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Rezensionen


 
Olaf von der Heydt - Wendernoacht

Vom Erhabenen zum Grotesken – und zurück

Ein deutscher Autor mit skurrilem Humor, der durch eine vermeintliche Abgeklärtheit nicht zynisch wird, sondern mit Mutterwitz geerdet ist, das ist selten. „Das eigentliche Vergnügen an der Arbeit des Schriftstellers“, erklärte der amerikanische Autor Walker Percy, „sind die Kontraste zwischen dem Schreiben als Möglichkeit, das Leben zu ordnen, und der darin berichteten alltäglichen Unordnung“. Solche Kontraste sind auch im Werk des Olaf von der Heydt sichtbar. In seinem Roman, »Die Mission«, läßt von der Heydt den Kommissar Holger Heinick allmählich den Bezug zur Wirklichkeit verlieren. Er kommuniziert, im abgeschnittenen Infinitiv der Sprechblasen von Comics zu können, weil diese Redeform die eheste Gegenwart ist. Man fragt sich ob man Zeitgeschichte auch in dem Sinn verstehen lasse, daß Zeit übereinandergeschichtet wird. Um das Gewicht dieser geschichteten Zeit aus halten zu können, würden selbst Comic–Superhelden die Mundwinkel vor Weltekel nach unten hängen. Olaf von der Heydt beschreibt in nüchternen Sätzen, emotionslos und klar, wie das Leben dieses Kommissars aus den Fugen gerät. Es ist eine satirische Mischung aus Kriminalroman, Agententhriller und Science–Fiction–Story, die irrwitzige Antworten auf die Fragen nach Gott, dem Universum und allem gibt. Die Germanistik, die lieber gute Literatur von guten Menschen behandelt, verachtet SF–Literatur und übernimmt diese Wertung, die sich auch ohne weiteres mit einschlägigen Titeln belegen läßt.

Hierzu ein, mir notwendig erscheinender, Exkurs: Der US–Amerikaner Richard Powers ist ein Welten–Vernetzer, seine Literatur ist ein Mittel, den Überblick zu behalten, sich aber auch umfassend für die Welt zu interessieren, Literatur ist ihm eine große Verknüpfungsmaschine. Literatur ist für Ihn der Ort, wo die Transformation des Gehirns beginnt. In seinem neuen Roman »Das Echo der Erinnerung« hat er die Diskussion um Spiegelneuronen erwähnt, das Experiment mit einem Makak–Affen. Italienische Forscher stellten fest, daß bestimmte Nervenzellen in der Großhirnrinde eines Makak aktiviert wurden, sobald er den Arm bewegte. So, dachten die Forscher. Das sind die Neuronen, die für die Steuerung von Bewegungsvorgängen verantwortlich sind. Eines Tages begannen die für den Armmuskel zuständigen Neuronen wild zu feuern, obwohl der Affe vollkommen regungslos da saß. Weitere Tests führten zu einem überraschenden Ergebnis: Die motorischen Neuronen feuerten auch dann, wenn ein anderer Affe seinen Arm bewegte. Ein Teil des Gehirns, der an sich für körperliche Bewegungen zuständig ist, produziert auch imaginäre Spiegelbilder solcher Handlungen. Dies zeigt, daß es eine enge Verbindung zwischen imaginativen Prozessen und denen tatsächlicher Erfahrung gibt. Es gibt jedoch keinen Wissenschaftler, der behaupten würde, daß es eine kausale Verbindung gibt zwischen dem Vorstellen einer Handlung und der Entscheidung, diese Handlung im realen Leben auszuführen. Daher bin ich sehr vorsichtig, wenn jemand eine einfache kausale Erklärung für gewalttätiges Verhalten anbietet. Ich halte es für möglich, daß weitaus mehr Leute, die sonst gewalttätig gehandelt hätten, in der symbolischen Sphäre der Computerspiele einen ablenkenden oder sogar kathartischen Ausgleich dafür gefunden haben. Sicher ist nur, daß Computerspiele psychoaktiv sind. Sie sprechen die gleichen neuronalen Schaltkreise an wie reale Erfahrungen. In »Das Echo der Erinnerung« kommt in einer Szene die Schwester des Protagonisten in sein Krankenzimmer und wird sehr zornig, als sie sieht, daß seine Freunde gerade ein Computerspiel–Autorennen mit ihm spielen. Normalerweise würde sie das nicht erschüttern, aber ihr Bruder ist im realen Leben mit dem Auto verunglückt und sie fürchtet, daß er daran erinnert werden könnte. Ihr Bruder ist also in einer besonders verletzlichen Lage. Man kann sagen, daß kindliche Gehirne besonders verletzlich sind. Das Ausmaß der Plastizität des Gehirns ist, nach neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften, absolut verblüffend. Es ist wirklich erstaunlich, wie unterschiedlich sich das individuelle Gehirn durch unterschiedlichen Gebrauch entwickeln kann. Und wirklicher Gebrauch oder symbolischer Gebrauch wie in Computerspielen, das macht keinen Unterschied. Die Linie zwischen motorischen Nervenzellen und imaginativen ist sehr schmal. geht in seinem Roman »Schattenflucht« geht es unter anderem um eine Gruppe von Programmierern, die an der Entwicklung von Virtuellen Realitäten arbeiten, und die dieses Projekt zunächst mit sehr hehren Absichten verfolgen. Nur um dann festzustellen, daß genau diese Technologie im ersten amerikanischen Golfkrieg militärisch genutzt wird. Diese Technik wird eben vom Militär auf seine Weise in Gebrauch genommen. Die Technik ist nicht die Ursache der Gewalt. In »Das Echo der Erinnerung« gibt es eine Passage, in der drei Jungs in einem Truck sitzen, und ein Reh springt auf einmal vor das Auto. Der Fahrer kann schnell genug ausweichen, so daß sie nicht mit dem Reh zusammen stoßen. Danach sagt er: „Oh mein Gott, wenn ich nicht 100 Stunden dieses Autorennen gespielt hätte, wären wir jetzt alle tot. Das verdammte Computerspiel hat uns das Leben gerettet.“ Im 19. Jahrhundert wurde der Roman als etwas Bedrohliches betrachtet, als eine Technologie, die Leben ruinieren könnte. Die Angst war, wir könnten verloren gehen in seinen imaginären Welten. Vielleicht waren diese Befürchtungen auch gar nicht so falsch. Es könnte sein, daß wir herausfinden, daß wir einen Kokon an Technologie um uns herum gebaut haben, in dem wir nur zu gerne verloren gehen. Aber sich zu verlieren und sich zu finden sind komplizierte Prozesse und letztlich wissen wir nicht, was die endgültigen Auswirkungen von Computerspielen oder irgendeiner anderen Technologie sein werden. Aber ich würde bezweifeln, daß Computerspiele eine größere Gefahr oder ein größeres Potenzial für die Formung der individuellen Persönlichkeit besitzen als Bücher. Bücher sind ganz sicher genauso gefährlich wie Computerspiele. Wenn man also ein Buch oder ein Hörspiel schreibt, versucht man den Leser von etwas zu überzeugen. Man will ihn davon überzeugen, daß das, was man schreibt, real ist. Diese Überzeugungskraft ist wichtig, gerade im SF–Genre. Auf stilistische Brillanz, auf Korrektheit bei den Namen und Kulissen ist bei einem solchen Roman eigentlich gepfiffen, alles kommt auf den Plot an! Und wie steht es bei »Die Mission« darum?

Olaf von der Heydt nimmt in seinem ersten Roman Momente der großen Geschichte wie Stromstöße, denen seine Figuren ausgesetzt werden. Da diese Figuren selbständige Charaktere sind mit unterschiedlicher Robustheit, Labilität oder Sensibilität, haben diese Ereignisse auch unterschiedliche Effekte auf sie. Der Autor beschreibt einen Kommissar, dem seine eigene Verzweiflung noch gar nicht bewußt ist. Holger Heinick mag unbeholfen sein, ein Antiheld ist er jedoch nicht. Historische Fakten sind für von der Heydt die Bibel und weiter Religionslehren. Jesus taucht als bekiffter Lebemann auf, dessen Vater einfach nur seinen Job machen will, andererseits jedoch einen Aufbau des Universums zugrundelegt, der eine reine Schicksalsbestimmung beinhaltet. Die „zwei Kulturen“, von denen der englische Schriftsteller C. P. Snow gesprochen hat, gibt es noch immer: hier die humanities, die Geisteswissenschaften, zu denen man die Künste und ihre Kritik hinzurechnen kann; dort die sciences, die Naturwissenschaften samt Industrie und Technik. Die zwei Kulturen, deren Ferne voneinander Snow beklagt hat, lassen sich auch durch unterschiedliche Gestimmtheiten bezeichnen. Der Naturwissenschaftler und Ingenieur gibt sich optimistisch und gut gelaunt: Probleme lassen sich Lösen, Fortschritt ist machbar. Der Geistesmensch dagegen neigt zu schlechter Laune und zum Pessimismus: Fortschritt ist eine Chimäre, die Blätter des Glücks im Buch der Geschichte, wie Hegel bemerkt hat, sind leer. Der freie Wille ist in »Die Mission« unerwünscht, und darüber wacht eine Organisation. Etwas schlampig, wie sich im Laufe der Handlung herausstellt: Seit Jahrhunderten ist das Buch (sic!) zur Koordinierung der Menschheit verloren gegangen. Der Gebietsleiter der Galaxis ist mehr als besorgt, steht doch eine Überprüfung seines Arbeitserfolges bevor. Die Zustände, die sich durch die mangelnde Kontrolle über die Menschheit auf der Erde entwickelt haben, könnten ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – seinen Kopf kosten. Daher setzt er alle Hebel in Bewegung, das Buch wieder in seine Hände zu bekommen. Doch leider zeigen auch andere Interesse daran. Olaf von der Heydt beschreibt ein hochkomplexes System aus kollektiven Mythen, Science Fiction, historischen Fakten und paranoiden Verschwörungszusammenhängen. Der Autor versucht, das Banale mit dem Außerordentlichen, das Reale mit dem Fantastischen zu verknüpfen und die beiden Kulturen miteinander zu versöhnen. Letztlich bleibt es schiere Behauptung, und die Sphären stehen unverbunden nebeneinander. Der Roman liest sich angenehm, er steckt voller Einfälle, und geschrieben ist er in einer kolloquialen, aufgeräumten, völlig unbekümmerten Sprache. Man sollte dieses Buch mit dem Hintergrund der gewalthungrigen Gottsucherbanden, in denen der Zorn aller Erniedrigten und Beleidigten gesammelt gegen den globalen Kapitalismus gebündelt ist, noch einmal lesen. Das Christentum stellt sich somit nicht die Rache der Zukurzgekommenen dar, sondern ist als zivilisationsförderliche Ethik des Racheaufschubs am Werk. Eine von Rachsucht freie Ambitionskultur sollte den lebensdienlichen Zorn als Primärimpuls gegen den mit Geld und Gier im Bunde stehenden Eros–Pol unserer Zivilisation stärken. Ein Schriftsteller kann kein Universum erfinden. Er muß auf das zurückgreifen, was er in den Händen hält. Woher er diese Quellen hat, die er mit Talent in Kunst verwandelt, ist aber nicht das Entscheidende. »Die Mission« ist eine, im besten Sinne, Enzyklopädie der Banalitäten.

Olaf von der Heydt ist ein bodenständiger Mensch, der in einem seitlichen Spiralarm der Galaxis wohnt: dem Taunus. Wer den Blick über die Schulter wagt und auf die Reihe seiner Vorfahren zurückschaut, sieht, wie sich die eigenen Wurzeln tief in der Vergangenheit verzweigen. Wenn sich dabei die geographischen und politischen Räume öffnen, die in den Geschichtsbüchern durchquert werden, dann mag man sich glücklich schätzen, mit der eigenen Biografie den Stoff zu berühren, aus dem Historie gemacht ist. An solchen Berührungspunkten sind zahllose Familienromane entstanden. Hat man das Zeug zum Schreiben, dann liegt die Verführung nahe, das Geschenk der eigenen Herkunft in einer Form zu verwerten, die das unüberschaubare Allgemeine auf ein faßbares individuelles Maß verkleinert. Bislang hat von der Heydt literarische Karriere den vorgenannten Roman, sowie und ein dreckiges Dutzend Kurzgeschichten abgeworfen. Seine große Leidenschaft gilt jedoch dem Hörspiel. Als Kassettenkind sammelte er schon früh alle möglichen Abenteuer, die es für die Ohren gab. Mit der Veröffentlichung der Kurzgeschichte »Die Therapie« haben die beiden Hobbys, das Schreiben und das Hören, bündig zusammengefunden. Das Hörstück kommt mit einer Portion Sarkasmus daher, manches nicht eindeutig lesbar und die Bilderflut überreich. Doch gerade darin liegt – im besten Sinne des Wortes – die phantastische Kraft der düsteren Sicht. Der Mensch ist ein Jammerlappen, davon erzählen alle Therapien, von der Heydt hat diesen traurigen Befund variiert. Statt kalt und entschlossen über Sinn und Unsinn unserer Existenz nachzugrübeln, knallen wir uns lieber mit immer neuen Wehleidigkeits–Schmonzetten zu. Kitsch ist ein ganz passabler Seelentröster. Gerade das Ende ist überaus gelungen und soll daher an dieser Stelle auch nicht verraten werden. »Die Therapie« wird von Erik Albrodt gelesen. Präsentiert von einer freundlich distanzierten Stimme, die gern einmal ad hoc andere Figurenperspektiven übernimmt, fließen die Zeiten in einem gleichförmigen Duktus vorbei, in dem sich die Erlebnisse wie Anekdoten ausnehmen. Olaf von der Heydt prangert mit »Die Therapie« keinen gesellschaftlichen Mißstand an, es geht nicht um Sterbehilfe, er liefert keinen dramatischen Beitrag zu irgendeiner gesellschaftlichen Debatte, er macht Hörspiel und geht entschlossen auf die Untiefen des Daseins zu. Nach dieser Fingerübung steht mit »Wendernoacht« das erste große Hörspiel an.

Der Ausdruck "Wendernoacht" stammt aus der Mundart des Taunus und bedeutet auf hochdeutsch "Winternacht", es handelt sich um ein germanisches Fest, das entfernt an den keltischen Halloween erinnert. In diesem subtil angelegten Script lernen wir Arved Richter kennen, der sich in das verschlafene Dorf Maldenrath zurückzieht. Das überraschend preiswerte Haus, das ihm Bürgermeister Scholtes angeboten hat, erleichtert seine Entscheidung. »Wendernoacht« ist ein spannender Mystery–Streifen der behäbig im idyllischen Gewand daherkommt, eine Art "Mord im tiefsten Wald"–Spiel, bei der es nicht lospoltert, sondern die unbehagliche Atmosphäre der Schockeffekt ist, die einen wohligen Schauer und Gänsehaut hervorruft. Olaf von der Heydt bezieht sich mit seiner Gruselgeschichte auf das Genre der Gothic Novel. Hier sei an Richard Hurd erinnert, der in der "Gothic Romance" etwas fand, das "peculiarly suited to the views of a genius, and to the ends of poetry" sei. Er untermauerte sein Lob mit einem Beispiel aus der Architektur: "When an architect examines a Gothic structure by Grecian rules, he finds nothing but deformity. But the Gothic architecture has its own rules, by which, when it comes to be examined, it is seen to have its merit, as well as the Grecian".

Etwas fehlt fast immer auf der Landkarte des Lebens: ein Ort wie Maldenrath, aber auch Raum und Zeit für Visionen. Wer nach einer Nacht voll unruhiger Träume schon einmal versucht hat, diese am nächsten Morgen auf Papier zu bannen, wird die Frustration kennen: Was übrig bleibt vom unbewussten Bilderrausch, sind meist rasch verblassende Details und intensive Gefühlsschemen, die sich in keinen Plot mehr fassen lassen. »Wendernoacht« führt in die innerste Provinz, wo bei aller Wohlhabenheit der Frost und die Verstörung hausen. Olaf von der Heydt kartographiert Seelen und führt in seinem ersten großen Hörspiel durch ein beeindruckend schauriges Panorama aus der globalisierten Provinz. Schon auf den ersten Seiten des Scripts ist das Grauen in der Idylle perfekt. Irgendetwas stimmt nicht mit den Dorfbewohnern, schnell sieht sich Arved Richter ihren Anfeindungen ausgesetzt und entdeckt einen Tagebuch des Haus–Vorbesitzers, das ihn mißtrauisch werden läßt. Endlose Müdigkeit sickert in die verwunschene Provinz, die Zeit zerbricht mit dem Herunterfallen einer Uhr. In den seltensten Fällen reden diese Provinzler so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie haben vielmehr einige Virtuosität dabei entwickelt, die entscheidenden Dinge nicht zu sagen: Tod, Liebe, Angst werden verbal sorgfältig umschifft. Dabei entsteht eine Form der Ungerührtheit, die leicht zu Boshaftigkeit werden kann. Die einen quatschen daher wie immer, während die anderen emotional verhungern an den nicht gesprochenen Worten. Aus Unbeschwertheit wird Vernichtung. Als sich Arved Richter auf die Spurensuche nach weiteren Hinweisen begibt, gerät er in höchste Gefahr, denn die Hinterweltler verbergen ein schauerliches Geheimnis. Es geht bei »Wendernoacht« nicht um platten Horror, es geht ihm vielmehr um eine scharfe Gesellschaftsstudie aus den trostlos opulenten Zeiten heute, hier im tiefsten Deutschland und überall, wo Wohlstand und Verwahrlosung sich dicht verflechten – und dieses Bild einer kalten Vorhölle gelingt ihm bestens. Aus der Kluft zwischen Ungesagtem und Dahergequatschtem empfängt von der Heydt seine Kraft. Hier macht sich das dramatische Sprechen fest, insbesondere wenn es darum geht, der verstummten Unterschicht eine Sprache zu geben, den ausgezehrten Seelen eine Stimme zu leihen. In diesem Hörspiel zeichnet von der Heydt ein fein verästeltes Winterbild der Gegend und des psychischen Zustands der Menschen. Die liebliche Landschaft des Taunus und das gruselige Psychogramm von verkommenen und zugleich vernachlässigten Provinzlern, das sind die zwei realen Seiten dieser Welt. Hier offenbaren sich schiefgelaufene Existenzen, die auch der Wohlfahrtsstaat nicht immer geradebiegen kann, schließlich sind es die Narben der Vergangenheit, die am meisten brennen. Opfer müssen bis ans Ende ihres Lebens mit Privat– Gespenstern auskommen; die ihnen irgendwann zugefügten Qualen würden sie gar weitergeben wie ein Erbleiden. Und so, kein Wunder, sind von der Heydt Figuren einsame Helden – Einzelgänger, ewig fremd in der Fremde, voller Furcht und voller Sehnsucht, mit unscharfem Selbstbild. Das Herz der Finsternis schlägt auch im Taunus, die Handlung kippt unweigerlich ins Grand–Guignol, das Hörspiel macht den existenziellen Horror sichtbar. Der Schlaf der Vernunft, so zeigt von der Heydt in albtraumhaften Szenen, gebiert Ungeheuer, wie der Titel einer der bekanntesten Radierungen Goyas diese künstlerische Mission zusammenfaßt. Die Geister, die Ungeheuer, Kobolde, Teufel und Hexen des Glaubens, sind die religiös–politischen Geister des Totalitarismus, Fundamentalismus, Antisemitismus, Hexenglauben, Frauenunterdrückung, Folter. Am Ende dieser Geschichte und, rund 200 Jahre später, am „Ende der Geschichte“, wissen wir, daß sich diese Gespenster jederzeit wieder erwecken lassen.

Soweit der Eindruck, den das Skript gemacht hat. Nach einer langen Vorgeschichte und dem Wechsel des produzierenden Labels hat es mit der Produktion von »Wendernoacht« in 2008 endlich mit der Veröffentlichung des Hörspiels bei der Hörfabrik geklappt. Bereits der Beginn dieser Inszenierung zeigt allerdings auf, welche Welten die kommerziellen Anbieter von den Anstalten des öffentlichen Rechts trennen. Kaum hat man einen etwas lustlosen Beginn hinter sich gelassen, klingelt das Telephon. Dort meldet sich ein Sprecher, der im Ruhrgebietsdeutsch (das Stück spielt im Taunus) von eine Bauern-„Kate“ zur „Karte“ verschwurbelt. In der Sprecherliste finden sich ein paar bekannte Namen der Szene wieder, ob man den Großteil aber tatsächlich als Profis bezeichnen kann, erscheint eher fraglich. Die musikalischen Zwischeneinspielungen erinnern eher an die Les Humphries-Singers und auch die Regie vermag keine Akzente zu setzen, brav und bieder wird hier vom Blatt inszeniert, zuweilen meint man raschelndes Papier im Mund der Sprecher zu hören. Dazu der Autor von der Heydt auf Nachfrage:

„Die Arbeit an dem Skript zu "Wendernoacht" unterschied sich ja deutlich zu meinen bisherigen Arbeiten. Bislang mußte ich dem Leser ja alles an Story mitgeben. Beim Hörspielskript beschränke ich mich stark auf die Dialoge und lasse damit zunächst dem Regisseur viele Freiräume die Geschichte auszumalen. Natürlich hatte ich am Anfang einige formale Probleme und auch der Wechsel vom Ausführlichen zum Kargen fiel mir nicht leicht. Nach ein paar verworfenen Anläufen hatte ich dann aber doch recht schnell einen für mich vertretbaren Stil gefunden. Es half hier, daß für mich "Ausführlichkeit" insofern ein Fremdwort ist, daß mir jeder Satz, der für die Geschichte - oder zumindest zur Bildung einer Pointe - nicht in irgendeiner Form wichtig ist, als überflüssiger Luxus vorkommt. Will sagen, wenn es für die Geschichte egal ist, wie das Wetter ist, dann schreibe ich im Regelfall auch nicht, ob die Sonne scheint.“

? Der wichtigste Anspruch für einen Autor diese Genres lautet: Er soll unterhalten und nicht langweilen.

! „Bei Wendernoacht habe ich versucht, mit den Dialogen und Erzählparts allein, die Geschichte dahin zu lenken, wo ich sie hinhaben wollte. Ich habe die Szenen zwar plastisch vor meinem geistigen Auge, will sie aber nicht detailliert beschreiben - denn hier soll Raum für Fantasie bleiben; zum einen die des Regisseurs, der die Szenen vielleicht ganz anders sieht, vor allem aber die des Hörers.“

? Daß »Wendernoacht« in einem Dorf im Taunus spielt, ist, wie oben erwähnt, kein Zufall.

! „Die dörflichen Strukturen bieten ein unglaubliches Potential für Geschichten aller Art. Das Beste: Man braucht den Wahnsinn nicht erfinden, er existiert! Das Netzwerk in einer solch kleinen Gemeinschaft ist unvorstellbar komplex. Das Problem dabei, von innen erkennt man es kaum, von außen durchschaut man es kaum. Ich habe viele Jahre selbst in diesen Strukturen gesessen, bin quasi damit auf- und in sie hineingewachsen. Oft, zu oft, habe ich mich auch durch sie instrumentalisieren lassen, weil ich vielleicht zu jung war, um es zu hinterfragen. Irgendwann gab es aber einen erlösenden Knall, und seither sehe ich auch diesbezüglich deutlich klarer. Der Vorteil ist, daß ich die Strukturen von außen sehen kann und sie aber auch verstehe, weil ich sie von innen kenne. Die Größe des Ortes hat den entscheidenden Vorteil, daß bei aller Komplexität der gruppendynamischen Vorgänge, diese in einem überschaubaren Rahmen stattfinden. Trotzdem ist es immer noch groß genug, daß man eine Vielzahl von Charakteren vorfindet, die als literarische Vorlagen, kaum Wünsche offen lassen. Auch verliert man durch die objektivere Sicht auch einiges an Scheu, und man traut sich doch schon an eine etwas schonungslosere Darstellung der Dinge heran.“

Schade, daß sich von dem Wahnsinn, der in der Provinz nistet, in dieser Hörspielinszenierung kaum etwas transportiert.

Matthias Hagedorn


»Die Misson«, 1998, Verlag71, Plön, fast vergriffen.
»Kurzarbeit«, 2006, erhältlich über die Hörfabrik
»Wendernoacht« 2008, erhältlich über die Hörfabrik

[*] Diese Rezension schrieb: Matthias Hagedorn (2008-03-07)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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