Als wir im Sommer 1992 in Budapest unsere Verwandten besuchten, hörten wir, daß überall von „HOPPARESIMI!“ gesprochen wurde, und auch der Autor Zoltán Zemlényi war in aller Munde. Neugierig geworden, wollten wir das Buch sogleich kaufen. Es war jedoch leider ausverkauft. Da es von vielen ungarisch geschriebenen Büchern deutsche Übersetzungen gibt, erkundigten wir uns nach einer deutschen Ausgabe von „HOPPARESIMI!“. Wir erfuhren, daß es keinerlei Übersetzung von „HOPPARESIMI!“ gibt – es sei nämlich viel zu schwer, als das es übersetzt werden könnte.
Enttäuscht kehrten wir von unserem Stadtbummel zurück und berichteten meiner Schwester / Meiner Tante Marcsi von unseren vergeblichen Mühen. Da sagte sie: „Ich habe den Zoli (Zoltán Zemlényi) bei einem Seminar kennengelernt. Rufen wir ihn doch an und fragen ihn, ob wir vielleicht bei ihm ein ungarisches Exemplar kaufen oder zumindest leihen können.“
So kam es, daß ein Treffen mit dem Autor Zoltán Zemlényi zustande kam. Glücklicherweise hatte er ein Exemplar übrig, das er uns zur Verfügung stellte, damit wir es kopieren könnten. Danach sollte er das Buch von uns zurückbekommen.
Im Laufe unserer Unterhaltung erzählte er uns betrübt, daß sein Buch wohl nie in einer anderen Sprache erscheinen werde, denn unzählige Übersetzer hatten sich bereits vergeblich daran versucht, „HOPPARESIMI!“ zu übersetzen, und zwar ins Deutsche, Englische, Französische, Spanische, und sogar in Südamerika ins Portugiesische. Nach spätestens 20 Seiten hatten alle aufgegeben, zu schwer war der Text, der sich durch einen mitunter eigenwilligen Sprachstil und etlichen neuen Wortschöpfungen des Autors auszeichnet.
Als wir das hörten, war unser Ehrgeiz geweckt. Vielleicht könnte uns gelingen, was die anderen nicht geschafft haben. Wir könnten uns bei der Übersetzungsarbeit wunderbar ergänzen: Die Mutter, die gebürtige Ungarin ist und Deutsch studiert hat, und die Tochter, deren Muttersprache Deutsch ist und die über Ungarischkenntnisse verfügt. Wir waren fest entschlossen, uns dieser Herausforderung zu stellen und vereinbarten mit Zoli, daß wir versuchen würden, sein Buch zu übersetzen. Da wir nicht sicher waren, ob es uns gelingen wird, eine Übersetzung anzufertigen, wollten wir nicht – wie sonst üblich – zuerst einen Verlag suchen und einen Vertrag abschließen, sondern erst mit der Arbeit beginnen, um zu sehen, wie sich das Ganze anläßt. Sollten wir scheitern und wären gleichzeitig vertraglich gebunden, so könnte das problematisch werden ...
Bevor wir damit anfingen, „HOPPARESIMI!“ zu übersetzen, waren wir uns einig, daß wir keinen Satz auslassen werden. Manche Übersetzer umschiffen nämlich so mitunter problematische Stellen. Es sollte auch nichts „vereinfacht ausgedrückt“ oder „glattgebügelt“ werden. Authentizität war und ist unser oberstes Gebot. Auch wenn es schwierig war – daran haben wir stets festgehalten.
Die Schwierigkeiten rührten daher, daß der Autor einen eigenwilligen Sprachstil verwendet, ja teilweise regelrecht kreiert hat. Das äußert sich z.B. in neuartigen Wortspielen und Wortschöpfungen. Schon der Titel „HOPPARESIMI!“ ist eine solche Wortschöpfung. Daneben ordnet er bisweilen das Satzgefüge neu und arbeitet mit Brüchen und unerwarteten Wendungen, in dem er einen Satz thematisch-inhaltlich vollkommen anders beendet, als der Anfang es den Leser erahnen läßt.
Aber gerade das alles hat uns auch fasziniert, zumal er für seine außergewöhnliche schriftstellerische Leistung mehrere Preise erhielt und bereits mit 24 Jahren in den PEN-Club aufgenommen wurde.
Ohnehin interessierten wir uns für die Thematik an sich – ein Unfall, der jedem von uns passieren kann, und die Folgen, die er mit sich bringt. Was empfindet der Verunfallte, wie ergeht es ihm und wie reagierten Außenstehende? Ein unerschöpfliches Thema.
Besonders beeindruckt hat uns die lebensbejahende Haltung des Autors. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Kraftanstrengung er seinen Lebensweg unermüdlich voranschreitet. Er versinkt nie in Selbstmitleid und versucht stets, alles positiv zu nehmen und zu sehen. Natürlich unterliegt er auch Stimmungsschwankungen, doch mit seinem Lebensmut gelingt es ihm immer, sie zu bezwingen. Zoltán Zemlényi schreibt ehrlich, facettenreich, humorvoll und sowohl erheiternd als auch anrührend.
Es war nicht immer leicht, die Stimmungsschwankungen innerhalb eines Tagebuch-Eintrages genauso festzuhalten und wiederzugeben, weil sie z.B. in Form von witzigen Ausdrücken, Wortspielen, vom Autor selbst erfundenen Wörtern dargestellt werden. Er will, was seine Tragödie betrifft, das Ganze mit vielen witzigen Ausdrücken bagatellisieren. Um sich selbst irgendwie aufrecht erhalten zu können und Mut zu machen, versucht er gleichzeitig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass er der Grööößte, der Könnnig ist. Nicht der König, der Könnnig – er wiederholt es nochmals, um das zu verdeutlichen. Das gibt ihm Kraft und die Bestätigung, daß er noch ein sinnvolles, erfülltes Leben wird führen können. Auf den ersten Blick erweckt er manchmal den Eindruck, von sich eingenommen und eingebildet zu sein. Deshalb waren wir bemüht, seine verdrehten Wörter ins Deutsche so zu übertragen, daß dem Leser klar wird, wie dieses anscheinende Eingebildet-Sein eigentlich zu verstehen ist.
Manchmal war es nicht möglich, die witzigen Wortspiele an der gleichen Stelle wiederzugeben. Dann haben wir so lange diskutiert und überlegt, bis es uns gelungen ist, diesen humorigen Teil in einem Satz zuvor oder einem Satz danach anzubringen – natürlich stets in Abstimmung mit dem Autor. So blieben die erheiternden und anrührenden Passagen für den Leser an der richtigen Stelle erhalten.
Da wir beim Übersetzen keinen Satz überspringen wollten, sollte uns nicht sofort die passende Entsprechung im Deutschen gelungen sein, und es nicht passieren sollte, daß wir erst später zu diesem Satz zurückkehren würden, um ihn zu übersetzen, verweilten wir uns so lange an der Stelle, bis die optimale Formulierung zustande gekommen war. So kam es, daß wir nicht selten 3-4 Stunden, sogar bis spät in die Nacht hinein, über einen Satz diskutierten und schließlich ein gutes Resultat erzielten.
Nicht ganz so zeitaufwendig war es, passende Synonyme für Zoltán Zemlényis Wortschöpfungen zu suchen. Einige haben wir bewußt so belassen und lediglich an die deutsche Schreibweise angeglichen, um die „Lautmalerei“ des Wortes zu erhalten.
Da die ungarische Sprache grammatikalisch und syntaktisch völlig anders aufgebaut ist als die deutsche, hätte dieser Umstand dazu führen können, daß Pointen, Wendungen etc., die im Original (bewußt) am Ende eines Satzes stehen, im Deutschen am Satzanfang hätten plaziert werden müssen. Auf diese Weise wäre deren Wirkung aber gänzlich zunichte gemacht worden. Es galt also, mit größter Umsicht die Dinge anzugehen, so daß Pointen wirkungsvoll erhalten blieben und unerwartete Wendungen an passender Stelle auftauchen.
Als „Nebenprodukt der Übersetzung“ haben wir mehr als 300 Wörter notiert, die wir zur Zeit alphabetisch ordnen, und die wir für die Aufnahme in die nächste Ausgabe des großen Halász-Előd Wörterbuchs dem Akademie-Verlag Budapest, und für die Aufnahme in das große Langenscheid -Wörterbuch dem Langenscheid-Verlag zur Verfügung stellen werden.
Die Muttersprache der Großmutter von Zoltán Zemlényi ist deutsch. So bekam sie als erste das deutsche Manuskript zu lesen. Sie sagte: „Ich war sehr neugierig. Ich werde bestimmt ein ganz anderes „Hopparesimi“ zum Lesen erhalten, als das ungarische Original. Denn dieses Buch kann man nicht übersetzen ...“ Und als sie das Manuskript gelesen hatte, berichtete sie der ungarischen Presse: „Ich habe genau an der Stelle gelacht, genau an jener Stelle geweint wie im ungarischen Buch! Die Übersetzung ist den Übersetzerinnen hervorragend gelungen!“
Der Moderator des „Ungarischen Radio Budapest“ begann das Interview mit Gizella Hemmer mit folgenden Sätzen:
„Eine Übersetzung ist erst dann richtig gut, wenn man über den Witz oder den humorvollen Ausdruck in der anderen Sprache genauso lachen oder schmunzeln kann, wie in der Originalsprache. Und so ein Buch ist das in die deutsche Sprache übersetzte „HOPPARESIMI!“ von Zoltán Zemlényi, das Gizella Hemmer, die aus Ungarn stammt, und ihre Tochter Sandra, die in Deutschland geboren wurde aber gut ungarisch spricht, übersetzt haben. Ein Buch, das als unübersetzbar galt.“
Viele Ungarn, die deutsch können, sind sehr neugierig, wie die Übersetzung gelungen ist. So kam beispielsweise eine Gruppe von Studentinnen und Studenten mit der Dozentin aus Ungarn extra zur Frankfurter Buchmesse angereist, um sich das Buch zu kaufen. Sie wollen in ihrem Sprachunterricht den Text des Buches Satz für Satz vergleichen und durchsprechen.
Genauso haben wir mehrere Besucher, von Hamburg bis München, an unserem Stand auf der Frankfurter Buchmesse kennengelernt: Ungarn, die aber schon seit langem in Deutschland leben, gut deutsch sprechen und das ungarische Originalwerk kennen. Sie alle wollten die Übersetzung mit dem ungarischen Original sprachlich vergleichen. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie wir diese Übersetzung meistern konnten.
In diesem Kontext steht auch der Vortrag: „Die Übersetzbarkeit der ungarischen Jugendsprache ins Deutsche, dargestellt am Beispiel von Zoltán Zemlényis ‚Hopparesimi!’“, der von Edit Dékány, wissenschaftliche Assistentin an der Universität Szeged / Ungarn, anlässlich der internationalen Konferenz „Germanistik und Deutschlehrerausbildung in Tallin, Szeged und Kiel“, gehalten wurde. In ihrem Resümee heißt es: „… Es kann als
übersetzerischer Erfolg betrachtet werden, dass der individuelle Sprachgebrauch, die Wortschöpfungen des Ausgags-Textes überhaupt in der Zielsprache erschienen sind. … Ausgangssprach-Elemente, die sich als Übersetzungsproblem erwiesen – das Original enthält in hohem Maße sprachlich-stilistische Mittel, die spezifisch an die Ausgangssprache gebunden sind – konnten … überwunden werden, indem Zielsprach-Varianten entstanden, die … die Übersetzung wie ein Original lesen lassen.“
[*] Diese Rezension schrieb: Gizella Hemmer (2003-07-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.