"Memorandum meines Lebens" ist die Autobiographie des längst in Vergessenheit geratenen deutschen Dichters August Graf von Platen-Hallermünde (1796-1835). Sie folgt der Intention, eine aufrichtige Selbstschilderung abzuliefern, also, so Platen selbst, eher in der Tradition von Rousseaus "Beichte" als Goethes stilisierender "Dichtung und Wahrheit" zu stehen. Die Aufzeichnungen, welche mir in der ca. 200-seitigen Taschebuchausgabe des insel-Verlages vorliegen, begann Platen im Alter von 16 Jahren und führte sie bis zu seinem frühen Tode, den er infolge einer Medikamentenvergiftung in Syrakus erlitt, fort. Sie geben Einblick in die verborgene Seele des Dichters, die biographischen Umstände seines künstlerischen Schaffens, seine sehnsuchtsvollen Träume nach Liebe, die Melancholie seines einsamen Lebens.
"Ich esse allein, gehe allein spaziere und tue überhaupt alles allein. Ganz ohne eigentliche Freunde zu leben, ist eine harte Aufgabe und die vielen Bekanntschaften helfen mir wenig ohne eigentliches Vertrauen, ohne wahre Mitteilung. Zum Studieren habe ich wenig Lust, und höchstens in den Morgenstunden. Meine poetische Ader scheint auch vertrocknet."
Platen wird sich früh seiner homosexuellen Veranlagung bewusst, die er auch in seiner Autobiographie - ganz untypisch und vielleicht sogar einmalig für seine Zeit - festgehalten hat. "Ich hatte damals keine Idee, daß ein strafbares Verhältnis zwischen zwei Männern bestehen könne, sonst würde mich dieser Gedanke vielleicht zurückgeschreckt haben." So verfolgen Platen auf seinem Weg vom Kadetten, zum Pagen und schließlich zum Leutnant im Münchener Leibregiment Maximilians I. erste unglückliche Liebschaften, die sich auch in seinem poetischen Werk niederschlagen. Im Alter von 22 Jahren erwirkt Platen einen unbegrenzten Urlaub von seinem Beruf als Soldaten und widmet sich dem Studium der Philosophie und Naturwissenschaften, wenige Jahre später verlässt er Deutschland in Richtung Italien, wobei er sich zuerst in Venedig aufhält, dann jedoch das Leben eines Stadtstreichers führt. Seine Wege führen ihn kreuz und quer durch Italien - Rom, Neapel, Florenz sind nur einige seiner Stationen. Diese Rastlosigkeit scheint Ausdruck Platens persönlicher Unzufriedenheit zu sein. Er hat auf dieser Welt keinen Platz. Erfüllung in der Liebe zu finden, ist ihm nicht vergönnt, seine Studien der Sprachen, Literatur und Geschichte, sein dichterisches Schaffen sind ihm immer nur eine kurze Flucht aus der Wirklichkeit seines Lebens.
"Ich weiß, daß ich nicht glücklich werden kann, und Natur und Kunst reichen nicht aus, um das Herz zu füllen."
Stehen am Anfang seines Lebens noch die romantischen, illusorischen Verliebtheiten in allerlei Männer im Vordergrund, so gewinnt die (tote) Schönheit, die man in der Kunst - insbesondere den Malereien und Skulpturen alter Meister, derer Italien in Massen zu bieten hatte - finden kann, für Platen mehr und mehr an Bedeutung - als eine Art unbeschadetes Gegengewicht. Gerade diese Schönheit ist es, die Platen in seinen formstrengen Werken, die damals den Unmut Heinrich Heines auf sich zogen und unter anderem Gegenstand der feindlichen Auseinandersetzung der beiden Dichter waren, aus der Heine schließlich auch in historischer Sicht als Gewinner hervorging, anstrebte.
Dem Leser seiner Biographie erscheint Platen als ein Feuer, das man betrachtet, wie es allmählich erlischt, weil seine ewig suchenden Flammen keine Nahrung finden. Dies wird um so deutlicher, als die Aufzeichnungen zum Ende seines Lebens hin immer spärlicher und inhaltsärmer werden.
Eine vom Umfang her bescheidene Auswahl an Platen-Gedichten findet sich auf versalia im Archiv klassischer Werke.
[*] Diese Rezension schrieb: Arne-Wigand Baganz (2004-12-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.