Die Thorheit und Raserei, welche den Entwurf der Kreuzzüge erzeugten, und die Gewalttätigkeiten, welche die Ausführung desselben begleitet haben, können ein Auge, das die Gegenwart begrenzt, nicht wohl einladen, sich dabei zu verweilen. Betrachten wir aber diese Begebenheit im Zusammenhang mit den Jahrhunderten, die ihr vorhergingen, und mit denen, die darauf folgten, so erscheint sie uns in ihrer Entstehung zu natürlich, um unsere Verwunderung zu erregen, und zu wohlthätig in ihren Folgen, um unser Mißfallen nicht in ein ganz andres Gefühl aufzulösen. Sieht man auf ihre Ursachen, so ist diese Expedition der Christen nach dem heiligen Lande ein so ungekünsteltes, ja ein so nothwendiges Erzeugniß ihres Jahrhunderts, daß ein ganz Ununterrichteter, dem man die historischen Prämissen dieser Begebenheit ausführlich vor Augen gelegt hätte, von selbst darauf verfallen müßte. Sieht man auf ihre Wirkungen, so erkennt man in ihr den ersten merklichen Schritt, wodurch der Aberglaube selbst die Uebel anfing zu verbessern, die er dem menschlichen Geschlecht Jahrhunderte lang zugefügt hatte, und es ist vielleicht kein historisches Problem, das die Zeit reiner aufgelöst hätte, als dieses, keines, worüber sich der Genius, der den Faden der Weltgeschichte spinnt, befriedigender gegen die Vernunft des Menschen gerechtfertigt hätte.
Aus der unnatürlichen und entnervenden Ruhe, in welche das alte Rom alle Völker, denen es sich zur Herrscherin aufdrang, versenkte, aus der weichlichen Sklaverei, worin es die thätigsten Kräfte einer zahlreichen Menschenwelt erstickte, sehen wir das menschliche Geschlecht durch die gesetzlose stürmische Freiheit des Mittelalters wandern, um endlich in der glücklichen Mitte zwischen beiden Aeußersten auszuruhen und Freiheit mit Ordnung, Ruhe mit Thätigkeit, Mannigfaltigkeit mit Uebereinstimmung wohlthätig zu verbinden.
Die Frage kann wohl schwerlich sein, ob der Glücksstand, dessen wir uns erfreuen, dessen Annäherung wir wenigstens mit Sicherheit erkennen, gegen den blühendsten Zustand, worin sich das Menschengeschlecht sonst jemals befunden, für einen Gewinn zu achten sei, und ob wir uns gegen die schönsten Zeiten Roms und Griechenlands auch wirklich verbessert haben. Griechenland und Rom konnten höchstens vortreffliche Römer, vortreffliche Griechen erzeugen – die Nation, auch in ihrer schönsten Epoche, erhob sich nie zu vortrefflichen Menschen. Eine barbarische Wüste war dem Athenienser die übrige Welt außer Griechenland, und man weiß, daß er dieses bei seiner Glückseligkeit sehr mit in Anschlag brachte. Die Römer waren durch ihren eigenen Arm bestraft, da sie auf dem ganzen großen Schauplatz ihrer Herrschaft nichts mehr übrig gelassen hatten als römische Bürger und römische Sklaven. Keiner von unsern Staaten hat ein römisches Bürgerrecht auszutheilen; dafür aber besitzen wir ein Gut, das, wenn er Römer bleiben wollte, kein Römer kennen durfte – und wir besitzen es von einer Hand, die Keinem raubte, was sie Einem gab, und was sie einmal gab, nie zurücknimmt: wir haben Menschenfreiheit; ein Gut, das – wie sehr verschieden von dem Bürgerrecht des Römers! – an Werthe zunimmt, je größer die Anzahl Derer wird, die es mit uns theilen, das, von keiner wandelbaren Form der Verfassung, von keiner Staatserschütterung abhängig, auf dem festen Grunde der Vernunft und Billigkeit ruhet.
Der Gewinn ist also offenbar, und die Frage ist bloß diese: war kein näherer Weg zu diesem Ziele? konnte sich diese heilsame Veränderung nicht weniger gewaltsam aus dem römischen Staat entwickeln, und mußte das Menschengeschlecht nothwendig die traurige Zeitstrecke vom vierten bis zum sechzehnten Jahrhundert durchlaufen?
Die Vernunft kann in einer anarchischen Welt nicht aushalten. Stets nach Uebereinstimmung strebend, läuft sie lieber Gefahr, die Ordnung unglücklich zu verteidigen, als mit Gleichgültigkeit zu entbehren.
War die Völkerwanderung und das Mittelalter, das darauf folgte, eine nothwendige Bedingung unserer bessern Zeiten?
Asien kann uns einige Aufschlüsse darüber geben. Warum blühten hinter dem Heerzuge Alexanders keine griechische Freistaaten auf? Warum sehen wir Sina, zu einer traurigen Dauer verdammt, in ewiger Kindheit altern? Weil Alexander mit Menschlichkeit erobert hatte, weil die kleine Schaar seiner Griechen unter den Millionen des großen Königs verschwand, weil sich die Horden der Mantschu in dem ungeheuren Sina unmerkbar verloren. Nur die Menschen hatten sie unterjocht; die Gesetze und die Sitten, die Religion und der Staat waren Sieger geblieben. Für despotisch beherrschte Staaten ist keine Rettung als in dem Untergang. Schonende Eroberer führen ihnen nur Pflanzvölker zu, nähren den siechen Körper und können nichts, als eine Krankheit verewigen. Sollte das verpestete Land nicht den gesunden Sieger vergiften, sollte sich der Deutsche in Gallien nicht zum Römer verschlimmern, wie der Grieche zu Babylon in einen Perser ausartete, so mußte die Form zerbrochen werden, die seinem Nachahmungsgeist gefährlich werden konnte, und er mußte auf dem neuen Schauplatz, den er jetzt betrat, in jedem Betracht der stärkere Theil bleiben.
Die scythische Wüste öffnet sich und gießt ein rauhes Geschlecht über den Occident aus. Mit Blut ist seine Bahn bezeichnet. Städte sinken hinter ihm in Asche, mit gleicher Wuth zertritt er die Werke der Menschenhand und die Früchte des Ackers; Pest und Hunger holen nach, was Schwert und Feuer vergaßen; aber Leben geht nur unter, damit besseres Leben an seiner Stelle keime. Wir wollen ihm die Leichen nicht nachzählen, die es aufhäufte, die Städte nicht, die es in die Asche legte. Schöner werden sie hervorgehen unter den Händen der Freiheit, und ein besserer Stamm von Menschen wird sie bewohnen. Alle Künste der Schönheit und der Pracht, der Ueppigkeit und Verfeinerung gehen unter; kostbare Denkmäler, für die Ewigkeit gegründet, sinken in den Staub, und eine tolle Willkür darf in dem feinen Räderwerk einer geistreichen Ordnung wühlen; aber auch in diesem wilden Tumult ist die Hand der Ordnung geschäftig, und was den kommenden Geschlechtern von den Schätzen der Vorzeit beschieden ist, wird unbemerkt vor dem zerstörenden Grimm des jetzigen geflüchtet. Eine wüste Finsterniß breitet sich jetzt über dieser weiten Brandstätte aus, und der elende ermattete Ueberrest ihrer Bewohner hat für einen neuen Sieger gleich wenig Widerstand und Verführung.
Raum ist jetzt gemacht auf der Bühne – und ein neues Völkergeschlecht besetzt ihn, schon seit Jahrhunderten, still und ihm selbst unbewußt, in den nordischen Wäldern zu einer erfrischenden Colonie des erschöpften Westen erzogen. Roh und wild sind seine Gesetze, seine Sitten; aber sie ehren in ihrer rohen Weise die menschliche Natur, die der Alleinherrscher in seinen verfeinerten Sklaven nicht ehret. Unverrückt, als wär' er noch auf salischer Erde, und unversucht von den Gaben, die der unterjochte Römer ihm anbietet, bleibt der Franke den Gesetzen getreu, die ihn zum Sieger machten; zu stolz und zu weise, aus den Händen der Unglücklichen Werkzeuge des Glücks anzunehmen. Auf dem Aschenhaufen römischer Pracht breitet er seine nomadischen Gezelte aus, bäumt den eisernen Speer, sein höchstes Gut, auf dem eroberten Boden, pflanzt ihn vor den Richterstühlen aus, und selbst das Christentum, will es anders den Wilden fesseln, muß das schreckliche Schwert umgürten.
Und nun entfernen sich alle fremden Hände von dem Sohne der Natur. Zerbrochen werden die Brücken zwischen Byzanz und Massilien, zwischen Alexandria und Rom, der schüchterne Kaufmann eilt heim, und das ländergattende Schiff liegt entmastet am Strande. Eine Wüste von Gewässern und Bergen, eine Nacht wilder Sitten wälzt sich vor den Eingang Europens hin, der ganze Welttheil wird geschlossen.
Ein langwieriger, schwerer und merkwürdiger Kampf beginnt jetzt: der rohe germanische Geist ringt mit den Reizungen eines neuen Himmels, mit neuen Leidenschaften, mit des Beispiels stiller Gewalt, mit dem Nachlaß des umgestürzten Roms, der in dem neuen Vaterland noch in tausend Netzen ihm nachstellt; und wehe dem Nachfolger eines Clodio, der auf der Herrscherbühne des Trajanus sich Trajanus dünkt! Tausend Klingen sind gezückt, ihm die scythische Wildniß ins Gedächtniß zu rufen. Hart stößt die Herrschsucht mit der Freiheit zusammen, der Trotz mit der Festigkeit, die List strebt, die Kühnheit zu umstricken, das schreckliche Recht der Stärke kommt zurück, und Jahrhunderte lang sieht man den rauchenden Stahl nicht erkalten. Eine traurige Nacht, die alle Köpfe verfinstert, hängt über Europa herab, und nur wenige Lichtfunken fliegen auf, das nachgelaßne Dunkel desto schrecklicher zu zeigen. Die ewige Ordnung scheint von dem Steuer der Welt geflohen oder, indem sie ein entlegenes Ziel verfolgt, das gegenwärtige Geschlecht aufgegeben zu haben. Aber, eine gleiche Mutter allen ihren Kindern, rettet sie einstweilen die erliegende Ohnmacht an den Fuß der Altäre, und gegen eine Noth, die sie ihm nicht erlassen kann, stärkt sie das Herz mit dem Glauben der Ergebung. Die Sitten vertraut sie dem Schutz eines verwilderten Christentums und vergönnt dem mittlern Geschlechte, sich an diese wankende Krücke zu lehnen, die sie dem stärkern Enkel zerbrechen wird. Aber in diesem langen Kriege erwarmen zugleich die Staaten und ihre Bürger; kräftig wehrt sich der deutsche Geist gegen den herzumstrickenden Despotismus, der den zu früh ermattenden Römer erdrückte; der Quell der Freiheit springt in lebendigem Strom, und unüberwunden und wohlbehalten langt das spätere Geschlecht bei dem schönen Jahrhundert an, wo sich endlich, herbeigeführt durch die vereinigte Arbeit des Glücks und des Menschen, das Licht des Gedankens mit der Kraft des Entschlusses, die Einsicht mit dem Heldenmuth gatten soll. Da Rom noch Scipionen und Fabier zeugte, fehlten ihm die Weisen, die ihrer Tugend das Ziel gezeigt hätten; als seine Weisen blühten, hatte der Despotismus sein Opfer gewürgt, und die Wohlthat ihrer Erscheinung war an dem entnervten Jahrhundert verloren. Auch die griechische Tugend erreichte die hellen Zeiten des Perikles und Alexanders nicht mehr, und als Harun seine Araber denken lehrte, war die Gluth ihres Busens erkaltet. Ein beßrer Genius war es, der über das neue Europa wachte. Die lange Waffenübung des Mittelalters hatte dem sechzehnten Jahrhundert ein gesundes, starkes Geschlecht zugeführt und der Vernunft, die jetzt ihr Panier entfaltet, kraftvolle Streiter erzogen.
Auf welchem andern Strich der Erde hat der Kopf die Herzen in Gluth gesetzt und die Wahrheit den Arm der Tapfern bewaffnet? Wo sonst, als hier, erlebte man die Wundererscheinung, daß Vernunftschlüsse des ruhigen Forschers das Feldgeschrei wurden in mördrischen Schlachten, daß die Stimme der Selbstliebe gegen den stärkeren Zwang der Ueberzeugung schwieg, daß der Mensch endlich das Theuerste an das Edelste setzte? Die erhabenste Anstrengung griechischer und römischer Tugend hat sich nie über bürgerliche Pflichten geschwungen, nie oder nur in einem einzigen Weisen, dessen Name schon der größte Vorwurf seinem Zeitalters ist; das höchste Opfer, das die Nation in ihrer Heldenzeit brachte, wurde dem Vaterland gebracht. Beim Ablauf des Mittelalters allein erblickt man in Europa einen Enthusiasmus, der einem höhern Vernunftidol auch das Vaterland opfert. Und warum nur hier, und hier auch nur einmal diese Erscheinung? Weil in Europa allein, und hier nur am Ausgang des Mittelalters, die Energie des Willens mit dem Licht des Verstandes zusammentraf, hier allein ein noch männliches Geschlecht in die Arme der Weisheit geliefert wurde.
Durch das ganze Gebiet der Geschichte sehen wir die Entwicklung der Staaten mit der Entwicklung der Köpfe einen sehr ungleichen Schritt beobachten. Staaten sind jährige Pflanzen, die in einem kurzen Sommer verblühn und von der Fülle des Saftes rasch in die Fäulniß hinübereilen; Aufklärung ist eine langsame Pflanze, die zu ihrer Zeitigung einen glücklichen Himmel, viele Pflege und eine lange Reihe von Frühlingen braucht. Und woher dieser Unterschied? Weil die Staaten der Leidenschaft anvertraut sind, die in jeder Menschenbrust ihren Zunder findet, die Aufklärung aber dem Verstande, der nur durch fremde Nachhilfe sich entwickelt, und dem Glück der Entdeckungen, welche Zeit und Zufälle nur langsam zusammentragen. Wie oft wird die eine Pflanze blühen und welken, ehe die andre einmal heranreift? Wie schwer ist es also, daß die Staaten die Erleuchtung abwarten, daß die späte Vernunft die frühe Freiheit noch findet? Einmal nur in der ganzen Weltgeschichte hat sich die Vorsehung dieses Problem aufgegeben, und wir haben gesehen, wie sie es löste. Durch den langen Krieg der mittlern Jahrhunderte hielt sie das politische Leben in Europa frisch, bis der Stoff endlich zusammengetragen war, das moralische zur Entwicklung zu bringen.
Nur Europa hat Staaten, die zugleich erleuchtet, gesittet und ununterworfen sind; sonst überall wohnt die Wildheit bei der Freiheit und die Knechtschaft bei der Cultur. Aber auch Europa allein hat sich durch ein kriegerisches Jahrtausend gerungen, und nur die Verwüstung im fünften und sechsten Jahrhundert konnte dieses kriegerische Jahrtausend herbeiführen. Es ist nicht das Blut ihrer Ahnherren, nicht der Charakter ihres Stammes, der unsre Väter vor dem Joch der Unterdrückung bewahrte, denn ihre gleich frei gebornen Brüder, die Turkomanen und Mantschu, haben ihre Nacken unter den Despotismus gebeugt. Es ist nicht der europäische Boden und Himmel, der ihnen dieses Schicksal ersparte, denn auf eben diesem Boden und unter eben diesem Himmel haben Gallier und Britten, Hetrurier und Lusitanier das Joch der Römer geduldet. Das Schwert der Vandalen und Hunnen, das ohne Schonung durch den Occident mähte, und das kraftvolle Völkergeschlecht, das den gereinigten Schauplatz besetzte und aus einem tausendjährigen Kriege unüberwunden kam – diese sind die Schöpfer unsers jetzigen Glücks; und so finden wir den Geist der Ordnung in den zwei schrecklichsten Erscheinungen wieder, welche die Geschichte aufweiset.
Ich glaube dieser langen Ausschweifung wegen keiner Entschädigung zu bedürfen. Die großen Epochen in der Geschichte verknüpfen sich zu genau mit einander, als daß die eine ohne die andre erklärt werden könnte; und die Begebenheit der Kreuzzüge ist nur der Anfang zur Auflösung eines Räthsels, das dem Philosophen der Geschichte in der Völkerwanderung aufgegeben worden.
Im dreizehnten Jahrhundert ist es, wo der Genius der Welt, der schaffend in der Finsterniß gesponnen, die Decke hinwegzieht, um einen Theil seinem Werks zu zeigen. Die trübe Nebelhülle, welche tausend Jahre den Horizont von Europa umzogen, scheidet sich in diesem Zeitpunkt, und heller Himmel sieht hervor. Das vereinigte Elend der geistlichen Einförmigkeit und der politischen Zwietracht, der Hierarchie und der Lehenverfassung, vollzählig und erschöpft beim Ablauf des eilften Jahrhunderts, muß sich in seiner ungeheuersten Geburt, in dem Taumel der heiligen Kriege, selbst ein Ende bereiten.
Ein fanatischer Eifer sprengt den verschloßnen Westen wieder auf, und der erwachsene Sohn tritt aus dem väterlichen Hause. Erstaunt sieht er in neuen Völkern sich an, freut sich am thracischen Bosporus seiner Freiheit und seines Muths, erröthet in Byzanz über seinen rohen Geschmack, seine Unwissenheit, seine Wildheit und erschrickt in Asien über seine Armuth. Was er sich dort nahm und heimbrachte, bezeugen Europens Annalen; die Geschichte des Orients, wenn wir eine hätten, würde uns sagen, was er dafür gab und zurückließ. Aber scheint es nicht, als hätte der fränkische Heldengeist in das hinsterbende Byzanz noch ein flüchtiges Leben gehaucht? Unerwartet rafft es mit seinen Komnenern sich auf, und durch den kurzen Besuch der Deutschen gestärkt, geht es von jetzt an einen edleren Schritt zum Tode.
Hinter dem Kreuzfahrer schlägt der Kaufmann seine Brücke, und das wieder gefundene Band zwischen dem Abend und Morgen, durch einen kriegrischen Schwindel flüchtig geknüpft, befestigt und verewigt der überlegende Handel. Das levantische Schiff begrüßt seine wohlbekannten Gewässer wieder, und seine reiche Ladung ruft das lüsterne Europa zum Fleiße. Bald wird es das ungewisse Geleit des Arkturs entbehren und, eine feste Regel in sich selbst, zuversichtlich auf nie besuchte Meere sich wagen.
Asiens Begierden folgen dem Europäer in seine Heimath – aber hier kennen ihn seine Wälder nicht mehr, und andre Fahnen wehen auf seinen Burgen. In seinem Vaterlande verarmt, um an den Ufern des Euphrats zu glänzen, gibt er endlich das angebetete Idol seiner Unabhängigkeit und seine feindselige Herrengewalt auf und vergönnt seinen Sklaven, die Rechte der Natur mit Gold einzulösen. Freiwillig bietet er den Arm jetzt der Fessel dar, die ihn schmückt, aber den Niegebändigten bändigt. Die Majestät der Könige richtet sich auf, indem die Sklaven des Ackers zu Menschen gedeihen; aus dem Meer der Verwüstung hebt sich, dem Elend abgewonnen, ein neues fruchtbares Land, Bürgergemeinheit.
Er allein, der die Seele der Unternehmung gewesen war und die ganze Christenheit für seine Größe hatte arbeiten lassen, der römische Hierarche, sieht seine Hoffnungen hintergangen. Nach einem Wolkenbild im Orient haschend, gab er im Occident eine wirkliche Krone verloren. Seine Stärke war die Ohnmacht der Könige; die Anarchie und der Bürgerkrieg die unerschöpfliche Rüstkammer, woraus er seine Donner holte. Auch noch jetzt schleudert er sie aus – jetzt aber tritt ihm die befestigte Macht der Könige entgegen. Kein Bannfluch, kein himmelsperrendes Interdikt, keine Lossprechung von geheiligten Pflichten löst die heilsamen Bande wieder auf, die den Unterthan an seinen rechtmäßigen Beherrscher knüpfen. Umsonst, daß sein ohnmächtiger Grimm gegen die Zeit streitet, die ihm seinen Thron erbaute und ihn jetzt davon herunterzieht! Aus dem Aberglauben war dieses Schreckbild des Mittelalters erzeugt, und groß gezogen von der Zwietracht. So schwach seine Wurzeln waren, so schnell und schrecklich durfte es aufwachsen im eilften Jahrhundert – seines Gleichen hatte kein Weltalter noch gesehen. Wer sah es dem Feinde der heiligsten Freiheit an, daß er der Freiheit zu Hilfe geschickt wurde? Als der Streit zwischen den Königen und den Edeln sich erhitzte, warf er sich zwischen die ungleichen Kämpfer und hielt die gefährliche Entscheidung auf, bis in dem dritten Stande ein beßrer Kämpfer heranwuchs, das Geschöpf des Augenblicks abzulösen. Ernährt von der Verwirrung, zehrte er jetzt ab in der Ordnung; die Geburt der Nacht, schwindet er weg in dem Lichte. Verschwand aber der Dictator auch, der dem unterliegenden Rom gegen den Pompejus zu Hilfe eilte? Oder Pisistratus, der die Faktionen Athens auseinander brachte? Rom und Athen gehen aus dem Bürgerkriege zur Knechtschaft über – das neue Europa zur Freiheit. Warum war Europa glücklicher? Weil hier durch ein vorübergehendes Phantom bewirkt wurde, was dort durch eine bleibende Macht geschah – weil hier allein sich ein Arm fand, der kräftig genug war, Unterdrückung zu hindern, aber zu hinfällig, sie selbst auszuüben.
Wie anders säet der Mensch, und wie anders läßt das Schicksal ihn ernten! Asien an den Schemel seines Throns zu ketten, liefert der heilige Vater dem Schwert der Saracenen eine Million seiner Heldensöhne aus, aber mit ihnen hat er seinem Stuhl in Europa die kräftigsten Stützen entzogen. Von neuen Anmaßungen und neu zu erringenden Kronen träumt der Adel, und ein gehorsameres Herz bringt er zu den Füßen seiner Beherrscher zurück. Vergebung der Sünden und die Freuden des Paradieses sucht der fromme Pilger am heiligen Grab, und ihm allein wird mehr geleistet, als ihm verheißen ward. Seine Menschheit findet er in Asien wieder, und den Samen der Freiheit bringt er seinen europäischen Brüdern aus diesem Welttheile mit – eine unendlich wichtigere Erwerbung als die Schlüssel Jerusalems oder die Nägel vom Kreuz des Erlösers.