Berlin hat noch Träume. Und das nicht nur für verrückte Gofen, Gauner oder Glückssucher, sondern auch bereits für Generationen von Künstlern, Dichtern, Denkern und Philosophen, die der Welt jene Bedeutung geben, die sie gar nicht hat. Graffitis wechseln bunte Straßenbilder oder glückliche Pärchenbilder am Spreeufer ab, Leuchtreklamen spiegeln sich in Schaufenstern und die neue Berliner Mitte wird von der S-Bahn aus festgehalten: ein künstliches Krebsgeschwür im Herzen der Stadtmitte, megalo-manische Architektur für Regierung, Bundeskanzler und ihre Kindeskinder. Reichstag – Platz der Republik ist nicht mehr derselbe, seit ihm die modernen Verwaltungsgebäude an die Flanken gestellt wurden, doch die Fahnen flattern im Wind und die Schlangen stehen vor dem Eingang, um sich in der transparenten Kuppel den Regen in den Schlund rinnen zu lassen. Demokratie braucht Transparenz und kein Architekt hat dies so wörtlich genommen, wie der der Reichstagskuppel, Sir Norman Foster. Ein anderer nicht mehr ganz so junger Mann bewegt sich mit seinem Kahn auf dem Kanal Richtung Oberbaumbrücke, Zentrum des alternativen Berlin, nunmehr zu Kreuzberg-Friedrichshain zusammengefasst. Und dazwischen immer wieder das Niemandsland, das auch 20 Jahre Mauerfall noch nicht tilgen konnte, das immer noch da ist, die Leere, die an das Gewesene und das Zukünftige gleichzeitig erinnern: aus Staub bist du gemacht, zu Staub wirst du wieder werden. Auch die alten Symbole des Westens, die Gedächtniskirche, wissen darüber Bescheid: die Ruine wurde belassen, um an den Krieg zu erinnern, ein Krieg, den es nie mehr geben sollte, eine Zerstörung, die gemahnt, in Frieden zu leben. Eine Kirche, im Zentrum des Westens, die endlich allen die Wahrheit einhämmert, inmitten des Konsumviertels Ku´damm: du kannst nichts mitnehmen, dein letztes Hemd strickt dir der Tod und am Ende gehst du nackt hinüber, auf die andere Seite. Tod und Anfang, Seite an Seite, inmitten des alten Zentrums, inmitten des neuen Zentrums von Berlin. Aber wo ist das?
KaDeWe und Berliner Kindl sind nur zwei Symbole, die es nicht erst seit der Teilung Deutschlands gibt. Auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor hat schon mehrere Jahrzehnte überlebt und von einem Gebäude des Alexanderplatzes, hinter der Weltzeituhr grüßt Alfred Döblin: „Wiedersehen auf dem Alex Hundekälte. Nächstes Jahr, 1929, wird’s noch kälter“. Vor 80 Jahren war die Welt auch nicht anders, Krise über alles, Berlin über alles, wer wollte nicht den Weltuntergang in der zukünftigen Metropole des 21. Jahrhunderts erleben und darauf tanzen, darauf schwofen? Soweit ein paar fotografische Impressionen aus dem neuen Earbook, das dem Leser im Format einer Langspielplatte ein Berlin zeigt, wie man es vielleicht schon gesehen hat, aber niemals ergreifen konnte. Der Sound dazu kommt von vier poppig gestalteten CDs, die ihren verschiedenen Mottos wie folgt gerecht werden:
Auf der ersten CD “The Roaring Twenties” findet man Klassiker zur „Berliner Luft“ oder „Heimat Berlin“, ganz berühmt ist auch das „Berliner Pflaster“, unter dem bekanntlich der Strand liegt. Die Interpreten dieser Lieder sind u. a. Lizzy Waldmüller, Paul Graetz oder das Orchester Dajos Bela. Aber auch die Comedian Harmonists oder Lilian Harvey und natürlich Marlene („Ich hab noch einen Koffer in Berlin“) finden Platz auf dieser ersten Einführung. Weitere 14 Tracks finden sich auf “Berlin Hits From The Fifties Till Today”, das Spektrum reicht von der Knef über die Puhdys bis hin zu Hagen und Ideal. Spätestens wenn die Humpe „Bahnhof Zoo, mein Zug fährt ein“ intoniert, wird sich das Tanzbein des Zuhörers regen, „Ich fühl mich gut, ich steh` auf Berlin“. Kein anderes Lied der 80er hat den Rhythmus dieser Stadt wohl so gut auf den Punkt gebracht und lässt einen dazu auch noch wild zappeln, als ob man selbst dort wäre. “Berlin Underground” enthält 13 weitere Tracks, darunter von Katze “Menschen springen von Hochhäusern”, Neubauten “Steh auf Berlin” (mit den famosen Bohrmaschinen!) oder der absolute Durchbrenner von Die Haut feat. Jeffrey Lee Pierce (sic!) „Breaking in Your Daydream“. “Clubbing” vermittelt dann mit ganzen19 Tracks das Berlin, das viele aus den 90ern kennen. Berlin ist einfach dufte! Eine Stadt, die alle Tagträume durchbricht...und wo kräftig „geschwoft“ (getanzt) wird!
Fotobuch mit CDs mit Liedern u. a. von Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Katze, Stereo Total, Puhdys, Harald Juhnke, Einstürzende Neubauten u. v. a.
zweisprachig
(deutsch-englisch)