Bergpsalm Richard Dehmel Der Sturm hat seine Schlangen losgelassen. In langen Windungen zischt Gras und Rohr und keucht der See ans Land; die silberblassen zerwühlten Weiden seufzen laut empor. Empor, empor! Dort, wo die Kiefern sausen, auf kahler Höhe will ich einsam stehn und meine ferne Heimat dämmern sehn und hören, was die dunkeln Wolken brausen.
Ihr grauen Pilger über mir: wohin?! O könnt ich mit euch, ziellos, ohne Stocken, dies dumpfe Sehnen ohne Maß und Sinn ausschütten in den Sturm wie Nebelflocken! O meine Heimat! Silbern grüßt der Fluß und glänzt zum Himmel aus dem Blau der Bäume, und aus dem Zauberwald der Kinderträume winkt klar der Mutter Blick und Kuß.
Was weinst du, Sturm? - Hinab, Erinnerungen! dort pulst im Dunst der Weltstadt zitternd Herz! Es grollt ein Aufschrei von Millionen Zungen nach Glück und Frieden: Wurm, was will dein Schmerz! Nicht sickert einsam mehr von Brust zu Brüsten wie einst die Sehnsucht, nur als stiller Quell; heut stöhnt ein Volk nach Klarheit, wild und gell, und Du schwelgst noch in Wehmutslüsten?
Siehst du den Qualm mit dicken Fäusten drohn dort überm Wald der Schlote und der Essen? Auf deine Reinheitsträume fällt der Hohn der Arbeit! fühl's: sie ringt, von Schmutz zerfressen! Du hast mit deiner Sehnsucht bloß gebuhlt, in trüber Glut dich selber nur genossen; schütte die Kraft aus, die dir zugeflossen, und du wirst frei vom Druck der Schuld!
Den Kelch des Schweißes seh ich geistverklärt, das Kreuz der Mühsal blütenlaubumflattert! Was lachst du, Sturm?! - Im Rohr der Nebel gärt, die Kiefer knarrt und ächzt, mein Mantel knattert: Empor aus deinem Rausch! Mitleid, glüh ab! Laß dir die Kraft nicht von Gefühlen beugen! Hinab! laß deine Sehnsucht Taten zeugen! Empor, Gehirn! Hinab, Herz! Auf! hinab!
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