Der „Singende Brunnen“ im Garten des Prager Belvederes hat mit seiner Wassertropfenmusik wohl schon sehr viele Liebespaare zu später bereuten Bekenntnissen verleitet, aber auch an vielen anderen Orten der Stadt, etwa dem Vysehrad, dem Hradcin oder im Goldenen Gässchen auf der Prager Kleinseite lassen sich wunderschöne Schäferstündchen verbringen, die wohl niemand so bald zu bereuen hat. Atemberaubende Aussichten auf die Stadt lassen sich auch vom „Letna“-Hügel erheischen, die Stadt glänzt tatsächlich in Gold, wenn man die richtige Uhrzeit und Begleitung erwischt hat, inspiriert Prag wahrlich zur Meditation über das Schöne und Gute in der Welt. Eines davon ist sicherlich die Musik, die die Moldaumetropole hervorgebracht hat.
Die bewährte Mischung aus Bild und Musik, earbooks, legt in ihrer neuesten Publikation ein Werk zur Goldenen Stadt vor, das von der Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester Leipzig und der Staatskapelle Berlin beschallt wird. Der Schwerpunkt liegt bei den tschechischen Klassikern, „Ma Vlast“ (mein Vaterland) von Bedrich Smetana, das man auch im neuen Pendolino zwischen Wien und Prag beim Einfahren in den Hauptbahnhof Prag vernimmt, wird auf der ersten CD wiedergegeben, aber auch auf der 3. CD darf Smetana noch einmal mit „Die verkaufte Braut“ glänzen. Besonders der „Tanz der Komödianten“, das dritte Stück, wird das Herz des Zuhörers in die Mitte der Hauptstadt der Gaukler, auf den Altstädter Ring versetzen, wo nicht erst seit dem Mittelalter das Zentrum des Gesellschaftslebens der böhmischen Metropole liegt und die Tradition der Komödie seine alltägliche Wiederauferstehung feiert. Auf der 2. CD intoniert die Staatskapelle Berlin die Symphonie Nr. 9 von Antonin Dvorak, die besser bekannt wurde unter dem Namen „Aus der Neuen Welt“. Tatsächlich lassen sich in dieser Komposition amerikanische Motive erkennen, die daher rühren, dass der Komponist auch in New York lebte und unterrichtete. Weiters sind von Dvorak noch die Slawischen Tänze auf dieser zweiten CD zu hören und auf der 3.CD spielt das Gewandhausorchester „Katinka und der Teufel“ von Dvorak in Auszügen. Leos Janaceks „Lachische Tänze“ leiten über zum 4. musikalischen Beitrag dieser Sammlung, die von Mozarts Sinfonie Nr. 38 eröffnet wird und auch Auszüge aus „Don Giovanni“, dessen Premiere übrigens im Prager Ständetheater am 29. Oktober 1787 stattfand, und „La Clemenza di Tito“ sowie „Bella mia fiamma, addio –Resta oh cara“ enthält.
Der Bildteil, die Visualisierung der Stadt der Liebenden, widmet sich vor allem dem authentischen Jugendstilanteil Prags, der sich tatsächlich an jeder Straßenecke finden lässt. Allein im Ständehaus, einem Prachtjuwel des Art deco wird man von Schönheit und Detailverliebtheit derart überflutet, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Aber auch im Rathaus, wo ein neugebauter Lift neue Touristenmassen anzieht, sieht man ganz nebenbei reich verzierte Torgänge mit groß angelegten Bilderzyklen Prags von Alfons Mucha, einem Maler, der wie kein anderer mit Prag assoziiert wird. Seine Motive finden sich selbst auf Plakaten, die für Pilsner Urquell werben, auch wenn sie der Maler selbst sicherlich nicht abgesegnet hätte. Der Durst verzeiht so manche Strenge und so dürften auch die Kellner des „U Fleku“ sich gerne mit einem Strich pro Bier zu viel auf dem Rechnungszettel ein kleines zusätzliches Trinkgeld verdienen, der Gast verzeiht es, Svejk und die Bierseligkeit machen aus allen Menschen Brüdern und man denkt mit Schaudern an die Bierkeller Münchens und was die aus den Menschen gemacht haben. Ein flotter fotografischer Wechsel von Kunstgegenständen zu den Grabsteinen des jüdischen Friedhofs hin zum Bischöflichen Palais führt hinaus in die Gassen Prags und zeigt den blauen Himmel über dem Schloss. Wer einmal um Mitternacht vom Stadtzentrum aus auf die Burg hinaufgesehen hat, wird wissen, dass die Uhren in Prag pünktlich gehen, denn pünktlich um 24 Uhr löst sich der Hradcin in Luft aus, verschwindet in der schwarzen Nacht, weil irgendwer dort oben alle Lichter auf einen Schlag abdreht. Dies ist aber nur einer der vielen magischen Momente einer Stadt, die sich stets ihr mittelalterliches Herz bewahrt hat und dennoch in die Moderne gewachsen ist. Das zeigt nicht nur das „tanzende Haus“ von Frank O. Gehry am Moldauufer, sondern auch das neue Zentrum „Andel“ in Smichov. Prag wird zunehmend durch moderne architektonische Projekte erweitert, die sich dennoch harmonisch in die Gründerzeitarchitektur des 19. Jahrhunderts eingliedern lassen.
Moderne mit Maß und Ziel, die das Weltkulturerbe der Stadt nicht zerstört, wird ja durchaus von der UNESCO auch gebilligt, auch wenn die geplanten Wolkenkratzer von Pankrac demnächst zu einem Eklat führen könnten. Bis dahin lassen die Prager Stadtväter Blumen sprechen, am Wenzelsplatz oder beim Jan Hus Denkmal am Altstädter Ring blühen nämlich viele Wiesenblumen, eine Initiative des Stadtbaugartenamts, die tatsächlich Wirkung zeigt. Zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Prag zwar immer noch eine Baustelle und noch lange nichts „fertig“, aber vielleicht macht ja gerade das die Stadt so spannend wie keine andere, dass dort immer noch mehr passiert als in Wien, das wissen nicht nur die neidischen Nachbarn. Eine Stadt zwischen Moderne und Tradition, das ist auch das Image, das die Bilder von Gudrun Petersen vermitteln, da darf die futuristische durchgestylte U-Bahn nicht fehlen, genauso wenig wie die Karlsbrücke oder das Pendulum am Letna, wo einst die größte Stalinstatue der Welt stand. Prag hat so viele Facetten wie ihre Bewohner Gesichter haben, die Stadt sprudelt und quellt und tanzt und springt wie die Moldau in Smetanas „Ma Vlast“ und man hört die Melodie bereits in seinem Kopf, wenn man ganz genau hinhört, plätschert einem der Sommer gleich mit.
Vielleicht wäre es bei den Fotos wünschenswert gewesen, etwas mehr auch auf das moderne Prag einzugehen, schließlich bewegt sich diese Stadt nicht erst seit den Fensterstürzen in Richtung täglicher Revolution. Wer an David Cernys „Entropa“ denkt oder seine Installation in der neu entstandenen Futura-Galerie in Smichov, www.futuraproject.com , der wird wissen, wie viel die Stadt auch an modernem Zeitgeist zu bieten hat. Natürlich spielt auch der 400. Geburtstag des Rabbi Löws und sein Golem eine gewisse Rolle bei der Neuerbauung der Stadt im 21. Jahrhundert. JHWH ELOHIM EMETH, hebräisch für „Gott ist die Wahrheit“ wurde dem Golem vom Rabbi auf die Stirn geschrieben, doch als dieser zu mächtig wurde, löschte er sich selbst den ersten Buchstaben weg und es hieß nur mehr „Gott ist tot“. Man wünscht sich natürlich mehr von ersterem und möchte umso mehr den tönernen Golem fallen sehen. Vielleicht gibt es ja einen Weg, den die Installation in der Robert Guttman Galerie in Prag ( www.jewishmuseum.cz ) mit ihrer derzeitigen Kunstaktion (noch bis 4.10.) findet. Prag ist heute von Wien aus in nur vier Stunden erreichbar, ein Grund mehr, sich auf diese Reise mit einem Werk aus dem Hause earbooks, würdig einzustimmen.
PRAG
Bilder und Musik aus der Goldenen Stadt
Zweisprachig: deutsch - englisch
2009
earbooks
120 Seiten ca 100 Fotos
ISBN: 978-3-940004703
38.-€
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2009-08-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.