“Kino ist die ultimative perverse Kunst. Es gibt dir nicht, was du begehrst. Es sagt dir, wie du begehren sollst”, spricht ein aufgeregter und wild gestikulierender Slavoj Zizek im ersten Teil dieses „perversen“ Filmführers von Sophie Fiennes in die Kamera, die Bilder aufzeichnet und nachstellt, wie man sie schon aus einigen der besprochenen Filme kennt. Und es sind derer viele, um nicht zu sagen Dutzende. Der zweifellos charismatische slowenische Philosoph und glühende Cineast prescht in einem Parforceritt durch die Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts und versucht die Subtexte und Freudschen Erklärungsmuster herauszuarbeiten, um so manches Unbewusste zu Tage zu fördern und zum Vorschein zu bringen. Dabei definiert er auch die eigentliche Perversion des Filmemachens: “Pervers ist nicht einfach eine Person, die schreckliche Dinge tut, sondern die eine bestimmte Position gegenüber dem Anderen einnimmt. Ein Perverser versteht sich als perfektes Instrument für die Lust von jemand anderem.” Der Perverse behauptet besser zu wissen, was der andere wolle und zwinge ihn notfalls auch zu diesem - “seinem” - Guten. In vorliegendem Falle ist dies mehr als gelungen. Zizek fasziniert und fesselt wie kein anderer Blockbuster.
Vom „peeping tom“ zum Voyeur
Der Philosoph und Cineast übersetzt die sublime Sprache des Films und entwirrt so manche Szene der Cinematographie als beinahe plumpen Freudianismus. Bei Hitchcocks “Psycho” (1963) enthüllt er die Aufteilung des Hauses von Norman Bates als klassische Dreiteilung in „Ich“, „Über-Ich“ und „Es“. Erst als Bates seine Mutter vom 1. Stock (Über-Ich) in den Keller (Es) trägt, kann sich seine überbordende Libido in einem furchtbaren Aufstand entfachen. “Je mehr wir dem Über-Ich gehorchen würden, desto schuldiger lässt es uns uns fühlen.” Auch der Rollenverteilung bei den Marx-Brothers stülpt Zizek diese Freudsche Analogie über: Groucho symbolisiere das „Über-Ich“, Chico das “Ich”, Harpo, das verspielte aber auch zumeist aggressive “Es”. Slavoj Zizek, der in der vorliegenden Dokumentation gerne vom Motorboot aus erzählt, so wie bei der ersten Attacke der Vögel in Hitchcocks “Die Vögel”, stellt auch Filme vor, die heute leider in Vergessenheit geraten sind, etwa das von
Lenore J. Coffee stammende “Possessed” (1931), in dem der Zuschauer Teil der Magie des cineastischen Zaubers wird und mit der Protagonistin gleichnishaft den Fenstern eines vorbeifahrenden Zuges folgt, in dessen Abteilen sich jeweils ganz verschiedene Szenen abspielen. Der Zug wird zum Gleichnis für den Film selbst: so wie es in jedem Film einen “peeping tom” (stillen Beobachter) gibt, sind auch die Zuschauer selbst solche Voyeure, die lernen wollen, was sie begehren sollen (siehe Eingangszitat).
Don`t play with the abyss…
“Die rote oder die blaue Pille?” wird Keanu Reeves in “Matrix (1999) gefragt und Zizek schließt daran die Frage an, was wäre denn mit einer dritten Pille? Die blaue Pille bedeutet aufwachen und die zu entdeckenden Geheimnisse ruhen zu lassen, die rote Pille ein Verbleiben in “Wonderland”, die dritte wäre dann weder Realität noch Illusion, sondern “reality in illusion”, wie Zizek in dieser bei Zweitausendeins erschienenen englischen Originalfassung (mit deutschen Untertiteln) seines Guides feststellt und später noch genauer ausführen wird. “Desire is a wound of reality”, erklärt Zizek mit seinem charmanten slawischen Akzentenglisch und eröffnet damit einen Einblick in sein ganz eigenes cineastisches Universum. Kino würde das Begehren („desire“) erst stimulieren, dann damit spielen, es jedoch immer in sicherer Distanz halten, um es schließlich zu domestizieren und damit zu zerstören. Fantastisch sind auch Zizeks Ausführungen zum “gap”, dem Abfluss in Hitchcocks “Psycho” und Coppolas “The Conversation”: Das Auge, das man gemeinhin als Fenster zur Seele betrachte, sei ein Abgrund, auf den man sich besser nicht zu sehr einlassen sollte. “What if the eye is a crack through which we can observe the abyss of a netherworld? (…) The abyss is not a physical abyss, but the depth of another person.(…)“When you look to deep into another person`s eyes, that`s the true spiral, that is driving us into (the abyss).“ Wer in den Abgrund schaut, in den schaut auch der Abgrund oder: wer zu lange in die Augen eines anderen starre, könnte seine (eigenen) Abgründe entdecken und: abstürzen!
A job well done
Humorvoll kommentiert Zizek Norman Bates Aufwischen des Badezimmers, das dem Zuschauer das befriedigende Gefühl eines “jobs well done” geben würde. Aber wenn die Toilette, der Flush, die Spülung, nicht funktioniert, so wie in “The Conversation”? Dann kommt alles das, was wir versucht haben zu verdrängen, wieder an die Oberfläche. Der Abgrund des Abflusses sei nichts anderes als der schwarze Bildschirm, auf den wir unsere Erwartungen projezieren würden. Die Überblendung vom “gap” auf das Auge in Hitchcocks Psycho ist diesbezüglich wohl eine der genialsten Szenen der Filmgeschichte. “If we look into the whole, we are basicly watching shit”, kommentiert Zizek aus dem Off und leitet damit nonchalant in den zweiten Teil seines Filmführers über, an dessen Anfang er “Matrix” stellt. „Warum braucht die Matrix unsere Energie?“, frage sich der Zuseher, aber die Frage müsse auf den Kopf gestellt werden, meint Zizek: Warum braucht die Energie (libido, pleasure) die Matrix? Warum brauchen wir Fantasien, virtual supplements? “Our libido needs an illusion in order to sustain itself.” Ohne diese Fantasie würde es keinen Beischlaf geben, denn der schnöde sexuelle Akt, sei eigentlich zu animalisch, als dass er von denkenden Humanoiden ausgeführt werden könnte.
She suicides, but the ideal survives
In Alfred Hitchcocks Vertigo (1958) werde dieselbe Idee auf die Spitze getrieben: Kim Novak als Madleine und James Stewart als Scottie wären ein archetypisches Paar, als Beispiel für die männliche Obsession für die Fantasie. Sie bringt sich um, in dem sie sich vom phallischen Kirchturm stürzt, doch das Ideal überlebt, auf Englisch klingt das natürlich noch viel einleuchtender: “She suicides, but the ideal survives.” Scottie versucht dann dieses Ideal wieder herzustellen und eine neue Frau zu finden, die seiner ersten ähnelt, bis zum Aussuchen desselben Kleides, das die erstere einst trug. “Behind the face there is a void”, Hitchcock zeigt die Frau mit Halbschatten im Gesicht, Sophie Fiennes, die Regisseurin, stellt Zizek in die exakt selbe Position: „A phantasy realized is always a nightmare”, kommentiert dieser dann süffisant grinsend. Die Faszination von Schönheit sei immer ein Schleier, der einen Alptraum hinter sich verberge. “The fascination of beauty is always a veil that covers up a nightmare.” Das Kino diene dazu, aus der Realität in die Fantasie zu flüchten, aber wenn dann der Traum noch viel schrecklicher werde als die Realität, dann kehren wir gerne wieder in die Realität zurück. Der Darwinsche Lehrsatz drehe sich also um: Realität ist für die, die nicht stark genug sind, sich mit ihren Träumen zu konfrontieren und nicht umgekehrt.
Zeitbomben im Gehirn
Slavoj Zizek doziert nicht, sondern bringt Denkprozesse in Gang. Mit einer Vielzahl von weiteren Ausschnitten aus genialen Filmen wie “Blue Velvet”, “Solaris”, “Persona”, “Lost Highway”, “Eyes wide shut”, “Piano Player”, “Dogville”, “Wizard of Oz”, “Frankenstein”, “The Ten Commandments”, “Kubanskie Kazaki”, “Ivan the Terrible Part 2”, “Pluto`s judgement day” u.v.a.m. untermauert er seine ganz eigenen Thesen zur männlichen Sexualität und der Traumfabrik Hollywood. Dabei ist er beinahe unterhaltsamer als so mancher heute produzierte Blockbuster, obwohl er ganz auf Action verzichtet. Die eigentlichen Bomben legt Zizek nämlich ins Gehirn des Betrachters und sie explodieren erst dann, wenn der Bildschirm wieder zu seinem dunklen schwarzen Loch zurückkehrt: the void, the gap, the abyss stülpt sich über den Betrachter und lässt ihn im Dunkel der Nacht seiner eigenen Betrachtungen mit sich selbst zurück. Jetzt beginnen die Gedanken erst wirklich zu arbeiten. “Just arousing the phantasy and then rejecting the act results in utter psychological devastation. That is a case of mental rape which can be worse than physical rape. (…) Sometimes we have to fuck to escape the brutal reality of phantasy. That`s at least why men have sex.”
Slavoj Zizek
The Pervert`s Guide to Cinema
R: Sophie Fiennes
Musik: Brian Eno