Das Wiener Burgtheater stellte in seiner Reihe „Kakanien – Neue Republik der Dichter“ unlängst in seiner Dependance im Kasino am Schwarzenbergplatz den slowenischen Philosophen Slavoj Zizek vor. Dieser enthüllte – im übrigens ausverkauften Hause - nicht nur seine eigenen dünnen Oberarme, sondern auch die sympathischsten Züge, die ein Philosoph wohl haben kann: der in ein bescheidenes beiges T-Shirt gekleidete Weise, Professor an den verschiedensten Universitäten der Welt, war nicht nur unterhaltsam, sondern sogar lustig und geradezu komisch. Wer ihn noch nicht von „Pervert`s Guide to Cinema“ oder der kanadischen Dokumentation „Zizek – Der Elvis der Kulturtheorie“ (beide auf versalia rezensiert) von Astra Taylor kannte, konnte sich im Wiener „Kasino“ mit eigenen Augen und Ohren davon überzeugen, was Authentizität wirklich bedeutet: nämlich Freude an den eigenen Thesen zu empfinden und darüber auch noch schelmisch grinsen zu können.
„Wir sind mehr geblendet, als fokussiert“, pointierte der in nur schlecht verständlichem Englisch parlierende Zizek, nachdem er das Publikum mit seinen Deutsch- und Französisch- Kenntnissen ohnehin schon beindruckt hatte, wohl nicht ganz unpassend. Die Situation sei zwar katastrophal, aber nicht ernst genug, paraphrasiert Zizek auch die österreichische Mentalität und mokiert sich sogleich über die zeitgenössischen Erscheinungen der Postmoderne wie etwa „das Grünen Grünlands“ oder den Zusammenhang zwischen Katastrophen und Kapitalismus. Immer wieder verweist Zizek auf andere Autoren oder Philosophen, Naomi Klein, Platon, Adorno, Kafka, Freud…ein wahres Potpourri des Abendlandes zaubert Zizek da aus seiner philosophischen Schatzkiste. Wir würden in einer Zeit leben, in der exzessiver Katastrophismus ohnehin zum Tagesgeschäft gehöre. Zizek sind aber sowohl die Warnungen als auch die Warner suspekt. Die, die immer über die Katastrophe sprechen, glauben nicht, dass sie wirklich passieren wird, aber wie er lakonisch bemerkt: „Dont worry there will be a catastrophe“, wenn nicht die eine große, so doch zumindest eine weitere.
Zizeks Trost für raue Zeiten? Recycling ist es jedenfalls nicht: „Die wahre Bedeutung sei nicht, einen Unterschied zu machen („to make a difference“), sondern sich danach besser zu fühlen. „Fighting consumerism“ sei lächerlich, wenn man bei Starbucks einen Kaffee trinkt von dem 1% an bedürftige Kinder gehe. Dies sei nur Teil desselben Spiels, um einfach das eigene Wissen zu beruhigen, also fighting consumerism mit consumerism. Eine andere Pointe, die beim ansonsten eher verklemmten Wiener Publikum gut ankommt, liefert ihm das Projekt „Masturbator“ von Dr Caroll Queen, Zitat Queen: „Masturbation is a unique form of creative self-expression”. Gewiss eine neue Form der Transsubstiation, man dürfe dabei soar getrost lieben, denn es gäbe keine Gefahr, „to be in love without falling in love“, das sei das Ziel dieser seltsamen Organisation, die Masturbation im öffentlichen Raum proklamiere. Dabei sie doch eigentlich gerade „procreational sex“ für Tiere, nicht für Menschen, da sei Freud missverstanden worden, er sei kein Reduktionist gewesen. Sexualität sei viel mehr Spiritualität und gleichzeitig eine „metaphysical catastrophe“. In diesem Zusammenhang zitiert Zizek auch den Romancier Neil Gaiman, der einmal über die Liebe sagte: „“Have you ever been in love? Horrible isn't it? It makes you so vulnerable. It opens your chest and it opens up your heart and it means that someone can get inside you and mess you up. You build up all these defenses, you build up a whole suit of armor, so that nothing can hurt you, then one stupid person, no different from any other stupid person, wanders into your stupid life...You give them a piece of you. They didn't ask for it. They did something dumb one day, like kiss you or smile at you, and then your life isn't your own anymore. Love takes hostages. It gets inside you. It eats you out and leaves you crying in the darkness, so simple a phrase like 'maybe we should be just friends' turns into a glass splinter working its way into your heart. It hurts. Not just in the imagination. Not just in the mind. It's a soul-hurt, a real gets-inside-you-and-rips-you-apart pain. I hate love.”
Eigentlich müsste an dieser Stelle die Berichterstattung längst abreißen, doch Zizek hat so viel Sitzfleisch, dass er fast über zwei Stunden zu dem verblüfften Publikum spricht und auch dann nicht aufhört, als ihm der Applaus zubrandet. Einige Aussagen werden den politisch korrekten unter den Anwesenden wohl nicht ganz recht gewesen sein, etwa wenn Zizek als ihm genehme Form von Antirassismus „polite ignorance“ definiert. Über die Immigranten weiß Zizek aber hinwegzutrösten, denn das wahre Problem sei die politische Rechte, die die europäischen Werte untergraben würde, nicht die Immigranten. „The only universality is the universality of struggle“, wenigstens etwas, dass wir alle gemeinsam hätten, das sei der Kampf. Und auch wenn nicht alle für dasselbe kämpfen, Zizek weiß jedenfalls, dass auch das Original Brand der Sachertorte nicht unbedingt die beste Sachertorte der Welt sein muss, dass sie anscheinend billige Orangenmarmelade verwenden würden. „Do not allow the enemy to determine the field fo the battle“, eines der vielen weiteren Schlussworte des beredten Philosophen, der gar nicht mehr aufhören wollte zu sprechen. Zizek hat den Schauplatz des Kampfes jedenfalls wesentlich mitbestimmt und ihn nicht vom „enemy“ (Feind) bestimmen lassen. Republik der Dichter? Auch Radovan Karadzic sei ein Dichter gewesen, das Schlechte komme immer von innen, das könne man sowohl auch die Rechten als auch auf Karadzic beziehen. Man muss eben wissen wie man die Klaviatur richtig handhabt, nämlich so wie Robert Schumann in seiner „Humoresque“. Wer Appetit darauf bekommen hat, der wird auch „das Genießen innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ nicht als gut Kost verachten. Weitere Werke des Autors, etwa zur Psychoanalyse und deutschem Idealismus, finden sich auch auf der Verlagsseite des Wiener Verlages bei Turia & Kant.
Slavoj Zizek
Der Mut, den ersten Stein zu werfen
Das Genießen innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
Aus dem Englischen übersetzt von Erik M. Vogt
Turia & Kant 2008
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-05-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.