Sein literarisches Debüt, der episodenhafte Kurzroman „Julius“, hat mich im Jahr 2011 überzeugt.
Da schrieb ein junger Mann seinen ersten Roman über einen jungen Mann, der seine ersten Schritte macht, tastend und vorsichtig in die Welt der Erwachsenen hinein.
Aus wundervollen und fast zärtlichen Beschreibungen der Natur, wie Julius sie mit seiner feinen Seele wahrnimmt, besteht ein langer Teil des Buches. Ich habe damals den stellenweise poetisch anmutenden Roman auch als ein Hinweis darauf gelesen, wie eine Art Ermutigung an junge Menschen, die anders sind, die sich etwas von ihrer Kindheit und Jugend und deren Unbekümmertheit mit in das Erwachsenenleben nehmen wollen.
Ein Roman aus verschiedenen zeitlich aufeinander folgenden Episoden aus dem Leben eines Träumers, der sich auch liest wie ein leichter, fliegender Traum. Kaum hat man angefangen, ist er auch schon fertig und es bleibt ein angenehmer Geschmack von Schönheit zurück.
Mit diesen durchaus schönen Erinnerungen habe ich das nur unwesentlich längere neue Buch von Christian Zehnder „Die Welt nach dem Kino“ in die Hand genommen und die Geschichte des ehemaligen Platzanweisers Lorenz, der nun in einem Kopierladen arbeitet und der Studentin Iris, die sich ihren Lebensunterhalt mit Unterrichtsvertretungen verdient, begonnen zu gelesen.
Und ich habe es, obwohl ich schon nach dem ersten Drittel immer wieder den Impuls hatte, das Buch wegzulegen, weiter gelesen bis zum Ende. Ungewöhnlich ist der Roman auf jeden Fall, wie der Klappentext verspricht, irritierend auch, denn die verschiedenen Teilgeschichten folgen unzusammenhängend und wie verbindungslos aufeinander. Selbst wenn Zehnder damit das eher sprunghafte episodenhafte Leben seiner Protagonisten charakterisieren möchte, den Leser verwirrt es. So ist zum Beispiel völlig unklar, wie insbesondere Lorenz und Iris mit ihren Jobs sich über Wasser halten können; wir erfahren nichts über ihre Geschichte und Herkunft, nichts über ihre Familien. Warum Iris von einer Seite auf die andere in einem Kloster gelandet ist, und warum sie es dann wieder verlässt - es bleibt im Nebel.
Natürlich - es geht um Liebe, es geht um Freundschaft, um die Menschen, die uns eher zufällig begegnen, die uns in ihr Leben verwickeln, wie das etwa Iris und Lorenz mit dem Schweizer Diplomaten Jonas und dessen Tagebuch geht, das Lorenz eines Tages bindet. Und um die Botschaft, dass das Leben mehr ist und vor allem anders ist als in den Filmen im Kino.
Julius wurde vor drei Jahren als ein junger Mann von zartbesaiteter Wesensart beschrieben, ein Träumer, der versucht erwachsen zu werden und lieben zu lernen. Die Protagonisten in „Die Welt nach dem Kino“ sind alle dreißig und älter, doch man hat ein keiner Stelle des Buches den Eindruck, sie seien erwachsen. Ihr Leben schwebt gleichsam über der Erde, ohne reflektierte Vergangenheit und ohne auch nur in Andeutungen realistische Zukunft.
War die Sprache in „Julius“ noch an vielen Stellen von einer poetischen Schönheit, habe ich mich durch die Sätze dieses Buches regelrecht gequält.
Ein drittes Buch von Christian Zehnder würde ich gerne noch lesen – dieses hat mich enttäuscht und irritiert.
Christian Zehnder, Die Welt nach dem Kino, DTV 2014, ISBN 978-3-423-26022-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-05-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.