe Landsknecht!«

Sie sagt nicht nein, sie sagt nicht ja;
Sie steht betroffen, errötend da,
Gibt ihren Tränen freien Lauf
Und seufzet leis eratmend auf:
        »Du lieber, lieber Landsknecht!«

Der Landsknecht aber verwundert sich sehr;
Er steht vor dem Galgen, und der steht leer.
»Blitz Hagel! das war mein Henkersschmaus!
Den Platz da füll ich morgen noch aus,
        Ich armer, armer Landsknecht!«

Er läuft zurück: »Nun schafft auch Rat!
Sonst muß ich hangen, ich kam zu spat.«
Sie fragen ihn aus; wie er alles gesagt,
Da weint die edle Frau und klagt:
        »Du armer, lieber Landsknecht!«

Die Alte spricht: »Geduld! Geduld!
Ich wasch ihn rein von aller Schuld;
Er hat uns errettet, das wißt Ihr doch?
Versteht mich, Frau! Was zaudern wir noch?
        Du lieber, lieber Landsknecht!

Man hat ihm seinen Toten geraubt;
Wir haben auch einen; wenn Ihr es erlaubt,
Gebt ihm den unsern, gebt Euren Schatz!
Der füllt, wie einer, seinen Platz.
        Du lieber, lieber Landsknecht!

Und wer betrachtet's scharf genug,
Daß er entdecke den Betrug?
Frisch angefaßt und schnell ans Werk,
Daß keiner dort den Mangel merk!
        Du lieber, lieber Landsknecht!«

Wie er die Hand an den Toten legt,
Da ruft der Landsknecht tief bewegt:
»Mein Hauptmann! was? Du bist es fürwahr!
Nun bring ich dich an den Galgen gar!
        Du lieber, guter Hauptmann!«

Die Frau versetzt: »Was zauderst du?
Geschwind! sonst kommen noch Leute dazu;
Geschwind! ich helfe, was ich kann;
Geschwind! geschwind! du lieber Mann!
        Du lieber, lieber Landsknecht!«

Und er darauf: »Es geht nicht an;
Dem Räuber fehlt ein Vorderzahn.«
Da nimmt sie selber einen Stein
Und schlägt den Zahn dem Toten ein:
        Du lieber, lieber Landsknecht!

So schleifen hinaus ihn alle drei
Und hängen ihn an den Galgen frei;
Und streift nun der Wind die Heide entlang,
So geben die Knochen gar guten Klang
        Zum Lied von der Weibertreue.



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