„Ich habe gut gekämpft. Wollte mir ein standhaftes Herz schmieden,“ schreibt der schreibende Maler und malende Schriftsteller Giorgio de Chirico in der ersten deutschen Übersetzung seiner Manuskripte, die der Künstler bei seinen Freunden Paul Éluard und Jean Paulhan in Paris hinterlegt hatte. Giorgio de Chirico (1888-1978) gehört nicht nur zu den berühmten Malern des 20. Jahrhunderts, sondern er war auch Schriftsteller. Die Manuskripte, die er seinen beiden Freunden in Paris hinterließ, entstanden während seiner „metaphysischen“ Stadtansichten, parallel dazu begann er zu schreiben: lyrische Stenogramme, Gedichte, Prosastücke, Skizzen von Empfindungen und Träumen. Um am Ende - in einem Brief an seine Mutter - zu gestehen: „Die Mutter als einziger Trost“. Und doch scheint ihm immer die große Offenbarung am Herzen gelegen zu sein, nicht nur als Maler, auch als Schriftsteller: „Die Offenbarung spielt immer die Hauptrolle“, bekennt er freizügig an einer anderen Stelle, in einem anderen Brief. „Aber ach, was ist alles, was die Menschen gemacht haben und noch machen: eine Handvolle Schlamm, die ein Sonnenstrahl austrocknet und ein Windhauch zerstreut.“
Nicht so natürlich das Werk de Chiricos. Von ihm ist viel mehr noch zurückgeblieben, als nur diese Worte. Giorgio de Chirico, der als Sohn italienischer Eltern in Griechenland geboren wurde, studierte Malerei an der Münchner Akademie. Dort entwickelte er auch das Konzept seiner späteren oft als „metaphysisch“ bezeichneten Bilder. In Münchens klassizistischer Architektur, den Schöpfungen von Leo von Klenze zwischen Hofgarten und Wittelsbacherplatz, fanden de Chiricos typische Bildelemente ihren Ursprung und Widerhall. Im Nachwort von Laszlo Glozer wird das literarische Werk de Chiricos in den Umkreis der Surrealisten und den Kontext deutscher Philosophen wie etwa Schopenhauer oder Friedrich Nietzsche eingeordnet. Die Übersetzung von Marianne Schneider, die auch zahlreiche Werke von und über Leonardo da Vinci herausgegeben hat, sind ausführliche Anmerkungen sowie ein hilfreiches Personenregister hinzugefügt. Zudem wird das fast 400 Seiten starke Werk mit Skizzen des Künstlers ergänzt. De Chirico schreibt über andere Maler und setzt sich in vorliegender Publikation u.a. mit Böcklin, Tintoretto, Raffael, Courbet und Giorgio Morandi intensiv auseinander.
„Wir Italiener sind kein Volk, das dazu geschaffen ist, im bürgerlichen Leben Fett anzusetzen. Der reichste und zufriedenste Bürger ist im Innersten seines Wesens immer noch unruhiger und unzufriedener als der ärmste Bauer, der Sohn nördlicherer Gegenden, die glücklicher sind, da weniger warm und weniger hell.“ Natürlich mag man da gerne widersprechen, aber de Chirico weiß es in jedem Fall besser, wenn er schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts meinte: „Kunst im überlieferten Sine gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch kurzlebige modische Einfälle.“ Die Spaltung zwischen Nord und Süd zu überwinden ist wohl die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts, das klingt auch in de Chiricos Zitat von den Italienern schon an.
Giorgio de Chirico
Das Geheimnis der Arkade
Erinnerungen und Reflexionen
Hrsg. und übersetzt von
Marianne Schneider
Nachwort von Laszlo Glozer
384 Seiten, 33 Abbildungen
ISBN 978-3-8296-0535-9
EUR 39.80; EUR (A) 41.-; sFr 56.90
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-09-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.