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Slavoj Zizek - Fordern wir das Unmögliche
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Zizek, Slavoj:
Fordern wir das
Unmögliche

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(Bücher frei Haus)

„Ich war fünf Jahre lang arbeitslos, dann bekam ich einen Job in einem kleinen Forschungsinstitut. (...) Ich habe keine Studenten. (...) Na gut, hier und da unterrichte ich ein wenig, aber ich hasse Studenten immer mehr. (...) Ich mag Universitäten ohne Studenten. Ehrlich.“ Die Fragen an den poppigsten Philosophen unserer Zeit werden in dieser Publikation des Laika Verlages von Yong-june Park, Chefredakteur der Indigo Book Company Südkorea, gestellt und beschäftigen sich nicht nur mit Kommunismus, Globalisierung, Apartheid oder Politik und Verantwortung, sondern auch mit Ethik, Messianismus und Multitude. Bekannt wurde der slowenische Philosoph ja vor allem durch seine Tabuverletzungen, denn Žižek nimmt sich tatsächlich kein Blatt vor den Mund und räumt auf mit schamhaften Vorurteilen oder fadenscheinigen Säulenheiligen. „Ökologie ist meiner Ansicht nach die egoistischste, anthropozentristischste Maschine, die es gibt“, meint er etwa schon auf den ersten Seiten dieses spannenden Interviews in Schriftform, „Natur ist verrückt. Natur ist chaotisch. Natur neigt zu wilden, unvorhersehbaren und sinnlosen Katastrophen, wir sind ihren gnadenlosen Launen ausgeliefert – es gibt keine `Mutter Erde´“. Aber nicht nur in der Natur gebe es immer wieder Katastrophen, Dinge liefen falsch und manchmal explodiere eben auch ein
Planet.

Individualität im Zeitalter des Cloud Computings
„Ich glaube, große, dreckige Städte, in denen viele Menschen leben, sind ökologisch das Beste für die Natur“, meint Žižek provokant an einer anderen Stelle des Interviews, denn so könne die Natur zumindest in ihren Gefilden weiter vor sich hinwuchern und werde größtenteils von den menschlichen Parasiten verschont, könnte man paraphrasieren. „Ich sehe keine Harmonie in dieser Welt“, nur teilweise Harmonie, die größtenteils auf Widersprüchen beruhe, so Žižek, wie etwa dem folgenden Dilemma unserer Zeit: „Es ist die ultimative Ironie der Geschichte, dass radikaler Individualismus als ideologische Rechtfertigung der unbeschränkten Macht dessen dient, was die Mehrheit der Individuen als riesige anonyme Macht wahrnimmt, die ohne demokratische Kontrolle ihr Leben bestimmt.“ Unsere Leben sei serialisiert, Stichwort: Cloud Computing und da bleibe eigentlich nur wenig Platz für tatsächliche Individualität. Die wirliche Revolution bestünde darin, wenn man die Balance veränder, das Maß der Balance, der Kampf, unser Kampf, müsse um die Abwendung der Bedrohung des transnationalen öffentlichen Raumes geführt werden.


“Über das Besteigen hoher Berge“
„Der Westen hat das Problem selbst geschaffen. Der Aufstieg des religiösen Fundamentalismus ist ganz klar eine Folge des Rückzugs der Linken.“ Man sehe dies am Beispiel Afghanistans, das vor 40 Jahren noch durchaus säkular und tolerant gewesen sei. Man vergesse zu oft, welche Rolle die Linke in diesen Ländern gespielt habe, Nasser habe Mitte der 60er Jahre praktisch alle Kommunisten töten lassen und wie Walter Benjamin schon wusste, verberge sich hinter jedem Faschismus eine gescheiterte Revolution und mit so einer habe man es im Nahen Osten zu tun. Auf die extreme Linke folgte der religiöse Fundamentalismus. Jahrzehnte später, beim Arabischen Frühling, hieß es dann plötzlich, man unterstütze Mubarak, weil die Ägypter nicht reif seien für die Demokratie, dabei hatten sie ja genau das auf den Straßen Kairos bewiesen. Die Ehe zwischen Kapitalismus und Demokratie, die in der liberalen Ära, den „Goldenen Zeiten“ Bestand hatte, sei aber ohnehin aufgekündigt und werde keinen Bestand mehr haben, da wir autoritären Zeiten entgegen sähen, so Žižek. Warum hätten ein Nixon oder Berlusconi sonst solche Erfolge gehabt? Die Menschen wollen Politiker mit Schwächen, Politiker, die so sind wie sie. Und sie wollen aus den Universitäten Schulen für Experten machen, nicht Schulen des Denkens. „Nun, wir werden überleben, aber als lebende Tote, all unserer sozialen Existenz und Substanz beraubt.“ Es sei denn, wir beginnen heute schon, dagegen anzukämpfen, dass wir ausgeschlossen werden. Denn die Proletarier des 21. Jahrhunderts seien eben diese „Ausgeschlossenen“, die Unsichtbaren, die ihrer sozialen Teilhabe am öffentlichen Leben beraubt wurden. „Wir müssen nochmal (von vorne) anfangen“, zitiert Žižek einen Aufsatz Lenins.

”Il n’y a pas de grand Autre“
Žižek räumt auf mit falschen Illusionen eines perfekten Naturzustandes, zu dem wir zurückkehren könnten. „Um Harmonie zu erlangen, müssen wir entscheiden, was wir wollen, und wir müssen kämpfen.“ Aber gerade das Entscheiden fällt nicht besonders leicht, angesichts einer Welt, die eine solche Vielfalt anbietet. Noch herrlicher als seine Ausführungen zu Politik und Geschichte wie etwa „Kommunismus ist nicht der Name einer Lösung, sondern der Name eines Problems“, so Žižek, die leninistische Version bezeichnet er sogar als wörtlich „völlig krank“ und den Kommunismus insgesamt als „größtes ethisch-politisches Fiasko in der Menschheitsgeschichte“, sind vielleicht nur Žižeks philosophische Betrachtungen der Liebe. „Jeder weiß, dass Liebe das Größte ist, aber zugleich ist sie das Grausamste. (...) Sie führen ein angenehmes Leben, treffen sich mit Freunden und haben One-Night-Stands, und plötzlich verlieben Sie sich leidenschaftlich? Es ist furchtbar, es ruiniert ihr ganzes Leben.“ Weitere Ausführungen zur „narzisstischen Persönlichkeit“ und der Angst vor der Nähe anderer Menschen, dem Diskurs der victimization zeigen Žižek auch von seiner philosophisch nachdenklichen Seite. In „Politisierung der Favelas“ drückt der Philosoph aber auch seine Hoffnungen für die Zukunft aus: „Meine große Hoffnung ruht darauf, was in den Slums passiert.“ Franciso Varela, der zusammen mit Humberto Maturana zugunsten eines „natürlichen Driftens“ einen „Baum der Erkenntnis“ ohne Kampf formulierte – nämlich durch Prüfung vielfältiger, natürlicher Alternativen (Driften) – wird von Žižek als Programm für das 21.Jahrhundert genommen, in dem die destruierten Massen der Slumbewohner politisiert und diszipliniert werden müssten. Religion, Drogen oder Sex seien zur Depolitisierung der Massen nützlich, es gehe im Gegensatz dazu, darum, die Slum-Kollektive zu sozialem Bewusstsein zu verhelfen. „Sie werden die Keimzellen der Zukunft.“ „So jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lukas 14:26) „Das Unmögliche passiert.“

Slavoj Žižek
Fordern wir das Unmögliche
Aus dem Englischen von Alexander Kasbohm
LAIKAtheorie
Laika Verlag

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-12-26)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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