Der Text stammt eigentlich aus dem Jahre 1998 und liegt hier nun in der vierten überarbeiteten Version vor. Diesen Umstand möchte ich deswegen betonen, damit keine voreiligen Rückschlüsse zwischen Thema und tagespolitischen Ereignissen gemacht werden können. Wie alle Texte von Zizek ist natürlich auch der hier vorliegende zeitlos und über die schnöde Quotidienita erhaben. Slavoj Zizek kritisiert in „Plädoyer für die Intoleranz“ unsere gängigen Vorstellungen über den Multikulturalismus, der besage, dass wir in einer postideologischen Welt leben würden, in der „wir die alten, zu Uneinigkeit führenden Kämpfe zwischen Links und Recht weit hinter uns gelassen haben und in der nun die wichtigen Schlachten diejenigen seien, die um die Anerkennung der unterschiedlichen Life-Styles (im Original hervorgehoben, JW) gefochten werden“. Der sogenannte entpolitisierte Multikulturalismus sei aber – laut Zizek – gerade DIE Ideologie des derzeitigen globalen Kapitalismus. Zizek will zurück zu einer erneuerten Politisierung der Ökonomie.
Die berechtigte Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, einem sozialen Gefüge, zu dem man sich zugehörig fühle, sei durch den Faschismus pervertiert worden, an und für sich deswegen aber noch lange nicht faschistisch. Der Antisemitismus der Nazis gründete auf einer utopischen Sehnsucht nach authentischem Gemeinschaftsleben, in der völlig gerechtfertigten Verweigerung irrationaler kapitalistischer Ausbeutung. Was nun den Faschismus allgemein definiere sei, dass er die organischen Verbindlichkeiten der Gesellschaft durch eine unerhörte technologische Mobilisation derselben durchtrenne. „Was den Faschismus definiert ist vielmehr eine spezifische Kombination der organizistischen Korporation mit dem Trieb zur rücksichtslosen Modernisierung.“ Die Pervertierung des Gemeinschaftsgefühls durch den Nazi-Begriff „Volksgemeinschaft“, sage noch nichts über die Fehlbarkeit des berechtigten Gefühls nach Gemeinschaft und Solidarität aus. Die Nazis hätten die Krise der 30er „überzeugender lesbar“ gemacht, als das sozialistisch-revolutionäre Narrativ.
Der Definition von Politik als „Kunst des Unmöglichen“ (sie verändere die Parameter dessen, was in der existierenden Konstellation als „möglich“ betrachtet wird) geht eine Klärung von vier Politik-Begriffen voraus. Zizek unterscheidet zwischen Archi-Politik, Para- Politik, Meta-Politik und Ultra-Politik, wobei letztere die verschlagenste und radikalste Version sei, da sie sich bemühe einen Konflikt zu entpolitisieren, indem man ihn ins Extrem steigere, der Militarisierung der Politik, in der es nur mehr „wir“ gegen „die anderen“ hieße. Um anschauliche Beispiele ist Zizek nie verlegen, wenn er etwa einen Skinhead, der einen Ausländer verprügle zum Exempel seiner Psychoanalyse statuiert: „Das Es-Böse stellt somit den elementarsten `Kurzschluss´ im Verhältnis des Subjekts zur ursprünglich fehlenden Objektursache seines Begehrens dar: was uns im/am `anderen´ `stört´ ist, dass es so scheint, als unterhielte er eine privilegierte Beziehung zum Objekt, als besäße der andere den Objekt-Schatz, hätte ihn uns abgeluchst (…) oder als stelle er eine Bedrohung für unseren Besitz des Objekts dar.“ Platos „Sie tun es, weil sie nicht wissen, was sie tun“ wird von Zizek auf den Kopf gestellt, denn der gewalttätige Skinhead wisse sehr wohl was er tue, höre aber trotzdem nicht auf damit und unterstütze im Gegenteil die verbreitete liberale Idee, sich selbst als tragisches Opfer seiner gesellschaftlichen und familiären Herkunft zu rationalisieren, so er überhaupt ein Minimum an Reflexionsfähigkeit besitze. Schnell wird das Partikulare auf diese Weise zum Universalen und der unkritische Multikulturalist „versteht“ bald den gewalttätigen passage à l`acte des Skinheads, statt ihn in Frage zu stellen.
Was gewöhnlich als „postmoderne Politik“ gefeiert würde (die Betreibung partikularer Anliegen, deren Lösung innerhalb der „rationalen“ globalen Ordnung verhandelt werden müsse), sei folglich tatsächlich nichts anderes, als das Ende der eigentlichen Politik. Die Tatsache nämlich, dass diese Art der Gerechtigkeit (die Zuweisung des Opferstatusses an immer mehr Minderheiten), die m an den zu Opfern gemachten Minderheiten angedeihen lässt, einen komplizierten Polizeiapparat benötigt sei deswegen auch so sehr bezeichnend. Die multikulturalistische Identitätspolitik verweise die Politik nach oben, an die Vertretung des Staates, der sie, die Minderheiten, schützen solle. Im Kapitel „Selbstkolonisation“ erfährt das Plädoyer sicherlich seine Krönung: Multikulturalismus sei nichts anderes als ein Rassismus, der seine eigene Position von jeglichem positiven Inhalt freigemacht habe, eine Position des leeren Platzes der Universalität von dem aus man die anderen partikularen Kulturen bewerte. Der multikulturalistische Respekt vor der Besonderheit des Anderen sei schließlich nichts anderes als die Behauptung der eigenen Überlegenheit. Weit weg von einer Verherrlichung des Schizo-Subjekts eines Deleuze/Guattari, dessen rhizomatische pulverisierte Existenz das paranoische „protofaschistische“ Schutzschild einer festgelegten Identität zertrümmert, entwirft Zizek die Antipoden einer neuen Hybridität im Zeitalter der kritiklosen Toleranz. „Aus diesem Grund sollte sich eine Kritik an der möglichen ideologischen Funktion der Idee der Hybridität auf keine Weise zum Anwalt der Rückkehr substantieller Identitäten machen – der Sinn besteht gerade darin, die Hybridität als einen Ort des Universalen zu behaupten.“
Slavoj Zizek
Ein Plädoyer für die Intoleranz
Aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer