Vermehrung der Bedürfnisse Karl Marx Wie die Vermehrung der Bedürfnisse und ihrer Mittel die Bedürfnislosigkeit und die Mittellosigkeit erzeugt, beweist der Nationalökonom (und der Kapitalist, überhaupt reden wir immer von den empirischen Geschäftsleuten, wenn wir uns an die Nationalökonomen – ihr wissenschaftliches Geständnis und Dasein – adressieren), 1. indem er das Bedürfnis des Arbeiters auf den notwendigsten und jämmerlichsten Unterhalt des physischen Lebens und seine Tätigkeit auf die abstrakteste mechanische Bewegung reduziert, also, sagt er: Der Mensch hat kein andres Bedürfnis weder der Tätigkeit noch des Genusses; denn auch dies Leben erklärt er [als] menschliches Leben und Dasein; indem 2. er das möglichst dürftige Leben (Existenz) als Maßstab, und zwar als allgemeinen Maßstab ausrechnet: allgemein, weil für die Masse der Menschen geltend; er macht den Arbeiter zu einem unsinnlichen und bedürfnislosen Wesen, wie er seine Tätigkeit zu einer reinen Abstraktion von alter Tätigkeit macht; jeder Luxus des Arbeiters erscheint ihm daher als verwerflich, und alles, was über das allerabstrakteste Bedürfnis hinausgeht – sei es als passiver Genuß oder Tätigkeitsäußerung – erscheint ihm als Luxus. Die Nationalökonomie, diese Wissenschaft des Reichtums, ist daher zugleich die Wissenschaft des Entsagens, des Darbens, der Ersparung, und sie kömmt wirklich dazu, dem Menschen sogar das Bedürfnis einer reinen Luft oder der physischen Bewegung zu ersparen. Diese Wissenschaft der wunderbaren Industrie ist zugleich die Wissenschaft der Askese, und ihr wahres Idealist der asketische, aber wuchernde Geizhals und der asketische, aber produzierende Sklave. Ihr moralisches Ideal ist der Arbeiter, der in die Sparkasse einen Teil seines salaire bringt, und sie hat für diesen ihren Lieblingseinfall sogar eine knechtische Kunst vorgefunden. Man hat das sentimental aufs Theater gebracht. Sie ist daher – trotz ihres weltlichen und wollüstigen Aussehns – eine wirklich moralische Wissenschaft, die allermoralischste Wissenschaft. Die Selbstentsagung, die Entsagung des Lebens und alter menschlichen Bedürfnisse, ist ihr Hauptlehrsatz. Je weniger du ißt, trinkst, Bücher kaufst, in das Theater, auf den Ball, zum Wirtshaus gehst, denkst, liebst, theoretisierst, singst, malst, fichtst etc., um so [mehr] sparst du, um so größer wird dein Schatz, den weder Motten noch Raub fressen, dein Kapital. Je weniger du bist, je weniger du dein Leben äußerst, um so mehr hast du, um so größer ist dein entäußertes Leben, um so mehr speicherst du auf von deinem entfremdeten Wesen. Alles, was dir der Nationalökonom an Leben nimmt und an Menschheit, das alles ersetzt er dir in Geld und Reichtum, und alles das, was du nicht kannst, das kann dein Geld: Es kann essen, trinken, auf den Ball, ins Theater gehn, es weiß sich die Kunst, die Gelehrsamkeit, die historischen Seltenheiten, die politische Macht, es kann reisen, es kann dir das alles aneignen; es kann das alles kaufen; es ist das wahre Vermögen. Aber es, was all dies ist, es mag nichts als sich selbst schaffen, sich selbst kaufen, denn alles andre ist ja sein Knecht, und wenn ich den Herrn habe, habe ich den Knecht und brauche ich seinen Knecht nicht. Alle Leidenschaften und alle Tätigkeit muß also untergehn in der Habsucht. Der Arbeiter darf nur soviel haben, daß [er] leben will, und darf nur leben wollen, um zu haben.
Aus: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Bedürfnis, Produktion und Arbeitsteilung.
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