Der mit "Kobane" auch im Deutschen bekannt gewordene italienische Comiczeichner Zerocalcare, bürgerlich Michele Rech, macht immer wieder durch autobiografische Alltagsgeschichten auf sich aufmerksam. Geboren in Arezzo, Italien macht er in "Vergiss meinen Namen" nun auch auf eine französische Linie seiner Verwandtschaft aufmerksam: die seiner Großmutter.
Pflicht und Schuld
"Ich werde nicht sterben, bis du erwachsen geworden bist", versprach diese ihm einst. Als die Nachricht ihres Todes den mittlerweile 30-Jährigen ereilt, ruft dies ein emotionales Durcheinander hervor. Ein großes Stück Kindheit und die unklare Situation, wann man als Junge zum Mann wird, lassen ihn eine Geschichte entwickeln, die voller Fantasie und Komik ist und dennoch vor einem traurigen Hintergrund spielt. Am Scheideweg zwischen Jugend und Erwachsensein versucht er seinen stets am Handy hängenden Freund ("Ich arbeite.") aus seinen Glücksspielen zu reißen, indem er ihm eine wilde Familiengeschichte auftischt. Die Provence, in der seine Oma lebte, wurde von Faschisten und Nazis besetzt. Während alle anderen einen Partisanen als Opa hatten, war der von Zerocalcare so etwas wie ein Kollaborateur. Aber er war ja trotzdem ein guter Mensch, da er mit dem Hund Gassi ging und das Katzenklo sauber machte, schreibt Zerocalcare selbst in einer Fußnote zu seiner Storyline. Sarkastische Kommentare über sich und seine Jugend, vor allem die aus späterer Sicht lächerliche Aufsässigkeit gegenüber seiner Mutter - für die er sich heute wie so viele von uns - fast schämt, machen "Vergiss meinen Namen" zu einer amüsanten, nicht ganz ernst gemeinten Lektüre. Schließlich ist seine Mutter ein Huhn und sein schlechtes Gewissen ein Gürteltier!
Khal'ohl D'oh
Als bei der Begräbnismesse seiner Großmutter dann auch noch ein "rötlicher Hund" (Fuchs) auftaucht, wird es aber auch für seine Mutter brenzlig. Denn der arme Fuchs wird von zwei Finsterlingen aus der Vergangenheit seiner Großmutter bedroht. Natürlich ist der Fuchs eine positive Figur, nicht nur weil er der einzige Protagonist ist, der in vorliegendem Comic auch bunt gezeichnet wird, sondern auch aufgrund seiner Vorgeschichte in einem gewissen französischen Buch, das wir alle als Kinder gelesen haben. Zerocalcare kann einen kleinen Seitenhieb darauf nicht lassen, denn jener Fuchs hätte gegen den Kodex der Füchse verstoßen, indem er einen "Minderbemittelten" reingelegt hatte. "Die Wahrheit nach Bedarf geschmeidig dem Kontext anpassen" - Khal'ohl D'oh - ist übrigens nur eine von vielen Regeln des Ehrenkodexes für Füchse. Aber einen Namen zu haben bedeutet eigentlich gar nichts, viel wichtiger ist es, Geheimnisse zu haben, denn "ein Mensch ohne Geheimnis, ist ein Mensch ohne Identität". "Vergiss meinen Namen" ist voller Referenzen an Filme, Literatur oder die Games- und Mangakultur der Postmoderne, dem technologischen Zeitalter in dem nicht nur Lüge und Wahrheit, sondern auch Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen. Ein Konglomerat, auf das sich Zerocalcare seinen eigenen Reim macht und uns Leser:innen zum Lachen bringt. "Wenn wir heut hier sind, dann weil wir jemanden hatten, auf den wir zählen konnten." Schön, dass es jemandem gibt, der auch anderen zeigt wie's geht.
Zerocalcare
Vergiss meinen Namen
U?bersetzung aus dem Italienischen von Daniel Koll
2022, 240 Seiten, Hardcover, 17 x 24,5 cm, schwarzweiß
ISBN: 978-3-96445-074-6
avant-verlag
25,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-06-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.